Auf allen Kanälen: Eskalation um Crépol

Nr. 2 –

Auf einem Dorffest im Südosten Frankreichs wird ein Jugendlicher erstochen. Um die Deutung der Tat ist seither eine mediale Schlacht entbrannt, befeuert durch rechte Hetze.

Logo der Gemeinde Crépol

Es ist einer dieser Momente, in denen man als Journalist:in fast nur scheitern kann: wenn ein junger Mensch oder gar ein Kind getötet wird. Wenn sich die Tat zudem auf einem vermeintlich idyllischen Dorffest abspielt, bei einer Messerattacke mit mehreren Beteiligten, dann sind gewisse Medien schnell beim «barbarischen Angriff» – und noch lange bevor die Justiz ihre Arbeit aufnehmen kann, köchelt das Süppchen aus Informationshappen und ungesicherten Quellen, angereichert mit politischen Reaktionen und Gegenreaktionen.

Was in der Nacht auf den 19. November 2023 im Örtchen Crépol im Südosten Frankreichs geschah, stellt in dieser Hinsicht eine besonders heikle journalistische Aufgabe dar: Da gilt es, über die Fakten zum Tod des Sechzehnjährigen zu berichten, ohne voreilige Schlussfolgerungen über die Täter und den Tathergang zu ziehen. Passiert ist seit der unheilvollen Nacht das Gegenteil. Weil die Verdächtigen, die an dem Dorffest mit Messern und Steinen auf Besucher:innen losgegangen waren, mehrheitlich aus der nahe gelegenen Hochhaussiedlung La Monnaie in Romans-sur-Isère stammen, waren sich konservative Medien schnell einig: Bewohner:innen der Siedlung mit überwiegend maghrebinischen Wurzeln hätten den Angriff geplant.

Schnell festgelegt

Noch versuchen Staatsanwaltschaft und Polizei, die genauen Umstände zu rekonstruieren und unter den neun festgenommenen Männern den oder die Täter zu bestimmen. Doch je nach politischer Couleur hatte man sich in Presse und Politik schon festgelegt: Für die einen war hier eine Partysituation auf tragische Weise eskaliert. Andere sahen «Rassismus gegen Weisse» und zeichneten das Opfer als typisch französischen Jugendlichen, der Rugby spielte und gern angelte.

Und während die Familie des Ermordeten auf einem Schweigemarsch vier Tage nach der Tat explizit darum bat, diese als «apolitisches Ereignis» aufzufassen, kommentierten Politiker:innen in sozialen Netzwerken um die Wette und nutzten Ultrarechte den Fall für mehrere Demonstrationen in Romans-sur-Isère, wobei es auch zu Zusammenstössen mit der Polizei kam.

Ihre Arbeit gemacht hat die französische Tageszeitung «Le Monde». Sie hat vor Ort recherchiert und dabei auch detailliert nachgezeichnet, wie die mediale Dynamik dazu führte, dass zahlreiche Anhänger:innen der rechten Parteien von Éric Zemmour und Marine Le Pen hetzerische Posts mit Falschmeldungen im Netz veröffentlichten. Aber auch viele ausländische Medien griffen den Fall auf, als Potpourri von Agen- turmeldungen mit Informationen, die nicht immer vollständig verifiziert waren – und auch dann kaum berichtigt wurden, wenn sie sich als falsch erwiesen.

Blick auf die Provinz

Unter dem Titel «Die ganz normale Barbarei» erhob etwa die NZZ den Vorwurf, die öffentlich-rechtlichen Medien würden die Gewalt verharmlosen, die von Menschen mit migrantischen Wurzeln ausgehe. Tags darauf folgte zwar ein differenzierteres Bild, mit einer Reportage vor Ort, die auch die Probleme der Bewohner:innen von La Monnaie in den Blick nahm, wo Arbeitslosigkeit und Kriminalität die Chancen auf sozialen Aufstieg mindern. Später jedoch legte die NZZ nochmals nach, mit einem Interview mit einem französischen Psychiater. Auf die Frage, woher der «Unwillen, die Brutalität solcher Täter zu sehen», komme, machte dieser die «Realitätsverweigerer» verantwortlich, womit er Medien, Soziologen und Politikerinnen meinte.

Die Debatte um die Novembernacht in Crépol ist so zu einem ideologischen Schlachtfeld geworden. Bislang schaute man besonders in urbane Räume, in Frankreichs Vorstädte, wie nach dem Tod von Nahel M., der im Juli 2023 bei einer Polizeikontrolle erschossen wurde. Der Fall Crépol zeigt: Misstrauen, Hass und Gewalt sind längst in der Provinz angekommen. In einem extrem zentralistisch regierten Land, in dem Politik und Medien von Paris aus mitunter verächtlich auf den Rest des Landes blicken, bräuchte es in solchen Momenten besonderes Fingerspitzengefühl und Augenmass – das also, was die politischen Extreme und ein Teil der Presse absichtlich hinter sich gelassen haben.