Nexa-Skandal in Frankreich: Heisser Draht ins Élysée
Weitgehend unbehelligt von den Behörden und mit besten Kontakten bis zu Präsident Macron: Die Geschäfte der Firma Nexa mit autoritären Herrschern könnten zu einem grösseren Politikum werden.
Im Juni 2021 wird es für Stéphane Salies ungemütlich. Der Gründer der französischen Firma Nexa muss vor zwei Untersuchungsrichterinnen Platz nehmen. Wenige Tage zuvor hat die Gendarmerie Salies’ Wohnsitz und die Büros des Unternehmens durchsucht – unddabei Notizen, Verträge und andere Dokumente sichergestellt. Die Ermittlung führt das Büro für den Kampf gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Hassverbrechen, das der Gendarmerie nationale angegliedert ist.
Das Material hat es in sich. Es geht darin um Lieferungen an autoritäre Staaten. Bald eröffnet die Justiz Strafverfahren gegen Stéphane Salies und weitere Führungspersonen – sowie gegen Nexa und deren Vorgängerfirma. Der Vorwurf: Beihilfe zu Folter. Die Beschuldigten streiten dies ab, für sie gilt die Unschuldsvermutung.
Im Lauf der Ermittlungen kommen immer neue Tatsachen ans Licht: Trotz geltendem Waffenembargo der Uno soll Nexa Ende 2020 einen Vertrag mit dem libyschen General Chalifa Haftar abgeschlossen haben (vgl. «Spionageprodukte für den Bürgerkrieg»). Doch so klar die Beweise auch sind, die juristischen Verfahren kommen nur schleppend voran. Versucht der französische Staat, Nexa zu schützen?
Geheime Deals mit einem libyschen General, Nexa-Verantwortliche mit direktem Kontakt zu Präsident Emmanuel Macron, dubiose Vermittlungsgeschäfte durch dessen ehemaligen Sicherheitsmitarbeiter: All das zeigen die Recherchen der WOZ und ihrer Partnermedien (vgl. «Zur Recherche» weiter unten).
Umweg über Dubai
Stéphane Salies ist schon lange im Business tätig. 1996 übernimmt er das Unternehmen seiner Mutter, das Abhörtechnologie für den französischen Geheimdienst herstellt. Später lanciert er die Firma Amesys, die sich in Frankreich bald lukrative Staatsaufträge sichern kann.
Auch auf der anderen Seite des Mittelmeers findet Salies einen neuen Kunden: den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi. 2007 entwickelt Amesys für dessen Regime die Software «Eagle»: Laut Eigenbeschrieb soll sie in der Lage sein, den Internetverkehr «in der Grössenordnung eines ganzen Landes» zu überwachen. Offiziell geht es in Libyen um die «Bekämpfung von Terrorismus». Tatsächlich, so befürchten die Ermittlungsbehörden, soll Eagle der Verfolgung Oppositioneller gedient haben.
Internationale Kooperation: Zur Recherche
Gemeinsam mit internationalen Partnern recherchierte die WOZ während über einem Jahr zu den Geschäften der sogenannten Intellexa-Allianz – eines führenden Anbieters von höchst umstrittener Überwachungstechnologie wie zum Beispiel der Spionagesoftware Predator.
Ausgangspunkt für die Recherche waren vertrauliche Dokumente, die das französische Portal «Mediapart» und das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» erhielten. Dabei handelt es sich um Akten aus französischen Ermittlungen sowie um Unterlagen zum deutschen Rüstungskonzern Hensoldt mit Hinweisen auf Intellexa.
Die internationale Recherche hat das Mediennetzwerk European Investigative Collaborations (EIC) koordiniert. Folgende EIC-Mitglieder waren beteiligt: «Mediapart» (Frankreich), «Der Spiegel» (Deutschland), «NRC» (Niederlande), «Politiken» (Dänemark), «Expresso» (Portugal), «Le Soir» (Belgien), «De Standaard» (Belgien), «VG» (Norwegen), «infolibre» (Spanien) und «Domani» (Italien). Für diese Recherche hinzu kamen «Shomrin» (Israel), «Reporters United» (Griechenland), «Daraj Media» (Libanon), die «Washington Post» (USA) und die WOZ. Unterstützt wurden sie fachlich vom Security Lab von Amnesty International.
Die Publikation erfolgt zeitgleich in den beteiligten Medien. Die Partner werden in den kommenden Tagen weitere Berichte veröffentlichen. Auch auf www.woz.ch und in der nächsten Ausgabe folgen zusätzliche Beiträge.
