Predator Files: Schlupflöcher und zahnlose Behörden

Nr. 41 –

Mächtige Cyberwaffen «made in Europe» gelangten jahrelang an Despoten – auch dank der Schweiz. Möglichkeiten, die Versäumnisse in den Griff zu bekommen, werden hierzulande kaum genutzt.

Jahrelang exportierte die Intellexa-Allianz von Europa aus Überwachungstechnologie, auch an autokratische Regimes, wie die «Predator Files» aufgezeigt haben (siehe WOZ Nr. 40/23). Möglich wurde das unter anderem durch ein komplexes Geflecht von Unternehmen und Geschäftsbeziehungen. Deren Verwirrungsstrategie beginnt schon beim Namen: Intellexa bezeichnet sowohl eine Firmenallianz als auch eine einzelne Unternehmensgruppe, die eigene Produkte vermarktet.

Ehemalige Partner distanzieren sich heute von der Allianz, das Unternehmen besteht aber weiter. Es organisiert sich rund um eine Holdinggesellschaft in Irland und hat zahlreiche Tochterfirmen in europäischen Ländern. Der Geldfluss zwischen den Firmen, deren Geschäfte und Eigentumsverhältnisse sind nur schwer nachvollziehbar. Dahinter stecke bewusstes Kalkül, ist Dominik Gross, Experte für Steuer- und Finanzpolitik beim Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit Alliance Sud, überzeugt. Die Intellexa-Standorte seien «entweder Tiefsteuergebiete für multinationale Konzerne wie Irland oder steuer- und finanzrechtliche Dunkelkammern wie Malta».

Der Standort Schweiz erfüllt sogar beide Kriterien – und spielt im Intellexa-Konstrukt eine zentrale Rolle: Wer der Unternehmensstruktur der irischen Mutterholding von Intellexa folgt, landet bei einem Treuhänder in Lugano. Der Tessiner Andrea Gambazzi ist laut Unternehmensdaten aus Irland von 2021 wirtschaftlich Berechtigter des Mutterkonzerns Thalestris Limited. Zudem hatte er zahlreiche Rollen bei weiteren Firmen der Intellexa-Unternehmensgruppe inne.

Harmloser Gesetzesentwurf

Wirtschaftlich Berechtigter ist jemand, wenn ihm eine Firma gehört oder er diese kontrolliert. Die Schweiz gilt nach wie vor als Finanzplatz mit beträchtlichen Lücken, wenn es darum geht, solche Hintergründe sichtbar zu machen. Das macht sie für Firmen und deren Eigentümer:innen zwar attraktiv, führt aber auch zu zunehmendem Druck von Partnerländern. Anders als auf EU-Ebene, wo die Geldwäschereirichtlinie öffentliche Register für wirtschaftlich Berechtigte vorsieht, ist das hierzulande bisher nicht der Fall.

Zwar soll die Lücke nun geschlossen werden, wie der Bundesrat angekündigt hat: Seit dem 30. August läuft die Vernehmlassung zum «Gesetz über die Transparenz juristischer Personen» (TJPG). Doch dieses orientiert sich nur an Mindeststandards. Der Vorschlag sieht ein nicht-öffentliches Register unter Führung des Eidgenössischen Polizei- und Justizdepartements vor. Zugang hätten nur Behörden. «Damit das Register wirkt, müsste es aber so öffentlich wie möglich sein», kritisiert Dominik Gross. Strukturen wie Intellexa würde das Gesetz sonst kaum gefährlich werden. Deren transnationale Strukturen «finden in jedem Land jenes spezifische Schlupfloch, das zum ganzen Konstrukt am besten passt», sagt Gross.

Internationale Kooperation: Zur Recherche

Gemeinsam mit internationalen Partnern recherchierte die WOZ während über einem Jahr zu den Geschäften der sogenannten Intellexa-Allianz – eines führenden Anbieters von höchst umstrittener Überwachungstechnologie wie zum Beispiel der Spionagesoftware Predator.

Ausgangspunkt für die Recherche waren vertrauliche Dokumente, die das französische Portal «Mediapart» und das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» erhielten. Dabei handelt es sich um Akten aus französischen Ermittlungen sowie um Unterlagen zum deutschen Rüstungskonzern Hensoldt mit Hinweisen auf Intellexa.

Die internationale Recherche hat das Mediennetzwerk European Investigative Collaborations (EIC) koordiniert. Folgende EIC-Mitglieder waren beteiligt: «Mediapart» (Frankreich), «Der Spiegel» (Deutschland), «NRC» (Niederlande), «Politiken» (Dänemark), «Expresso» (Portugal), «Le Soir» (Belgien), «De Standaard» (Belgien), «VG» (Norwegen), «infolibre» (Spanien) und «Domani» (Italien). Für diese Recherche hinzu kamen «Shomrin» (Israel), «Reporters United» (Griechenland), «Daraj Media» (Libanon), die «Washington Post» (USA) und die WOZ. Unterstützt wurden sie fachlich vom Security Lab von Amnesty International.

