Kommentar von Daniel Stern: Jahrmarkt der Heuchler

Nr. 50 –

Mit Kompromisspapieren und Showeinlagen lässt sich die Klimakrise nicht lösen.

«Zu welchem Thema auch immer internationale Konferenzen abgehalten werden, nirgends ist die Kluft zwischen dem Wissen um die Brisanz des Problems und dem völlig unzureichenden Handeln heute so gross wie bei der Klimaerwärmung.» Dies schrieb die WOZ vor siebzehn Jahren zum Abschluss der Klimakonferenz 2006 in Nairobi. Geändert hat sich an dieser Feststellung bis heute nichts.

An der diesjährigen Klimakonferenz in Dubai ging es am Ende vor allem um die Frage, ob sich die Staaten gemeinsam zur Erklärung durchringen können, den Abbau der fossilen Energieträger Öl, Kohle und Gas schrittweise zu beenden. Die EU sowie die USA und weitere Staaten verlangten, dass das in die Schlusserklärung geschrieben wird. Grosse Erdölförderländer, allen voran Saudi-Arabien, sperrten sich dagegen. Nun hat man sich auf einen Kompromiss voller Schlupflöcher geeinigt, mit dem beide Seiten ihr Gesicht wahren können.

Die Position der Industriestaaten in diesem Spiel ist heuchlerisch, denn sie machen das pure Gegenteil dessen, was sie angeblich anstreben. Grossbritannien hat Ende Oktober angekündigt, 27 neue Lizenzen zur Öl- und Gasförderung in der Nordsee zu vergeben. Die USA erlauben neue Ölbohrungen im Golf von Mexiko und den Bau von Flüssiggasterminals, was zu einem wahren Exportboom von Erdgas aus den Frackinggebieten führen wird. In der EU wiederum gilt Erdgas seit diesem Jahr unter bestimmten Bedingungen als «nachhaltig», was Investitionen in neue Gaskraftwerke oder Flüssiggas-Import-Terminals erleichtert.

Das Insistieren auf einer harten Abschlusserklärung war somit eine reine Showeinlage. Westliche Regierungen inszenierten sich als Kämpfer gegen die bösen Ölstaaten wie Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate, obwohl man mit diesen laufend neue Lieferverträge abschliesst und sie ermuntert, ihre Förderkapazitäten zwecks «Energiesicherheit» weiter auszubauen.

Den reichen Industriestaaten ist es nicht ernst. Sonst hätten sie etwa auch die finanzielle Unterstützung der Länder des Südens schon längst erheblich aufgestockt. Diese stehen vor drei zentralen Problemen. Erstens: Sie müssen die immer grösser werdenden Schäden der Erderhitzung tragen; die Folgen von Überschwemmungen, Dürren, Stürmen. Dazu wurde an der Klimakonferenz jetzt zwar der Fonds «Loss and Damage» unter der Verwaltung der Weltbank ins Leben gerufen, doch die gemachten Versprechungen für Zahlungen in den Fonds sind jämmerlich (vgl. «Grosse Versprechen, wenig Geld»). Zweitens: Viele Länder müssen sich an die Klimakrise anpassen; also etwa Dämme an den Küsten bauen, die Landwirtschaft umstellen, die Städte so umgestalten, dass sie bewohnbar bleiben. Und drittens müssen sie weg von fossiler Energie kommen, brauchen also grosse Investitionen in Sonnen- und Windkraft oder Programme zum Schutz der Wälder vor Abholzung. Das alles erfordert riesige Investitionen.

Geld ist immer wieder Thema auf den Klimakonferenzen. So hatten sich die Industriestaaten schon 2009 dazu bekannt, ab 2020 jährlich hundert Milliarden US-Dollar für Investitionen im Kontext der Klimakatastrophe zu zahlen – doch bislang wurde der volle Betrag noch nie überwiesen. Zudem handelt es sich bei 70 Prozent der geleisteten Beträge um Kredite, die mit Zinsen zurückbezahlt werden müssen. Sowieso schon überschuldete Länder geraten so nur tiefer in die Schuldenfalle, was sie unter Druck setzt, ihre vorhandenen fossilen Rohstoffvorkommen auszubeuten.

Das Muster ist immer dasselbe: Alles viel zu langsam, viel zu zaghaft. Das hat seine Gründe. Denn ein Handeln, das wirklich angemessen wäre, würde zentrale Paradigmen des jetzigen Wirtschaftssystems infrage stellen: das Beharren auf Wirtschaftswachstum und der Macht der grossen Konzerne. Es würde ein viel stärkeres Eingreifen der Staaten in das wirtschaftliche Geschehen erfordern. Die Regierungen müssten eine klare Ansage an die Bevölkerungen machen: Wir befinden uns in einer existenziellen Krise, und ein Weitermachen wie bisher ist keine Option. Den Mut dazu hat bisher keine Regierung gefunden.