Alternative Luftfahrt: Die Rückkehr der sanften Giganten
In rund achtzig Stunden fast klimaneutral von Zürich nach New York? Erste batteriebetriebene Zeppeline segeln durch die Lüfte, für kommerzielle Nischen besteht Potenzial.
Der moderne Luftverkehr hat die Welt zum Dorf gemacht – zumindest für den wohlhabenderen Teil ihrer Bevölkerung. Er ermöglicht etwa der skandinavischen Mittelklasse, dem rauen, dunklen Winter nach Thailand zu entfliehen, und den jugendlichen Partytourist:innen aus Westeuropa den Wochenendtrip nach Berlin. Aber ihm sind auch viele wertvolle Begegnungen zwischen Menschen, nicht zuletzt auch zwischen sozialen Bewegungen, zu verdanken. Veranstaltungen wie die Weltsozialforen oder die internationalen Proteste und Konferenzen gegen das Davoser Weltwirtschaftsforum wären ohne die vergleichsweise günstigen und schnellen Flugzeuge undenkbar – wenn auch in Europa ein grosser Teil des Luftverkehrs ohne Weiteres durch bessere und günstigere Bahnen ersetzbar wäre.
Doch der Luftverkehr hat auch eine erhebliche Schattenseite. Er ist die energieintensivste Art des Reisens und des Gütertransports, und er produziert daher gemessen an der Leistung auch mit Abstand die meisten Treibhausgase. Sein Anteil an den weltweiten Emissionen betrug in den Jahren vor der Coronapandemie nach unterschiedlichen Angaben 2,1 bis 2,5 Prozent.
Was gelegentlich übersehen wird: Rechnet man den Effekt der Kondensstreifen hinzu, ist der Beitrag des Luftverkehrs zum Treibhauseffekt sogar annähernd doppelt so gross. Aus diesen entwickeln sich nämlich oft hohe Schleierwolken, die die Infrarotstrahlung der Erde und der unteren Atmosphärenschichten ähnlich dem CO₂ sehr effektiv abschirmen. Kondensstreifen würde es aber selbst dann noch geben, wenn Kerosin durch Wasserstoff oder andere ansonsten klimaneutrale Kraftstoffe ersetzt würde. Nur mit einem elektrischen Motor und Batterien sowie Strom aus erneuerbaren Quellen könnten Flugzeuge klimaneutral fliegen, doch das ist für den kommerziellen Luftverkehr, wenn überhaupt, noch Zukunftsmusik.
Nur noch ein Prozent der Emissionen
Realistischer scheint eine andere Option: die Rückkehr der Luftschiffe. Wie wäre es, wenn wir, wie einst in den 1930ern, wieder mit diesen sanften Giganten durch die Luft schweben und von Kontinent zu Kontinent fliegen könnten? Es muss ja nicht gleich so luxuriös zugehen wie damals an Bord der «Hindenburg», und ein grösseres Mass an Sicherheit lässt sich mit modernen Materialien und nötigenfalls auch dem Einsatz von Helium auf jeden Fall erreichen. 1937 markierte die Explosion der «LZ 129 Hindenburg» in Lakehurst bei New York das vorläufige Ende des kommerziellen Luftverkehrs per Zeppelin. 36 Menschen kamen seinerzeit ums Leben.
Das Problem bestand unter anderem darin, dass die europäischen Luftschiffe mit dem leicht entzündlichen Element Wasserstoff gefüllt waren. Das chemisch sehr träge Edelgas Helium gab es zu jener Zeit nur in den USA in ausreichenden Mengen. Das ist heute anders. Und es gibt inzwischen viel bessere Textilien, die als sichere Gashüllen eingesetzt werden können, sodass auch der auftriebstärkere Wasserstoff wieder infrage kommt.
Dies war in der vergangenen Woche neben vielen anderen technischen Details, praktischen Erfahrungen und zum Teil grossen Visionen Thema einer internationalen Konferenz in Nürnberg. Eingeladen hatten Christoph Pflaum und Riccarda Scherner und ihr Team von der Friedrich-Alexander-Universität mit deren Energie-Campus Nürnberg, einem Institut der dortigen Hochschule, um über elektrische Luftschiffe zu diskutieren. Gekommen waren Vertreterinnen und Vertreter gestandener Unternehmen, kleiner und grosser Neugründungen und verschiedener Forschungsinstitute aus Kanada, den USA, Frankreich, Israel, Indien, Grossbritannien, Spanien und Deutschland.
Pflaum hatte kürzlich gemeinsam mit Kolleg:innen eine Studie über einen simulierten Luftschiffflug veröffentlicht. Es ging darum, abzuschätzen, in welcher Zeit und mit welchem Energieaufwand ein Schiff von den Ausmassen der «Hindenburg», ausgerüstet mit Elektromotoren, Dünnschichtsolarzellen und Akkus, bei realistischen Windverhältnissen von Spanien zu den Kanaren oder von London nach New York schweben könnte. Als Traglast wurden mit der Massgabe von realistischen Gewichten für Motoren, Akkus und Solarzellen sechzig Tonnen berechnet.
Das Ergebnis: In einer Flughöhe von 2000 Metern könnte ein solches Luftschiff binnen elf Stunden von Madrid aus die kanarischen Inseln erreichen. Die Strecke New York–London könnte in rund 60 Stunden zurückgelegt werden, für den umgekehrten Weg wären im Durchschnitt 76,7 Stunden nötig. Die Differenz ist auf die in unseren Breiten üblicherweise wehenden Westwinde zurückzuführen.