Die Publikation erfolgt zeitgleich in den beteiligten Medien. Die Partner werden in den kommenden Tagen weitere Berichte veröffentlichen. Auch auf www.woz.ch und in der nächsten Ausgabe folgen zusätzliche Beiträge.

Predator Files Logo

Gemeinsam mit Alliance Sud und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren setzt sich auch Public Eye für ein möglichst zugängliches Transparenzregister ein. Dieses müsse auch das Geschäftsmodell von Strohmännern auflösen sowie Eigentumsverhältnisse und kontrollierende Personen effektiv sichtbar machen, fordert die NGO und kritisiert: «Nach unserer bisherigen Analyse leistet der Gesetzesentwurf zum TJPG genau das nicht.» Denn laut diesem müssten Finanzberater:innen, die wie Gambazzi als Treuhänder:innen Gesellschaftsanteile an einem Unternehmen halten, diesem nach wie vor nicht mitteilen, für wen sie stellvertretend handeln. Und so kann auch das Unternehmen die Behörden nicht über seine genauen Eigentumsstrukturen informieren.

Der Standort Schweiz kommt Intellexa nicht nur bei der Verschleierung der Geschäfte gelegen, sondern auch wegen des regulatorischen Umfelds. Laut Handelsdaten hat die in Lugano ansässige Thalestris Switzerland SA, die in Intellexas Namen Verträge abschliesst, Exporte von Softwareprodukten nach Kasachstan abgewickelt. Auf Nachfragen der WOZ äusserte sich die Firma nicht dazu. Vor dem Hintergrund der Menschenrechtslage in Kasachstan zeigt sich Robert Bachmann, Experte für Finanzen und Rohstoffe bei Public Eye, alarmiert. Er fordert eine Untersuchung des Geschäfts durch die zuständigen Behörden: «Geprüft werden muss insbesondere, wer der Käufer in Kasachstan war und ob die Software für die Überwachung der Zivilgesellschaft eingesetzt wurde.»

Geht es um Exporte oder Vermittlungsgeschäfte mit Spionageprodukten, käme eigentlich die 2015 eingeführte Verordnung über die Ausfuhr und Vermittlung von Gütern zur Internet- und Mobilfunküberwachung (VIM) zum Zug. Damit kündigte das für die Exportkontrolle zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) eine strengere Beurteilung von Ausfuhr- und Vermittlungsgesuchen für Güter zur Internet- und Mobilfunküberwachung an. Seitdem gilt auch «Repression» in einem Empfängerstaat als Ablehnungsgrund. Jurist Nicolas Bueno, Experte für Wirtschaft und Menschenrechte, lobt die VIM. Er kritisiert aber, dass sie bis heute kaum zur Anwendung kommt: «Noch gibt es keinerlei Rechtsprechung zum Tatbestand der Vermittlung.»

Seco in Abwehrhaltung

Unternehmen müssen Vermittlungs- und Exporttätigkeiten selbstständig melden. Tun sie das nicht, machen sie sich strafbar. Dafür muss ihnen aber jemand auf die Schliche kommen. Das hat seine Tücken, denn der Markt für Spionageprodukte ist schwer kontrollierbar, Exporte von Software lassen sich laut dem Seco kaum überprüfen. Umso wichtiger sei es, dass Behörden auf Hinweise hin tätig würden, fordert Bueno. Es sei dann an der Bundesstaatsanwaltschaft, mit einer Untersuchung aktiv zu werden und Urteile zu fällen. Nur so entstehe Rechtspraxis und damit auch Rechtssicherheit rund um die VIM.

Behörden in Abwehrhaltung und ein Wirtschaftsstandort, der intransparente Firmenstrukturen weiterhin fördert – so fassen die SP-Kopräsident:innen Mattea Meyer und Cédric Wermuth das Problem in ihrem Podcast zusammen. Um das zu ändern, braucht es den politischen Willen dazu. Und bis dahin? Die NGO Amnesty International, die lange ein Moratorium für den Handel mit Spionageprodukten forderte, geht nach den neusten Erkenntnissen noch einen Schritt weiter: Sie verlangt ein vollständiges Verbot hochgradig invasiver Spionageprogramme. «Es gibt einfach keine Möglichkeiten, sich dagegen zu schützen», sagt Donncha Ó Cearbhaill von Amnestys Security Lab. Aus der Schweizer Politik bleibt es zu solchen Forderungen bislang still.

* Lorenz Naegeli ist Teil des WAV-Recherchekollektivs: www.wav.info.

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