Energiepolitik : Strom vor Naturschutz

Nr. 40 –

Der sogenannte Mantelerlass, der die Stromversorgung erneuerbar aufgleisen soll, ist zu Ende beraten. Die Schlussabstimmung im Nationalrat ging glatt über die Bühne: Einzig die halbe SVP-Fraktion stimmte dagegen – und aus anderen Gründen Kurt Fluri, der (abtretende) letzte Naturschützer der FDP. Um es positiv zu sagen: Mit vielen Kompromissen ist es dem Parlament gelungen, eine mehrheitsfähige Vorlage zu schaffen. Der Mantelerlass bringt die Dekarbonisierung voran: mit der Förderung von Solaranlagen auf Dächern, mit Effizienzzielen für Stromversorger und mit lokalen Elektrizitätsgemeinschaften.

Der Preis des Kompromisses ist allerdings hoch. Das Parlament hat bei der Wasserkraft Ausbauziele festgeschrieben, die die letzten freien Flüsse gefährden. Es lässt zu, dass geschützte Auen nur noch Restwasser bekommen, also vertrocknen. Und es hat den Vorrang für sechzehn Wasserkraftprojekte ins Gesetz geschrieben – eine fragwürdige Liste, wie der «Beobachter» gezeigt hat. Keine der grossen Umweltorganisationen wird es noch wagen, diese Projekte ernsthaft zu bekämpfen.

Nicht nur, dass konkrete Projekte im Gesetzestext stehen, ist rechtlich problematisch. Im Mantelerlass heisst es auch, Energieanlagen seien «ab einer bestimmten Grösse und Bedeutung von nationalem Interesse». Der Bundesrat erkenne aber auch kleineren Anlagen ein nationales Interesse zu, wenn sie «einen zentralen Beitrag zur Erreichung der Ausbauziele» leisteten – was immer das bedeutet. Ist ein nationales Interesse definiert, kann der Bundesrat das Bewilligungsverfahren abkürzen lassen.

«In allen Stromproduktionsbereichen haben wir nämlich einen Vorrang gegenüber dem Naturschutz»: So kommentierte Bundesrat Albert Rösti im Ständerat den Mantelerlass. Es sei «ein Riesenfortschritt», dass in der Güterabwägung der sechzehn Wasserkraftprojekte «gesagt wird, dass die Stromproduktion vor dem Schutzbereich zu werten ist, vor dem Naturschutz, vor der Ökologie». Man sollte sich von Röstis mundartlich gewürzter Rhetorik nicht täuschen lassen. Er meint genau, was er sagt.