Predator Files : Die Schweiz als Drehscheibe

Nr. 39 –

Die USA verhängen erneut Sanktionen gegen das Spionageunternehmen Intellexa und damit verbundene Personen – darunter ein Schweizer Treuhänder. Die WOZ weiss: Auch die Bundesanwaltschaft hat eine Strafuntersuchung eröffnet.

Illustration von Marcel Bamert: Boote mit Fischern und ein Vortex-Strudel welcher das Logo von Intellexa verschlingt
Das Intellexa-Netz gerät zunehmend unter juristischen Druck – auch in der Schweiz. Derweil führen neue Spuren nach Genf.

Andrea Nicola Costantino Hermes Gambazzi trägt einen schillernden Namen. Schillernd ist auch die bisherige Karriere des 57-jährigen Treuhänders aus dem Tessin. In den neunziger Jahren arbeitete er als junger Wirtschaftsanwalt für die UBS, später auch für den Lebensversicherer Swiss Life. Mitte der nuller Jahre übernahm er eine Anwaltskanzlei in Lugano und betätigte sich auch treuhänderisch. Aktuell hält er gemäss Wirtschaftsauskunftsdienst Moneyhouse 28 aktive Firmenmandate: Immobiliengeschäfte, Handelsgesellschaften, Forschung und Entwicklung, Anwaltstätigkeiten – es ist ein breites und auch lukratives Portfolio.

Seit letzter Woche liegt seine Treuhänderkarriere mutmasslich in Trümmern. Der Name Andrea Nicola Costantino Hermes Gambazzi steht seit dem 16. September auf der Sanktionsliste des US-Finanzministeriums. Dieses verkündete letzte Woche auf seiner Website Sanktionen gegen «die Hintermänner des kommerziellen Intellexa-Spionagekonsortiums», wozu es schwarz auf weiss auch Gambazzi zählt. In seinem Schreiben stellte das US-Ministerium unmissverständlich klar, was es von Intellexas Millionengeschäft mit Überwachungstrojanern hält: «Die Vereinigten Staaten werden die rücksichtslose Verbreitung disruptiver Technologien, die unsere nationale Sicherheit bedrohen und die Privatsphäre und die bürgerlichen Freiheiten unserer Bürger untergraben, nicht dulden.» Für Gambazzi sind seither keine Transaktionen mit US-Firmen und Finanzinstituten mehr möglich, sein wirtschaftliches Handlungsfeld ist stark eingeschränkt, der Reputationsschaden enorm.

Seco stellt Strafanzeige

Vor ziemlich genau einem Jahr enthüllte die WOZ in einer internationalen Recherchekooperation das weitverzweigte Firmengeflecht des Intellexa-Konsortiums rund um den israelischen Exgeheimdienstler Tal Dilian (siehe WOZ Nr. 40/23). Dieses verkaufte von Europa aus mächtige Cyberwaffen, die in autoritären Regimes, aber auch in europäischen Demokratien missbräuchlich eingesetzt wurden. Die Schweiz spielte dabei – über Gambazzi – eine Schlüsselrolle als sicherer Hafen zur Verschleierung dieser Geschäfte und der damit verbundenen Geldflüsse.

Während die USA bereits im März 2024 ein erstes Sanktionspaket gegen Teile des Intellexa-Konsortiums und Dilian vorlegte, tat sich in Europa auf juristischer Ebene gar nichts. Bis jetzt jedenfalls. Denn wie die WOZ nun in Erfahrung bringen konnte, hat die Bundesanwaltschaft diesen Sommer ein Strafverfahren «im Zusammenhang mit dem mutmasslichen Kauf und Wiederverkauf von ‹Predator›-Software» eröffnet. Grundlage dafür war eine Strafanzeige des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) «gegen eine natürliche Person» wegen des Verdachts auf Verletzung der Ausfuhrbestimmungen. Es gilt die Unschuldsvermutung. Weitere Informationen zum laufenden Strafverfahren gibt die Bundesanwaltschaft nicht preis.

Dass in der Schweiz eine Strafuntersuchung läuft, ist laut dem Rechtsprofessor Nicolas Bueno ein wichtiger Schritt für die noch junge Gesetzgebung rund um Güter zur Internet- und Mobilfunküberwachung. In der Schweiz gelte eine Bewilligungspflicht für die Ausfuhr und die Vermittlung von solchen Gütern. «Damit will sie sicherstellen, dass diese im Ausland nicht zur Repression verwendet werden, zu erhöhter regionaler Spannung oder Instabilität führen oder einen bewaffneten Konflikt verschärfen», sagt Bueno. Das Seco und die Bundesanwaltschaft könnten diesem Anspruch nur gerecht werden, wenn sie rund um vermutete Verstösse auch tatsächlich tätig würden.

Gambazzis Rolle im Netzwerk

Wie die «Predator Files» vor einem Jahr aufzeigten, führten gleich mehrere Spuren des Intellexa-Netzwerks in die Schweiz. Tal Dilian, Gründer des Konsortiums und treibende Kraft hinter den Deals mit autoritären Regimes wie Ägypten, Madagaskar oder Vietnam, besass im letzten Herbst ein luxuriöses Chalet im Unterwalliser Bergdorf Champéry. Als Administrator von Whatsapp-Gruppen, in denen die Deals verhandelt wurden, nutzte Dilian teilweise eine Schweizer Handynummer. Gut möglich also, dass er seine Intellexa-Geschäfte auch von der Schweiz aus abwickelte.

