Literatur: Joseph Roths vergessene Gefährtin
Sechs Jahre lang lebte sie mit Joseph Roth, tippte seine Manuskripte ab, nähte seine Seidenkrawatten und ertrug seine konservativen Vorstellungen einer idealen Frau, denen sie so gar nicht entsprach: Andrea Manga Bell, 1902 in Hamburg als Tochter einer Deutschen und eines kubanischen Pianisten geboren. In der Roth-Forschung sei sie bisher zu wenig beachtet worden, fand Lea Singer, Autorin von Romanbiografien. Mit «Die Heilige des Trinkers» holt sie Bell aus dem Schatten.
Ihren Namen und zwei Kinder hatte Bell von einem kamerunischen Königssohn, den sie mit siebzehn geheiratet hatte. Als sie Joseph Roth 1929 kennenlernte, lebte sie getrennt von ihrem Mann in Berlin und arbeitete als Redaktorin. Wie man den wenigen – oft von Rassismus geprägten – Anekdoten über sie entnehmen kann, war sie eine schöne und lebenslustige Frau.
Lea Singer zeichnet Andrea Manga Bell als eine humorvolle und gesellige Frau, als zuverlässig, klug und empathisch. Sie verliebte sich weniger in den ruhelosen Vielschreiber und Trinker Joseph Roth als in den Dichter, der sie zuerst mit mündlichen Erzählungen umgarnte, bis sie seine Texte kennenlernte. Einige las sie, andere tippte sie ab. Das erste Manuskript, das in Zusammenarbeit mit ihr entstand, war «Hiob», die ergreifende Geschichte des Juden Mendel Singer, den Gott mit Schicksalsschlägen verfolgt.
In guten Zeiten erzählte Roth seiner Freundin und ihren Kindern wundersame Geschichten aus seiner verlorenen Heimat Galizien. In schlechten machte er ihnen Vorwürfe, dass sie seine Inspiration blockierten. In noch schlechteren Zeiten, im französischen Exil nach 1933, beklagte er sich bei seinen Freunden, dass ihm dieser «N*-Stamm» die Haare vom Kopf fresse.
1936 trennte sich Bell von Roth, der drei Jahre später in Paris starb. Sie überlebte ihn um 46 Jahre. Wenn sie nach ihm befragt wurde, erzählte sie lustige Geschichten; sie sprach nie schlecht über ihn.