Rechte Bedrohung in Deutschland: «Ausländer­feindlichkeit ist nun Mainstream»

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Während Rechtsextremist:innen offen Deportationen propagieren, plant die EU drastische Verschärfungen ihrer Grenzpolitik. Damit haben SPD und Grüne ihre Grundwerte verraten, sagt Cornelia Ernst von der Linkspartei.

WOZ: Cornelia Ernst, Ende 2023 beschlossen Kommission, Mitgliedstaaten und Parlament der EU eine weitreichende Verschärfung ihrer Grenzpolitik. Sie sieht unter anderem Verfahren in geschlossenen Lagern an der Grenze vor. Die Verantwortlichen – bis hin zu Aussenministerin Annalena Baerbock von den Grünen – bezeichnen das als überfälligen Kompromiss. Und Sie?

Cornelia Ernst: Die Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems, auf die sich Rat und Parlament geeinigt haben, ist ein Kniefall vor der europäischen Rechten, eine Niederlage der Demokrat:innen in Europa. So befeuert man die Debatten, die den Rechts­extremist:innen in die Hände spielen.

Unterstützt werden diese Reformen auch von den Sozialdemokrat:innen und den Grünen. Wie ist das zu erklären?

Wenn Sie sich die Politik der Ampel anschauen, dann werden Sie feststellen: Die Liberalen sind sich in ihrer Politik treu geblieben, während Sozialdemokrat:innen und Grüne ihre Grundwerte verraten haben. Bei den Grünen macht mich das fassungslos. Dieses Wegbrechen der Grünen als progressive Kraft in der Migrationspolitik befördert den Rechtsruck in Deutschland in hohem Masse. Während die Linke, also wir, nicht in einem guten Zustand ist – auch wenn wir gute migrationspolitische Positionen vertreten.

Portraitfoto von Cornelia Ernst
Cornelia Ernst, ­EU-Parlamentarierin

Worum geht es denn bei diesem «Verrat»?

Man glaubt, man könne durch einen eigenen Rechtsruck an der Macht bleiben und so die Extremist:innen aus den Parlamenten verdrängen. Das ist grundsätzlich falsch. Das kann nicht funktionieren. Die SPD übernimmt das, was früher die CDU gefordert hat – und die wiederum das, was nur die AfD gesagt hat. Das geht quer durch die Mitte der Gesellschaft.

Trotzdem werden auch die rechtsextremen Parteien immer stärker.

Warum sollen die Leute Kopien wählen, wenn es auch das Original gibt? Wir sind in einer denkwürdigen Situation: Man muss Angst haben, dass in Teilen Deutschlands die Rechtsextremen an die Macht kommen. Das ist nicht mehr ausgeschlossen oder so dahergeredet. Daran hat die Politik der Ampel ihren Anteil. Und so ist es in ganz Europa. Schauen Sie sich die Länder innerhalb der EU an wie beispielsweise Ungarn und Italien. Deren Regierungen machen eine extrem reaktionäre Migrationspolitik. Für mich ist klar, dass es schon lange nicht mehr nur um Migration geht – sondern darum, die Gesellschaft grundsätzlich zu verändern, Grundrechte abzubauen. Die Eroberung der Meinungshoheit bezüglich der Migration ist ein Mittel, mit dem man das am leichtesten erreichen kann.

Was meinen Sie damit, wenn Sie von einer Veränderung der Gesellschaft sprechen?

Wer für Migration ist, steht auch für die Anerkennung von Vielfalt. Doch diesbezüglich haben viele Kräfte in der EU den Rückwärtsgang eingelegt. Dabei geht es um jede Art von Vielfalt. In Polen gibt es LGBTIQ+-freie Zonen. In Fragen der Abtreibung gibt es sogar in Deutschland einen Rückschritt. So findet man zum Beispiel in Trier kaum noch Ärzt:innen, die diesen Eingriff durchführen, sodass viele Frauen nach Luxemburg gehen.

Wir erleben einen Backlash auf der ganzen Linie. Die Migrationspolitik eignet sich gut dafür, ihn voranzutreiben. Sie dient als Ersatzdroge, um eine verfehlte Politik zu kaschieren, und funktioniert dort besonders gut, wo ohnehin schon viel Unruhe ist, etwa bei uns in Ostdeutschland. Hier denken viele: Wir haben doch eh schon nicht viel Geld, jetzt kommen die auch noch. Und dann ist man sich schnell einig: Die müssen weg. Es geht dabei aber nicht nur um Migrant:innen. Es geht um einfache Formeln und darum, die politische Rechte an die Macht zu spülen. Aber um wirkliche Lösungen geht es nicht.

