Auf allen Kanälen: Turbulenzen bei «La Repubblica»

Nr. 19 –

Der Chefredaktor der linken Tageszeitung «La Repubblica» erhält wochenlang Morddrohungen von Neonazis. Dann wird er fristlos entlassen. Hinter dem Rauswurf steht ein Eigentümerwechsel in Italiens grösster Verlagsgesellschaft.

Eigentlich sollte der 23. April Carlo Verdellis Todestag werden. Das jedenfalls ging aus den anonymen Drohungen gegen den Chefredaktor der grossen italienischen Tageszeitung «La Repubblica» hervor, die im Web zirkulierten –unter ihnen eine fingierte Traueranzeige. Die Drohungen kamen eindeutig aus der Neonaziecke, und sie hielten schon seit Wochen an. Seit dem 14. März stand Verdelli deshalb unter Polizeischutz. Für den 23. April hatte die Journalistengewerkschaft zu einer breiten Twitter-Solidaritätsaktion für Verdelli aufgerufen.

Ihren ganz eigenen, im Timing einigermassen geschmacklosen Beitrag lieferte die Verlagsgesellschaft Gedi, zu deren Imperium «La Repubblica» gehört: Just an jenem 23. April entliess sie Verdelli fristlos als Chefredaktor. Nicht ohne ihm in einem dürren Communiqué «volle Solidarität» angesichts der Nazidrohungen zu bekunden.

Anti-Berlusconi-Gazette

Hintergrund seines Rauswurfs war der an jenem Apriltag vollzogene Eigentümerwechsel bei Gedi: Die Holding Exor der Fiat-Familie Agnelli übernahm 43,7 Prozent der Anteile, die bisher von der Familie De Benedetti gehalten wurden. Der starke Mann bei Gedi ist jetzt der Agnelli-Abkömmling John Elkann, der mit Exor bereits über 40 Prozent am britischen «Economist» hält. Ebenfalls am 23. April wurde bekannt, dass Pietro Supino, Verleger der Zürcher TX-Group, Gedi-Verwaltungsrat wird. Bahnt sich hier eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit an?

Elkann hat nunmehr Italiens grössten Tageszeitungsverbund in den Händen. Entstanden war dieser im Jahr 2016. Damals hatten die De Benedettis und die Agnellis ihre verlegerischen Aktivitäten zusammengeführt: «La Repubblica», die Turiner «La Stampa», den in Genua erscheinenden «Il Secolo XIX» sowie dreizehn weitere regionale Tageszeitungen, das Wochenmagazin «L’Espresso», die italienische «Huffington Post» und den Sender Radio Capital.

«Liberal-sozialistisch» solle die Ausrichtung der 1976 gegründeten «La Repubblica» sein, so wiederholte es der erste Chefredaktor Eugenio Scalfari über die Jahrzehnte. Der Besitzer Carlo De Benedetti trug den Kurs der Zeitung voll mit. An Selbstbewusstsein mangelte es Scalfari nicht – er liess sich nie von Parteien oder Ministern sagen, was in der «Repubblica» stehen sollte. Eher schon hatte er den Anspruch, der Politik in Rom die Linie zu diktieren.

Zwanzig Jahre blieb Scalfari Chefredaktor, dann folgte ihm im Jahr 1996 – wiederum für zwanzig Jahre – Ezio Mauro. «La Repubblica» war mittlerweile neben dem «Corriere della Sera» die wichtigste Tageszeitung des Landes. 1988 brachte sie es auf eine Tagesauflage von 830 000. Und von 1994 an wurde sie zur Anti-Berlusconi-Gazette schlechthin. Doch die grosse Zeitungskrise traf auch sie schwer; heute liegt die Auflage nur noch bei 130 000. Und die beiden De-Benedetti-Söhne Marco und Rodolfo, die mittlerweile in der Familienholding den Ton angeben, zeigen, anders als ihr Vater, geringes Interesse am Mediengeschäft. Ihnen kam der Übernahmewunsch Elkanns gerade recht.

Die Geschichte der «Repubblica» als Zeitung links der Mitte sei damit vorbei, mutmasst etwa die Tageszeitung «Il Fatto Quotidiano». Eben dafür stehe, dass Verdelli umgehend rausgeworfen wurde. Dieser war erst seit gut einem Jahr im Amt und hatte das linke Profil wieder schärfen wollen, auch mit leicht marktschreierischen Schlagzeilen wie «Salvini abschaffen». An Verdellis Stelle ist Maurizio Molinari, ein Mann der Mitte, gerückt.

Höchst beunruhigte Redaktion

Die Zeitung «Il Fatto Quotidiano» kolportiert denn auch, Nicola Zingaretti – Vorsitzender des gemässigt linken Partito Democratico, der zusammen mit den Cinque Stelle die Regierung Giuseppe Contes trägt – befürchte, dass die Zeitung jetzt gegen die Regierung Conte polemisieren wolle, um eine neue Regierung der Nationalen Einheit unter Mario Draghi herbeizuschreiben.

Glaubt man dagegen John Elkann, so hat er rein verlegerische Entscheidungen getroffen, um das Zeitungsimperium für den zunehmend digitalen Markt fit zu machen. Höchst beunruhigt ist die «Repubblica»-Redaktion so oder so: Sie trat am 24. April, nach dem Rauswurf Verdellis, für einen Tag in den Streik.