Verkehrspolitik: Gottesdienst in der kleinen Kammer
Der Ständerat unterstützt Autobahnausbauten in Milliardenhöhe. Auch Eva Herzog, Daniel Jositsch und Roberto Zanetti von der SP stimmten dafür, zwei Grüne enthielten sich. Was denken sie sich dabei?
«Eine Schande», so kommentierte Jonas Kampus vom Klimastreik auf der Plattform X (früher Twitter) das Abstimmungsverhalten der drei SP-Ständerät:innen Eva Herzog, Daniel Jositsch und Roberto Zanetti. Diese stimmten letzte Woche Autobahnausbauten in der Deutschschweiz und der Romandie im Umfang von 5,3 Milliarden Franken zu. Und damit gegen die Parteilinie: Die SP lehnt den Ausbau von Autobahnen kategorisch ab und hat bereits ihre Unterstützung für ein Referendum angekündigt.
Keine Zustimmung, aber zwei Enthaltungen gab es von den grünen Ständerät:innen Maya Graf und Mathias Zopfi, während sich auch ihre Partei vehement gegen jeglichen Autobahnausbau wehrt und ebenfalls das Referendum von VCS und Umverkehr unterstützen wird. Was ist bloss los, dass links-grüne Ständerät:innen ein absolutes Kernanliegen ihrer Parteien ignorieren – und sich damit der Kritik des eigenen Lagers aussetzen?
Kanton wichtiger als Partei
Die WOZ hat die Abweichler:innen konfrontiert. Der Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch meint im Vorraum des Ständerats knapp, dass sich der Kanton Zürich für den Ausbau ausgesprochen habe, weil er durch die entsprechenden Projekte verkehrstechnisch entlastet werde. Er habe die Position seines Kantons vertreten.
Eva Herzog aus Basel-Stadt begründet ihre Zustimmung ähnlich: «Der Bau des Rheintunnels erhält eine breite Unterstützung in Basel. Denn die Osttangente der A2 führt momentan direkt durch den Stadtkern – ein unhaltbarer Zustand für die Bevölkerung.» Sie erwarte, dass die Autobahnstrecke in der Stadt mit dem Bau des Rheintunnels zumindest teilweise rückgebaut werde. Sie hält aber fest, dass sie grundsätzlich der Sichtweise folge, «dass zusätzliche Strassen zusätzlichen Verkehr generieren», und sie sich nach Möglichkeit gegen neue Strassen ausspreche. Herzog begrüsst es, dass sich letztlich das Volk zum Autobahnausbau äussern kann.
Auch für den grünen Glarner Ständerat Mathias Zopfi wiegen die Ansichten seines Kantons schwer. Seine Enthaltung zu erklären, ist ihm offenbar ein wichtiges Anliegen; er nimmt sich sehr viel Zeit für seine Ausführungen, während im Ständeratssaal eine finanzpolitische Debatte läuft.
«Meine Enthaltung ist dem Umstand geschuldet, dass im Kanton Glarus mittelfristig ein Strassenprojekt vorgesehen ist, das durchaus sinnvoll sein könnte und ernsthaft geprüft werden sollte», sagt Zopfi. Mit der Enthaltung wolle er signalisieren, dass er einzelnen Projekten nicht in jedem Fall abgeneigt sei – dann zum Beispiel, wenn damit eine Entlastung vom Durchgangsverkehr bewirkt werde und sie einen Rückbau beinhalteten. Aber natürlich sei auch er grundsätzlich gegen den nun geplanten milliardenschweren Ausbau, gerade auch, weil der Landverbrauch dieser Projekte enorm sei.
Dass er von Teilen des links-grünen Lagers kritisiert wird, bereitet ihm sichtlich Mühe. Seine Stimme sei ohnehin nicht entscheidend gewesen. «Das Problem ist doch, dass die im Ständerat dominierenden Parteien in solchen Fällen Einwände gegen den Strassenbau kaum zur Kenntnis nehmen. Die Diskussion zeigt sogar: Wenn eine Kollegin es wagt, den Gottesdienst zu stören, wird sie abgekanzelt.»
Genau das ist der Genfer Ständerätin Lisa Mazzone von den Grünen passiert. Sie hat in der Debatte ein engagiertes Votum gegen den Autobahnausbau gehalten. Die eigentliche Frage sei doch, wie man den Autoverkehr steuere: «Ob wir Massnahmen ergreifen, die ihn verstärken, oder ob wir ihn tendenziell reduzieren und eindämmen.» Und im Hinblick auf die Klimakatastrophe reiche es eben nicht aus, «die Mobilität zu elektrifizieren, auch wenn das sehr wichtig ist. Wir müssen auch die Automobilität reduzieren.»
Für den Waadtländer FDP-Ständerat Olivier Français waren diese Fragen und Ausführungen offensichtlich zu viel. Mazzones Votum würde «unnötigerweise ein Feuer entfachen», meinte er und beschwerte sich darüber, dass jetzt der «Krieg» erklärt werde, nachdem vor der «grünen Welle» bei den Wahlen 2019 noch «Frieden zwischen Strasse und Schiene» geherrscht habe.
Grünliberale noch unentschlossen
Die Heftigkeit dieser Reaktion, die einer Unterbindung jeglicher ernsthaften Debatte gleichkommt, besorgt Mazzone. «Die Strassen und das Autofahren sind im Ständerat ein Dogma und werden so für unantastbar erklärt. Eine Debatte über Sinn und vor allem Unsinn von Strassenbauprojekten ist deshalb unerwünscht», stellt Mazzone frustriert fest. Dabei stehe das im deutlichen Widerspruch zum Klimaschutzgesetz, das im Juni fast sechzig Prozent der Stimmenden angenommen haben und das vorsieht, die Treibhausgasemissionen in der Schweiz bis 2050 auf netto null zu senken.
Während politische Widerreden in der kleinen Kammer herrisch abgekanzelt werden, formt sich der ausserparlamentarische Widerstand: Grüne und SP haben die Unterstützung eines Referendums bereits fix beschlossen. Die Grünliberalen entscheiden sich in den nächsten Tagen. Die Zeichen stehen gut, dass am Ende die Schweizer Bevölkerung über das Schicksal ihrer Nationalstrassen entscheiden wird – und so eine ernsthafte Debatte möglich wird.
Kommentare
Kommentar von PeterBrunschwiler
Mi., 04.10.2023 - 15:01
Roads make traffic! Stammt aus den 50-er Jahren des letzten Jahrhunderts aus den USA. Hat sich tausendfach bewahrheitet.