Filmfestspiele in Cannes: Alles nur Show?
Punk und Populismus: Die neuen Filme von Kirill Serebrennikow und Ali Abbasi zeichnen die Karriere zweier Selbstdarsteller nach. Ihre Namen: Eduard Limonow und Donald Trump.

Er wolle ein Festival ohne politische Polemik, hatte Cannes-Direktor Thierry Frémaux zum Auftakt verkündet, die Filme im Programm seien schliesslich nach rein künstlerischen Gesichtspunkten ausgewählt worden. Im Lauf des Festivals offenbarte der Ansatz seine eigene Problematik – auch das Einbunkern im Luftschloss der Ästhetik kann zur politischen Geste werden.
Der russische Regisseur Kirill Serebrennikow etwa hat die Ambition, «nur Kunst» zu machen, in Wladimir Putins Russland so lang für sich reklamiert, bis er im Zuge einer aufgebauschten Betrugsanklage zu Hausarrest verurteilt wurde, bevor er dann doch ausreisen durfte. Die Dreharbeiten zu seinem Biopic über den Poeten und Provokateur Eduard Limonow begann Serebrennikow trotzdem noch in Moskau.
Erst durch den russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 sah er sich gezwungen, den Dreh von «Limonov» nach Riga zu verlagern; von einer Überarbeitung des Drehbuchs ist nichts bekannt. Dass Limonow, Gründer der Nationalbolschewistischen Partei Russlands, 2014 die Annexion der Krim bejubelt und an der Seite von russischen Freischärlern im Donbass gekämpft hat, erfährt man erst am Schluss des Films – aus Schrifttafeln: Serebrennikows Art, die politische Polemik aus seinem Film herauszuhalten.
Berühmt um jeden Preis
Der von Ben Whishaw mit viel brütender Innerlichkeit verkörperte Limonow ist hier in erster Linie ein Künstler. Die Wut gegen die dissidenten Küchenpoeten im Moskau der frühen sechziger Jahre, die angebliche Verbrüderung mit den Obdachlosen im New York der Siebziger und das Anstänkern gegen das linke Intellektuellenestablishment im Paris der Achtziger: Serebrennikow zeigt das als Selbstinszenierung eines Literaten, der um jeden Preis berühmt werden will. Garniert mit Schriftzügen wie aus sowjetischen Propagandaplakaten und der passenden Musik, zeigt der Film seine Titelfigur als russischen Punkpoeten.
Für das unsägliche politische Gebräu aus «Mutter Russland»-Phrasen, Stalin-Apologetik und Sowjetnostalgie, aus dem Limonow über die Jahre seinen eigenen «Nationalbolschewismus» zusammenrührte, findet Serebrennikow keine schlüssigen Szenen. Die neunziger Jahre, als Limonow aus dem Exil ins chaotische Moskau zurückzog, kommen gar nicht vor. Das macht dieses Biopic zu einem frustrierenden Film, so wie Limonow selbst eine frustrierende Figur der sowjetischen und russischen Geschichte war.
Der Film endet 2003, als Limonow, von Fans bejubelt, nach einer Verurteilung wegen Waffenbesitz und Planung eines Aufstands vor die Gefängnistore tritt. Dann muss die Szene wiederholt werden, weil die Kamera falsch stand. War alles nur Show? In Zeiten, in denen kryptofaschistische, medienbesessene Populisten, die Aussenseiterstatus für sich reklamieren, weltweit Zulauf erfahren, erscheint Serebrennikows «Limonov» als geradezu schmerzhaft verpasste Chance.
Bücher zu entsorgen
Auch der ukrainische Dokumentarfilmer Sergei Loznitsa wollte seine Filme immer jenseits der politisch vorgegebenen Linien positionieren – und ist trotzdem in den letzten Jahren heftig angegriffen worden. Etwa dafür, dass sein aus Archivmaterial zusammengesetzter Film «Babi Yar. Context» (2021) auch Szenen von Ukrainer:innen enthielt, die 1941 die Nazis begrüssen; oder dafür, dass er in «The Natural History of Destruction» (2022) die Zerstörung deutscher Städte durch die Bombenangriffe der Alliierten zeigte – ganz ohne Kommentar.
Für seinen neuen Dokumentarfilm «The Invasion» hat Loznitsa wieder selbst gefilmt, in der von Russland überfallenen Ukraine. Das Ergebnis ist eine Montage von Alltagsszenen – die Front selbst kommt nicht vor –, die den beständigen Druck dokumentieren, mit dem sich der Krieg ins Leben der Ukrainer:innen eingeschrieben hat. Da werden Fertigmahlzeiten verteilt oder Schüler:innen während eines Alarms im Schutzkeller durch Unterricht abgelenkt. In einer Rehaklinik lernen Menschen mit Prothesen das Laufen neu. Es finden Hochzeiten mit Männern in Soldatenmontur statt und immer wieder Beerdigungen junger Menschen mit zahlreichen Trauergästen. Kurz sieht man ein Puschkin-Denkmal, das jemand mit «Imperialist» beschmiert hat.
Eine Szene zeigt ein Antiquariat, bei dem Bücher zum Entsorgen abgegeben werden; die meist mit Schnüren zusammengehaltenen Stapel bestehen verdächtig oft aus Bänden von russischen Autoren. Loznitsa verbreitet keine politische Botschaft, er zeigt eine politische Entwicklung: eine dem Krieg zum Trotz funktionierende ukrainische Zivilgesellschaft, die sich vom sowjetischen Erbe verabschiedet.
Mit den Worten «It’s time to make movies political again» bedankte sich der iranisch-dänische Regisseur Ali Abbasi für den Applaus für «The Apprentice». Sein Film erzählt davon, wie Donald Trump unter der Mentorschaft des berüchtigten Anwalts Roy Cohn zu Donald Trump wurde.
Mit nur gelegentlichen Manierismen des Marvel-Darstellers Sebastian Stan verkörpert, wirkt Trump zu Beginn als 27-jähriger Möchtegernmogul beängstigend sympathisch. Wie der Film diesen Reflex dann nach und nach untergräbt, indem er Deformationen sichtbar macht und explizit zeigt, wie Trump seine damalige Ehefrau Ivana vergewaltigt: Das ist tatsächlich ein Stück politische Aufklärung. Trump hat bereits ankündigen lassen, er werde gegen den Film klagen.