Pflaums Simulation ging davon aus, dass die Akkus vor dem Start geladen werden müssen, und er hat für diesen Strom das derzeitige durchschnittliche Emissionsniveau angenommen. Unter dem Strich kommt im Vergleich zum heutigen Luftverkehr heraus, dass im Personenverkehr nur fünf und im Frachttransport auf Langstreckenflügen gar weniger als ein Prozent der heute üblichen CO₂-Emissionen anfallen würden.
Entschleunigt reisen
Doch wie realistisch ist bei diesen Flugzeiten ein kommerzieller Personenverkehr per Luftschiff? Eckhard Breuer von der ZLT Zeppelin Luftschifftechnik zeigte sich auf der Nürnberger Konferenz äusserst skeptisch. Sein Unternehmen hat in den 1990er Jahren nicht nur Schiffe gebaut, sondern auch den Zeppelin NT entwickelt. Drei Exemplare fliegen heute in den USA für Goodyear, und eines wird im Eigenbetrieb für touristische Rundflüge und wissenschaftliche Projekte vermarktet. Ein weiteres wird für den Eigenbedarf gebaut. Mit einer Länge von 75 Metern und einer maximalen Passagier:innenzahl von vierzehn Personen ist der Zeppelin NT aber im Vergleich zu den historischen Vorgängern ein Zwerg.
Kommerziellen Linienverkehr mit Luftschiffen hält Breuer für nicht machbar und vollkommen unrealistisch. Die Menschen wollten schnell von A nach B, deshalb habe das Flugzeug die Luftschiffe abgelöst. Ausserdem seien Luftschiffe nur bei gutem Wetter einsetzbar. Der Zeppelin NT bleibe im Winter bei Schnee und Eis im Hangar. Andere sind optimistischer. Konferenzgastgeber Pflaum zum Beispiel glaubt durchaus, dass es eine Klientel gibt, die aus Sorge ums Klima nicht mehr fliegt und an emissionsarmen oder gar emissionsfreien Alternativen Interesse hätte.
Und hätten unsere Gesellschaften nicht ohnehin eine Entschleunigung und eine Reduktion der Arbeitszeit dringend nötig? Mit stetig steigender Produktivität werden heute immer mehr, oft verschwenderische und zerstörerische Güter produziert, die zumindest in den reichen Ländern schon längst keinen Zuwachs an Lebensqualität mehr bringen. Ein solcher würde für viele eher in mehr Freizeit bestehen, die dann eben auch mal zu einer transkontinentalen Reise in einem komfortablen Luftschiff genutzt werden könnte.
Doch noch fliegen diese nicht. Aber immerhin plant die britische Firma Airlander, 2030 das erste hybride Luftschiff mit voll elektrischem Antrieb für den Personenverkehr auszuliefern. Eine spanische Firma hat bereits eine verbindliche Kaufabsicht unterzeichnet und will mit mehreren Schiffen einen Linienverkehr vom Festland zu den Balearen anbieten. Das Schiff wird eine Traglast von zehn Tonnen haben. Bereits 2033 soll eine grössere Version mit einer Traglast von fünfzig Tonnen folgen.
Eine hohe Nutzlast wäre auch von grösserem Interesse für den Gütertransport per Luftschiff, auf den viele Länder verstärkt setzen. «Der Markt ist zu uns gekommen», meinte in Nürnberg Sylvain Allano von der Firma Flying Whales aus Frankreich. Sein Unternehmen habe gar nicht werben müssen, die Interessent:innen kämen zu ihnen und fragten, wann sie kaufen könnten. Geplant ist ein speziell auf den Frachttransport zugeschnittenes Luftschiff. Wann die erste Auslieferung stattfindet, ist noch offen, aber Anfang September wurde ein Vertrag über eine dritte Fabrik für die Flying-Whales-Luftschiffe in Australien abgeschlossen – nebst den Standbeinen in Frankreich und im kanadischen Québec. Ab dem nächsten Jahr soll die Produktion eines ersten Schiffs mit sechzig Tonnen Traglast beginnen, ab 2026 hofft man, bereits in die Zertifizierungsphase eintreten zu können.
Die Arktis erschliessen
Erste Abnehmer:innen könnte es in Kanada geben. Dort wartet man schon seit Jahren auf eine Lösung, um die Siedlungen im abgeschiedenen Norden besser versorgen zu können. Jeder Transport dorthin muss entweder durch die Luft oder im Winter über Schotterpisten und zugefrorene Seen gehen. Doch in Zeiten des Klimawandels werden die Frostperioden kürzer, in denen das Eis dick genug ist, um schwere Lkws zu tragen. Der auftauende Permafrost verwandelt zudem Wege in Mondlandschaften, wie Ross Prentice in Nürnberg eindringlich schilderte.
Prentice arbeitet für Basi, ein kanadisches Unternehmen, das an der Entwicklung von Luftschiffen für den Einsatz in der Arktis arbeitet. Das Basi-Team hofft, mit Luftschiffen die Transportkosten für Kanadas Norden zu senken und so auch die Lebensbedingungen für die dort lebenden Indigenen zu verbessern.
Gelingt dies, könnte die neue alte Technologie vermutlich nicht nur rund um die Arktis den Verkehr vereinfachen, sondern auch in vielen Flächenländern mit unzureichender Infrastruktur zum Einsatz kommen. Ob das allerdings zum Nutzen der örtlichen Bevölkerung sein wird oder doch eher der Naturzerstörung weiteren Vorschub leistet, wird wie immer von politischen Kräfteverhältnissen abhängen.