Eine noch wichtigere Rolle spielte aber Andrea Gambazzi. Der Tessiner Treuhänder war wirtschaftlicher Berechtigter der irischen Mutterholding von Intellexa. Damit übte er – zumindest auf dem Papier – die Kontrolle über den zentralen Teil der Unternehmensstruktur aus. Von Lugano aus führte Gambazzi die Intellexa-Tochter Thalestris SA und unterschrieb in dieser Funktion eine Verschwiegenheitserklärung mit der deutschen Rüstungsfirma Hensoldt, um ­Geschäftsmöglichkeiten auszuloten. Expert:innen taxierten diesen Akt gegenüber der WOZ als Vermittlungsgeschäft und hielten somit auch einen Verstoss gegen in der Schweiz geltende Exportgesetze für möglich (siehe WOZ Nr. 41/23). Zudem tauchte Gambazzi im Zusammenhang mit einem weiteren bemerkenswerten Exportgeschäft auf: Die Thalestris SA war gemäss Handelsdaten für eine Lieferung von Softwareprodukten im Umfang von fast zwei Millionen Franken nach Kasachstan verantwortlich. Ob der Export bewilligungspflichtig gewesen wäre, ist unklar. Klar ist nur: Eine entsprechende Bewilligung lag nicht vor.

Die WOZ hat Gambazzi per Mail wie auch telefonisch zu erreichen versucht, um ihn über die Gründe für die US-Sanktionierung, das Strafverfahren der Bundesanwaltschaft und seine Rolle innerhalb des Intellexa-Netzes zu befragen. Eine Rückmeldung blieb bis Redaktionsschluss aus.

Und dann gibt es eine weitere und neue Spur in die Schweiz: Sie führt nach Genf, zur Privatbank Compagnie Bancaire Helvétique (CBH). Diese sorgte in der Vergangenheit regelmässig für negative Schlagzeilen, etwa im Zusammenhang mit «venezolanischen Korruptionsgeldern» («Tages-Anzeiger»), «Zahlungen für kasachische Oligarchen» («SonntagsZeitung») oder einem «gross angelegten russischen Geldwäschesystem» («Beobachter»). 2014 und 2021 kam die Schweizer Finanzmarktaufsicht (Finma) zum Schluss, die CBH habe «ihre Sorgfaltspflicht im Bereich der Geldwäscherei schwer verletzt».

In den letzten Monaten ist die Genfer Privatbank gleich mehrfach im Zusammenhang mit Finanztransaktionen rund um Firmen von Dilian und Gambazzi genannt worden. Berichte des griechischen Investigativportals «Reporters United» sowie geleakte Bankdaten aus Griechenland und Zypern geben Einblick in Transaktionen, Kontobeziehungen und Unternehmenshintergründe. Besonders ins Auge stechen Zahlungsinformationen des griechischen Finanzdienstleisters Optima Bank, die auf Geldflüsse zwischen griechischen Intellexa-Firmen und Konten der CBH im Umfang von mehreren Hunderttausend Franken hinweisen – und zwar zwischen Juni 2020 und Februar 2021, also just in der Phase, in der die teils illegalen Predator-Deals mit Ägypten, Madagaskar und Vietnam abgewickelt wurden. Zudem weisen die geleakten Dokumente auf mutmassliche Steuerhinterziehung hin – es geht dabei um Transaktionen zwischen diversen Firmen, die zumindest teilweise über CBH-Konten liefen. Die WOZ hat die Genfer Privatbank mit diesen Vorwürfen konfrontiert, diese richtete aus, das Bankgeheimnis erlaube ihr keine konkreten Antworten. Sie halte sich aber streng an Regulierungen und Gesetzgebung. Sanktionsmassnahmen der Schweiz, der EU, von Grossbritannien und den USA befolge sie strikt.* 

Die Intellexa-Geschäfte laufen weiter

«Dieser Fall rund um Intellexa und den Schweizer Treuhänder ist ein absoluter Modellfall für unsere Kritik am intransparenten Schweizer Finanzplatz und unsere Forderungen nach mehr Transparenz in der Vermögensverwaltungskette», sagt Dominik Gross. Der Steuerexperte von Alliance Sud verweist auf die laufende Debatte zum Transparenzgesetz, in der derzeit eine Sorgfaltspflicht für Treuhänder und Anwältinnen diskutiert wird. Wäre Gambazzi durch ein solches Gesetz schon früher in der Ereigniskette rechtlich verantwortlich gewesen? «Im Optimalfall schon», meint Gross, wobei es dann auch eine mit den entsprechenden Kompetenzen ausgestattete Untersuchungs- und Strafverfolgungsbehörden bräuchte, die Fälle wie diesen frühzeitig aktiv untersuchen könnten. Beides wären wichtige Schritte, um Missbrauch via Offshorekonstrukte zu verhindern, sagt Gross. Doch dafür brauche es den politischen Willen – «und der ist gerade in der Schweiz verschwindend klein».

Derweil laufen die Intellexa-Geschäfte weiter wie geschmiert: Die private Cybersecurityfirma Recorded Future identifizierte in einem Bericht, der vor drei Wochen erschienen ist, neue «Predator-Infrastruktur» in Angola und im Kongo.

* Änderung vom 3. Oktober 2024: Die Bank Compagnie Bancaire Helvétique (CBH) besteht darauf, dass ihre Antwort auf unsere Anfrage umfassender dargestellt wird. Wir haben die Stelle ergänzt.