Serie: Ein offenes Haus im Jura

Nr. 50 –

Filmstill aus «Les Indociles»
«Les Indociles» («Die Unruhestifter»). Regie: Delphine Lehericey. Schweiz 2023. Play Suisse.

Jura 1973. Mitten in den Gründungswirren des jüngsten Schweizer Kantons schliessen drei Teenager eine Freundschaft fürs Leben: Joseph, Sohn eines Uhrenindustriellen, Chiara, deren Familie für die Arbeit in der Uhrenindustrie in die Schweiz gekommen ist, und Arbeitersohn Lucien alias Lulu. Ihre Zuflucht wird ein grosses Haus in den Freibergen, in dem Hippies, Junkies und Anarchist:innen zusammenfinden.

Die Serie «Les Indociles» begleitet die drei über dreissig Jahre. Aber sie folgt ihnen nicht kontinuierlich, sondern zoomt fünfmal heran, immer kurz vor Silvester. Lulu wird zum Pionier der offenen Drogenarbeit, während sich Joseph und Chiara selbst mit Süchten – und Lebenslügen – herumschlagen. Die Serie des Westschweizer Fernsehens (Regie: Delphine Lehericey) basiert auf einer Comicserie des jurassischen Autors Camille Rebetez.

Autonomiebewegung, frühe Elternschaft, Drogen, Aids, Krebs, sexuelle Gewalt, Rassismus, der Bürgerkrieg in Exjugoslawien, Coming-out auf dem Land, «Lämpen» mit den Behörden: So aufgelistet klingt das, als versuche die Serie zwanghaft, möglichst viele «schwere» Themen abzuhandeln. Doch so wirkt es nie: Die Figuren taumeln zwar von einem Drama ins nächste, aber mit glaubwürdiger Selbstverständlichkeit. «Les Indociles» nimmt sie als politisch engagierte Menschen ernst, ohne dass sie zu Schablonen verkommen: Sie sind weder Heldinnen noch Verräter. Sie geben sich Mühe und verletzen einander, wollen das Gute und gefährden ihre Kinder, sind in Widersprüche verstrickt: Das anarchistische Haus überlebt nur dank des Geldes von Josephs Familie. Und wer nimmt es hier eigentlich alles nicht so genau mit dem Alkohol?

Kommunenexperimente gehen in Literatur und Film oft dramatisch schief – was viel mit den erwähnten Klischees zu tun hat. Auch das offene Haus in den Freibergen hat zu kämpfen, aber es scheitert nicht einfach. «Ich habe in 25 Jahren etwa 30 Menschen geholfen», sagt Lulu gegen den Schluss. «Ich weiss nicht einmal, ob das enorm oder lächerlich ist.»