Mit Gaddafis Sturz 2011 machen Medien die Existenz von Eagle publik. In der Folge zeigen zwei NGOs Amesys an, später nimmt die Staatsanwaltschaft Ermittlungen auf. Trotz beträchtlichem Imageschaden weiss sich Salies zu helfen: 2012 kauft er Amesys die Rechte an Eagle ab und gründet mit seiner rechten Hand Olivier Bohbot ein neues Unternehmen. Es ist die Geburtsstunde von Nexa – Eagle heisst fortan Cerebro. Das alte schmutzige Geschäft erhält einen neuen, sauberen Anstrich.
An der Geschäftspraxis ändert sich indes wenig. Laut den Dokumenten verkauft die Firma Nexa ihre Produkte in mindestens zwanzig Länder, viele davon mit autoritären Regimes wie Katar und Pakistan. Für die Geschäfte verwendet sie Codenamen, die nach Süssigkeiten benannt sind: «Toblerone», «Milka» oder «Ferrero».
Die erforderlichen Exportlizenzen umgehen Stéphane Salies und Olivier Bohbot mit einem gewieften Trick. Neben Nexa gründeten die beiden in Dubai eine weitere Firma: Advanced Middle East Systems (Ames). Offiziell besteht zwischen den beiden Firmen keine Verbindung; interne Dokumente zeigen jedoch, dass es sich um Schwesterfirmen handelt – Ames ist Nexas Vertriebsbüro, kann von Nexa hergestellte Spionagesoftware unter eigenem Namen verkaufen. Dank des Sitzes in Dubai gebe es «keine langen Prozeduren von Exportkontrollen», schreibt Salies 2014 dem pakistanischen Geheimdienst.
Im gleichen Jahr wird über Ames Überwachungssoftware, darunter Cerebro, ans ägyptische Regime geliefert – für 15,6 Millionen Euro. Als die Presse 2017 davon Wind bekommt, reichen die beiden NGOs eine neue Anzeige ein, worauf die Staatsanwaltschaft erneut wegen «Beihilfe zu Folter» ermittelt. Für Salies ist der Skandal einer zu viel: Er tritt als Nexa-CEO zurück und überlässt die Firma Bohbot. Sein Mandat als Ames-Boss behält er. 2018 zieht er nach Dubai.
Eine heikle Notiz
An den Geschäftsbeziehungen, die der französische Staat zu Nexa unterhält, ändert all das wenig. Zwischen 2014 und 2021 erhält Nexa laut den Informationen, die dem Rechercheverbund EIC vorliegen, von verschiedenen Ministerien und Geheimdiensten Aufträge im Umfang von mindestens 11 Millionen Euro. Besonders brisant: Die Firma hatte einen direkten Draht in den Élysée-Palast.
Bei ihrer Durchsuchung im Sommer 2021 stösst die Gendarmerie bei Renaud Roques, der Nummer drei bei Nexa, auf einen heiklen Notizbucheintrag. Unter dem Datum des 24. April 2018 geht es um eine Präsentation der Firma. Die handgeschriebene Notiz erwähnt drei spezielle Personen und deren Telefonnummern: Präsident Macron höchstpersönlich, dessen damaligen Sicherheitsberater Alexandre Benalla sowie Élysée-Sicherheitschef General Éric Bio-Farina. Alles deutet auf ein Treffen zwischen ihnen und Nexa hin. Am 3. Mai 2018 findet anscheinend ein weiterer Austausch statt – laut einem neuen Eintrag im beschlagnahmten Notizbuch diesmal ohne Macron und Benalla, dafür wieder mit Bio-Farina. Was daraus geworden ist, bleibt im Dunkeln. Weder der Élysée-Palast noch Benalla oder Roques antworten auf die entsprechenden Fragen des EIC; auch die Nexa-Bosse Salies und Bohbot schweigen dazu.
2018 wird Alexandre Benalla aus dem Dienst entlassen und arbeitet fortan als privater Sicherheitsberater. Mit Nexa unterhält er weiter Verbindungen. Die vorliegenden Dokumente weisen darauf hin, dass er ab 2020 half, für Nexa Kontakte zu möglichen Käufern in Saudi-Arabien herzustellen: Allein zwischen Juni 2020 und Juni 2021 tauschen Benalla und Bohbot über Whatsapp nicht weniger als 499 Nachrichten aus. Nach ihrer Beziehung zu Benalla gefragt, schreiben die Nexa-Bosse Salies und Bohbot bloss: «Über Mr. Benalla wurde nie ein Vertrag unterzeichnet, er selbst hat nie irgendeine Vergütung von uns erhalten.»
