Film: Der Snob im Hinterland

Auf den ersten Blick hat der neue Film von Nuri Bilge Ceylan viel mit seinem Cannes-Gewinner «Winter Sleep» von 2014 gemeinsam. Nicht nur wegen der Kombination aus langer Laufzeit, Landschaftsaufnahmen und sehr ausführlichen Dialogen: Erneut ist das Setting das verschneite Anatolien, steht im Zentrum ein kunstsinniger Intellektueller in der Provinz, der sich seiner Umgebung überlegen fühlt, und gibt es als Nebenfigur eine Frau, die ihn durchschaut. Aber Ceylan kann ein Meister der Überraschungen sein. So gemächlich das Erzähltempo, so unerwartet ist oft, was als Nächstes passiert.
Samet (Deniz Celiloğlu) sitzt als Lehrer sein Pflichtjahr im Hinterland ab. Die Dorfschüler:innen in Kunst zu unterrichten, hält er für ein müssiges Unterfangen – für beide Seiten. Er träumt von der Versetzung in urbane Gefilde, wo man seinen ästhetischen Sensibilitäten mehr entgegenkommt. Mit dem etwas jüngeren und etwas simpler gestrickten Kollegen Kenan (Musab Ekici) lebt er in bester Männer-WG-Schlechtgelauntheit zusammen. Dann fädeln Verwandte ein Treffen zwischen Samet und Nuray (Merve Dizdar) ein, die in der nächstgrösseren Stadt arbeitet und bei einem Attentat ein Bein verloren hat. Ihre linken Überzeugungen hat sie nicht aufgegeben, und neben ihrer erfahrungsgesättigten Nachdenklichkeit wirkt Samets habituelle Kulturkritik oberflächlich und papieren. Zwischen den beiden funkt es nicht. Samet stellt Nuray auch Kenan vor, aber als er realisiert, dass die beiden Sympathien füreinander entwickeln, ändern sich seine Gefühle für Nuray schlagartig.
Nicht nur sein Verhalten in dieser Dreiecksgeschichte macht aus dem anfangs sympathischen Grantler einen immer dubioser agierenden Antihelden. In der Schule fliegt ihm sein falsches Verhalten gegenüber einer in ihn verliebten Schülerin um die Ohren. Und für beide Handlungsstränge findet Ceylan Wendungen, die die eingefahrenen Perspektiven immer wieder brechen. Bis dahin, dass die Kamera an einer Stelle dem Darsteller Samets beim Verlassen des Filmsets folgt.