Sondern um die Verbreitung rechtsextremer Ideologien?

In Deutschland wird jetzt seitens der Rechtsextremisten der AfD über «Remigration» gesprochen. Die fordern, dass alle Ausländer:innen raus sollen. Dazu zählen sie sogar deutsche Staatsbürger:innen mit «sogenanntem Migrationshintergrund». Je nachdem, wie weit man das fasst, kann es Millionen Menschen treffen. Und raus sollen auch ihre Unterstützer:innen, wie ich eine bin. Natürlich war das nur eine kleine Runde, aber die haben dort ausgesprochen, was sie wirklich denken. In kleinen Zirkeln fängt es immer an. Das sind Faschisten. Sie sind es, die die Gesellschaft kaputtmachen und die Demokratie zerschlagen. Für sie sind alle Demokrat:innen weltfremde Gutmenschen. Die Debatte um die Migration ist für sie ideal. Migrant:innen können sich kaum wehren.

In der EU stehen dieses Jahr Parlamentswahlen an. Was erhoffen Sie sich davon?

Wer sich am stärksten gegen Migration ausspricht, kann am meisten gewinnen. Das gilt zumindest für Deutschland. Uns erwartet ein zähes Ringen um Grundrechte. Wir werden eine lange Zeit Minderheitenpositionen vertreten. Doch wir müssen durchhalten. Wir erleben eine Zeitenwende, wie Kanzler Olaf Scholz vor zwei Jahren in seiner Rede gesagt hat. Nur halt nicht so, wie er sich das gedacht hat. Ich weiss zum Beispiel von Kolleg:innen aus dem Bundestag, die mir erzählt haben, dass man einem ihrer Mitarbeiter bei uns in Sachsen eine Grabkerze vor die Tür gestellt hat. Es gibt konkrete Bedrohungen – auch gegenüber uns Linken. Aber auch viele Aktivist:innen sind betroffen davon. Der Mainstream ist ein Hammer, der unterschiedliche Positionen plattklopft. Wir brauchen eine neue Kooperation gegen rechts, europaweit, denn der Rechtsextremismus ist in vielen Mitgliedstaaten längst angekommen.

Und mit wem wollen Sie diese Kooperation eingehen?

Es gibt natürlich auch in Deutschland linke Sozialdemokrat:innen und auch Grüne, mit denen wir zusammenarbeiten. Aber die sind in ihrem Klub in der Minderheit. Hier erhält der ausserparlamentarische Widerstand eine neue und besondere Relevanz, wie wir jetzt in Deutschland an den Demonstrationen gegen rechts deutlich erkennen können. Nur mit gemeinsamer Kraft können wir dieser Woge begegnen, ohne darin abzusaufen. Die Ausländerfeindlichkeit ist Mainstream geworden bei uns, gerade in Ostdeutschland. Wir dürfen uns nicht abducken, müssen den Kopf oben behalten und uns auseinandersetzen, auf die Menschen zugehen, bevor es zu spät ist.

Was bedeutet das für Ihre Wahlkämpfe? In Deutschland stehen dieses Jahr auch Kommunal- und Landtagswahlen an.

Wir sind gefordert zu überlegen, wie wir das Thema Migration erklären. Wir müssen deutlich machen, weshalb es notwendig ist, dass Leute zu uns kommen, dass wir dadurch nicht verlieren, sondern gewinnen, in allen Bereichen der Gesellschaft. Auch auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Tausende Arbeitsplätze unbesetzt sind. So habe ich früher nie argumentiert. Aber Deutschland fehlen Arbeitskräfte. Wir brauchen deshalb auch eine klare und verständliche Einwanderungspolitik, die letztlich allen Beteiligten nützt. So könnte man bei Menschen andocken, die sehr verunsichert sind und kaum über den Tellerrand hinausschauen.

Cornelia Ernst (67) ist für die Linkspartei seit 2009 Mitglied des EU-Parlaments. Sie politisiert dort in der Fraktion The Left. Zuvor war Ernst mehr als zehn Jahre lang Mitglied des sächsischen Landtags.

WOZ Debatte

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Kommentare

Kommentar von Igarulo

So., 28.01.2024 - 18:51

Ausländerfeindlichkeit ist nicht Mainstream. Siehe D. Das ist die Behauptung der Linken, sich nicht um die Probleme, die Migration ergibt, kümmern zu müssen, zu wollen. Nicht jede kulturelle Durchmischung ist auch Bereicherung. Kann sein, muss aber nicht. Kultureller Mix in der Musik ist eine Bereicherung. Eingewanderter religiöser Fanatismus nicht. Und der Import der Mafia aus fremden Kulturen auch nicht. Linke lerne zu differenzieren!