Serie: Utopien (de)montieren

«Sex Education» geht in die vierte und letzte Staffel, und die Feuilletons sind enttäuscht: Die Serie sei zu einer listenartigen Veranschaulichung verschiedenster Lebens- und Liebesformen ohne Tiefgang verkommen. Dieser Vorwurf ist einigermassen erstaunlich: Die Sendung trat von Beginn an mit dem pädagogischen Anspruch auf, alle progressiven Diskurse gleichzeitig zu thematisieren und dabei neue Sehgewohnheiten zu schaffen. Nicht von ungefähr steht «Education» schon im Titel.
Sex ist hier mit allen Unsicherheiten und Unzulänglichkeiten dargestellt, und wer nicht das perfekte Leben lebt, wird sich wohl auch in der neuen Staffel in vielen Szenen selbst wiederfinden: beim Versenden unvorteilhafter Nudes beispielsweise oder beim Verzweifeln daran, nicht die perfekte Mutter zu sein. All das wird schrill und schön in Szene gesetzt, ohne dass die Figuren auf ihr Scheitern reduziert würden.
Dabei werden über alle acht Folgen Charaktere konstruiert, die zwar in ihren Ansprüchen und ihrer Moral zu Beginn radikal erscheinen mögen, dabei aber immer wieder maximal inkonsequent an sich selbst scheitern. Da wäre etwa Otis, der allen eine ehrliche Kommunikation nahelegt, im Umgang mit seiner Freundin Maeve aber nur herumdruckst. Oder Abbi, die das Marmeladenglas der Moral mit sich herumträgt, in das Geld werfen muss, wer beim Lästern erwischt wird. Als sie aber selbst über eine Mitschülerin herzieht – «Diese Person trägt so viele negative Energien mit sich herum!» –, kontert sie den Hinweis, dass sie nun auch einzahlen müsste, mit den Worten: «Das ist nicht Klatsch, sondern eine Tatsache!»
So werden in einem fort die eigenen Utopien montiert und demontiert, und es wird offensichtlich, was progressive Diskurse für Menschen mit ehrlichem Interesse im besten Fall sein können: Vorschläge, wie ein rücksichtsvolleres Leben zu führen wäre – ohne dass das dann moraltriefend in Perfektion umgesetzt werden müsste. Oft zeitigt ja schon der aufrichtige Versuch seine Wirkung.