Britische Flüchtlingspolitik: Die Symbolik der Härte

Nr. 47 –

Der Supreme Court hat den Ruanda-Ausschaffungspakt für illegal ­ erklärt – die Tory-Regierung will trotzdem daran festhalten. Dabei ist das Vorhaben nicht nur menschenrechtswidrig, sondern würde auch gar nicht funktionieren.

Premierminister Rishi Sunak bei einer Pressekonferenz
Er will per «Notfallgesetz» die Menschenrechte aushebeln: Premierminister Rishi Sunak bei seiner Pressekonferenz vergangene Woche in London. Foto: Simon Walker, Laif

Die Reaktion der britischen Regierung fiel so aus, wie es sich für Rechtspopulist:innen gehört. Das höchste Gericht im Land war am Mittwoch letzter Woche einstimmig zum Schluss gekommen, dass der Ausschaffungspakt mit Ruanda nicht mit den Menschenrechten vereinbar und deshalb illegal sei. Das hätte das Ende sein sollen. Für die Tories aber geht es jetzt erst richtig los: Ein neues Gesetz müsse schleunigst her, sagte Premier Rishi Sunak, um das Projekt doch noch zu retten – und wenn es sein müsse, müsse man halt die Menschenrechtsgesetze aufweichen.

Zur Erinnerung: Die Absichtserklärung mit Ruanda war im April 2022 unterzeichnet worden, als Boris Johnson noch Premierminister war. Der Plan sah vor, dass Menschen, die auf irregulärem Weg nach Grossbritannien gelangt sind, automatisch ins subsaharische Land deportiert werden. Dort sollte ihr Asylgesuch geprüft werden. Bei einem positiven Bescheid hätten sie in Ruanda bleiben dürfen – eine Niederlassung in Grossbritannien war hingegen ausgeschlossen. Der Migrationspakt war vor allem als Abschreckungskulisse gedacht: Die Aussicht auf sofortige Ausschaffung sollte Flüchtende davon abhalten, überhaupt erst ins Boot zu steigen.

Wütende Tories

Rechtspopulist:innen in ganz Europa spitzten damals die Ohren. Könnte der britische Plan ein Modell sein? Viele hielten ihn für eine brillante Idee – in der Schweiz forderte SVP-Präsident Marco Chiesa, man solle ein solches Programm prüfen lassen.

Der britische Plan stiess allerdings bald auf Hindernisse. Ein erster Deportationsflug nach Ruanda wurde im Sommer 2022 in letzter Sekunde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gestoppt. Die Niederlage versetzte die Tories in Wut. Unterdessen wurde der Ruanda-Plan von einigen Asylsuchenden angefochten. Im Juni urteilte ein Gericht dann, der Pakt sei illegal; dies hat jetzt der Supreme Court bestätigt. Insbesondere könne nicht garantiert werden, dass nach Ruanda abgeschobene Asylbewerber:innen nicht in ihr Ursprungsland zurückgeschafft würden, wo ihnen Misshandlung drohen könnte, sagte Gerichtspräsident Robert Reed.

Die Regierung von Rishi Sunak, die einen «Stopp der Boote» über den Ärmelkanal zu einer ihrer fünf «Missionen» erklärt hat, will die Niederlage indes nicht anerkennen. Als habe das Urteil gerade eine grössere Staatskrise ausgelöst, trat Sunak letzte Woche vor die Medien und kündigte ein «Notfallgesetz» an, um das «Karussell» der endlosen Versuche, die Deportation von Migrant:innen zu verhindern, endlich anzuhalten.

Was das genau bedeutet, dazu gibt es bislang erst Andeutungen. Es könnte zum Beispiel darauf hinauslaufen, dass Ruanda ganz einfach per Gesetz zum «sicheren Drittland» erklärt wird. Das heisst: Das Parlament würde eine «Tatsache» deklarieren, die der Einschätzung des Supreme Court, der Vereinten Nationen und zahlreicher Menschenrechtskampagnen direkt zuwiderläuft. Aber immerhin wäre das Problem der Regierung gelöst, zumindest teilweise.

Laut Medienberichten könnte Sunak in der Vorlage zudem ausdrücklich festlegen, dass das britische Menschenrechtsgesetz von 1998 nicht zur Anwendung kommen dürfe. Es wäre sogar möglich, dass allfällige Interventionen des EGMR für unzulässig erklärt werden. Genau das fordern viele seiner Parteikolleg:innen.

Differenzierte Haltungen

Macht man einen Schritt zurück und betrachtet den Trotzanfall der Regierung mit Distanz, erscheint dieser verblüffend. Denn so ziemlich alle Expert:innen sind sich einig: Auch wenn das Ausschaffungsprogramm legal sein sollte, würde es nicht funktionieren. «Damit die Abschreckung funktioniert, müsste die Regierung Zehntausende Flüchtlinge in Auffanglagern festhalten und dann allesamt nach Ruanda deportieren», erklärte etwa der britische Migrationsanwalt Colin Yeo kürzlich. Das dafür erforderliche Level an staatlicher Gewalt wäre in der Praxis nicht aufrechtzuerhalten.

Warum denn investiert die britische Regierung so viel Energie in diesen Abschiebeplan? Es geht um Symbolik. Geflüchtete ohne Asylverfahren in ein 6500 Kilometer entferntes Land zu deportieren, mag auf viele Leute unmenschlich wirken – bei weiten Teilen der konservativen Basis kommt es allerdings gut an. Auch für den extremen rechten Flügel der Tory-Fraktion kann es bei der Asylpolitik nie genug Härte geben. «Wir sollten die Flugzeuge gleich jetzt abheben lassen und [die Asylbewerber:innen] nach Ruanda schicken», sagte etwa der stellvertretende Tory-Vorsitzende Lee Anderson nach dem Urteil des Supreme Court letzte Woche.

Dass die Justiz diesem Vorhaben Steine in den Weg legt, kann den Tories zum Vorteil gereichen: Die Kulturkämpfer:innen in Westminster können sich als Opfer mächtiger Institutionen darstellen. Denn die Tories tun stets so, als ob sie nur den Willen der Wähler:innen umsetzen wollten, aber vom «Establishment» daran gehindert würden. Neue Umfragen zeigen jedoch, dass die Brit:innen weit differenziertere Haltungen zur Asylpolitik haben: Nach dem Urteil des Supreme Court sagten 29 Prozent der Befragten, die Regierung solle ein alternatives Land suchen, um einen solchen Pakt zu schliessen; demgegenüber meinten 39 Prozent, der ganze Deportationsplan solle verschrottet werden.