Die Untersuchungsrichterinnen, die 2021 in den Fällen Libyen und Ägypten Strafverfahren eingeleitet haben, beantragen, den Fokus auf die Geschäfte mit Saudi-Arabien auszuweiten. Die Entscheidung darüber liegt in Frankreich bei der Staatsanwaltschaft; im Fall Nexa ist ein Antiterrorstaatsanwalt zuständig, dem enge Beziehungen zu Präsident Macron nachgesagt werden. Dieser weist das Gesuch der Richterinnen zweimal ab.
Die Untersuchungsrichterinnen stossen auf einen weiteren heiklen Deal: So soll Nexa 2020 einen Vertrag mit dem libyschen General Chalifa Haftar über den Verkauf von Überwachungstechnologie im Wert von 3,3 Millionen Euro abgeschlossen haben, obwohl gegen das Land ein Uno-Waffenembargo verhängt ist. Auch in diesem Fall beantragen die Richterinnen die Ausweitung der Untersuchung – und werden ausgebremst. So erteilt die Antiterrorstaatsanwaltschaft dem Wunsch nach einer weitreichenden Untersuchung des Nexa-Deals mit Haftar eine Absage. Er stimmt aber einer Untersuchung wegen Verstosses gegen das Embargo zu. Doch auch diese kommt nicht in Gang. Erforderlich wäre dafür eine Beschwerde des Wirtschaftsministeriums – eine solche wird nie eingereicht.
Ist Nexa dank des Schutzes des französischen Staates entkommen? Auf die Frage, ob sie das Ministerium informiert habe, will die Staatsanwaltschaft nicht eingehen. Und auch im Zentrum der Macht bleibt es still: Nach dem Deal mit Haftar gefragt, antworten dem EIC weder der Wirtschaftsminister noch Präsident Macron.
* Lorenz Naegeli ist Teil des WAV-Recherchekollektivs: www.wav.info
Verbindungen in die Schweiz
Von April 2009 bis zu ihrer Auflösung im Februar 2015 hatte die Firma Amesys einen Ableger in der Schweiz: die Amesys Switzerland Sàrl in Lausanne. Worin genau ihr Zweck bestand, lässt sich auf Nachfrage bei ehemaligen Mitarbeitenden nicht klären. Auch Stéphane Salies bekleidete zwischenzeitlich Ämter bei der Schweizer Firma. Als Salies schon vor 2021 mehrmals wegen Amesys-Geschäften mit dem Gaddafi-Regime polizeilich verhört wurde, kam ein weiteres interessantes Detail ans Licht. Mindestens ein Geschäft nach Libyen erfolgte demnach über eine andere Schweizer Firma: die Surveillance Consulting Group (SCG) in Genf. Dabei soll es sich um den Verkauf von Anti-RCIED-Fahrzeugen – also gegen Fernzündung von Bomben gesicherte Autos – für das Gaddafi-Regime gehandelt haben.
Amesys trat laut Salies bei diesem Geschäft als Vermittlerin auf: «Das wurde mit einer Schweizer Firma unterverhandelt, mit Herrn Patrick Eugster, der Export erfolgte aus der Schweiz. Das war ein Vermittlungsvertrag», sagte Salies 2017 im Verhör. Die besagte Firma ging Ende 2011 in Konkurs. Ein «Patrik» geschriebener Eugster, der auch im Rüstungsreport auftaucht, ist bis heute im Bereich der Telekommunikations- und Informationssysteme tätig. Er ist Hauptgesellschafter einer Firma mit Sitz in Zug, deren Abkürzung ebenfalls SCG lautet, sich mit vollem Namen aber Security Counterintelligence Group Ltd. nennt.
Und diese ist nach wie vor umtriebig: Wie aktuelle Zahlen der Exportkontrolle des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zeigen, liess die SCG im Jahr 2022 Exporte in die Vereinigten Arabischen Emirate in der Kategorie ML11 bewilligen, die auch Störsender und weitere Ausrüstung für elektronische Kriegsführung miteinschliesst. Zudem wird Eugster laut Genfer Handelsregister als Vizepräsident der Firma Advanced Defence Technologies mit Sitz in Genf aufgeführt. Deren Spezialgebiet: Störsysteme für ferngezündete Bomben. Auch für Autos wie jene, die anscheinend an Gaddafi geliefert wurden. Auf die Versuche der WOZ, ihn mit Salies’ Aussagen zu konfrontieren und ihn zu seinen aktuellen Geschäften zu befragen, hat Eugster nicht reagiert.