Transgender: Unsicher zu sein, ist okay

Nr. 7 –

Die Art, wie über trans Menschen geschrieben wird, hat mich daran gehindert, meine eigene Transidentität zu sehen. Ein persönlicher Bericht.

Ich war 29, als ich zum ersten Mal erkannte, dass ich mich im Geschlecht, in dem ich lebte, nicht zu Hause fühlte. Ich wusste nicht, was ich mit dieser Information anfangen sollte. Würde das Gefühl wieder weggehen? Würde ich einen neuen Umgang mit meinem Geschlecht finden müssen? Was bedeutete das überhaupt: mein Geschlecht? Ich hatte keine Antworten auf diese Fragen, aber ab diesem Moment war ich besessen von der Suche danach.

Ich googelte «wie weiss ich, dass ich trans bin» in allen Sprachen und Variationen. Ich schrieb Beratungsstellen an, kaufte Bücher und liess mich von Tiktok in sämtliche Transbubbles leiten. Auf einer sehr theoretischen Ebene war mir klar, dass ich trans sein könnte, aber in der Praxis hatte ich grosse Zweifel. Was, wenn ich mich irre? Wenn ich das nun Menschen kommuniziere, Beziehungen riskiere, erste Schritte tätige und dann falschliege? Diese Frage hat mich jahrelang gelähmt.


Heute weiss ich: Ich bin trans. Zumindest bin ich mir ziemlich sicher. «Ziemlich sicher» reicht im Diskurs, wie er heute geführt wird, jedoch leider selten aus. Denn Zweifel kommen in der Berichterstattung über Transidentität so gut wie nicht vor. Dabei ist der Zweifel ein ständiger Begleiter, wie auch sonst im Leben: Wie soll man grosse Veränderungen bewältigen, ohne je zu zweifeln?

Manche trans Personen kommen im Lauf ihrer Transition an den Punkt, an dem sie diese nicht mehr fortführen. Wenn sie sich dazu entscheiden, wieder in ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zu leben, nennt man das eine «Detransition». Das «SRF Investigativ»-Team hat vor kurzem genau solche Personen aufgespürt und porträtiert.

Was diese Menschen sagen, ist wertvoll, und man sollte ihnen unbedingt Gehör schenken. Man sollte aber auch vorsichtig sein, bevor man aus ihren Geschichten etwas abzuleiten versucht. Insbesondere weil lückenhafte Berichterstattung zu Detransitionen einen Kulturkampf befeuert, dessen Akteur:innen mit der vermeintlichen Sorge um Jugendliche und Kinder Politik betreiben. Politik, die trans Personen das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben verweigert und sie damit gefährdet.

Die SP-Nationalrätin Anna Rosenwasser hat in ihrer «Republik»-Kolumne «Zwischen den Ohren» viele Lücken in der Arbeit von «SRF Investigativ» offengelegt. Wie so oft spielten Operationen eine grosse Rolle in der Berichterstattung. Dass viele trans Menschen oft erst einmal mit Namen, Pronomen, Kleidung und ohne OPs transitionieren, wird nicht erwähnt. Wenn es zu einem operativen Eingriff kommt, dann ist der Anteil jener, die ihn bereuen, statistisch gesehen tiefer als bei Personen, die sich ein künstliches Kniegelenk einsetzen lassen. Aber darüber wird nicht berichtet. SRF hat auch mit niemandem gesprochen, der detransitionierte, darin aber kein Problem sieht. Dabei sind diese Personen gar nicht so schwer zu finden.


Dass es Personen gibt, die ihre Transition bereuen und unter den Folgen leiden, ist eine Tatsache. Es gibt Schritte, die irreversibel sind und wohlüberlegt sein sollen. Aber man darf aus den Geschichten der Detransition keine voreiligen Schlüsse ziehen, die die medizinische Versorgung aller trans Personen betreffen – etwa indem Beratungs- und Begleitangebote infrage gestellt werden.

Ich wünsche mir in dieser Debatte mehr Gelassenheit und Offenheit: Manchmal irrt man sich. Manchmal bereut man Dinge, die man getan hat. Aber gehört das nicht zum Leben? Wie gut wäre es mir wirklich gegangen, hätte ich meine damaligen Gefühle unterdrückt?

Diese Frage übersteigt meine Vorstellungskraft. Ich wollte nicht mehr in dem Geschlecht leben, das mir zugewiesen worden war. Aber ich wusste genauso wenig, wo es hingehen sollte. Ich dachte: Wenn ich tatsächlich trans sein sollte – wüsste ich das nicht längst?


Ich habe allen trans Menschen, die vor mir kamen, viel zu verdanken. Nur dank ihren Kämpfen kann ich heute ein relativ komfortables Leben führen – was längst nicht auf alle trans Personen zutrifft und auch daran liegt, dass ich weiss bin und ein sicheres Einkommen habe. Viele vor mir haben einen viel höheren Preis zahlen müssen. Nichts läge mir ferner, als ihnen ihre Erfahrung abzusprechen. Doch ich glaube, dass sie sich im Rahmen dieses Kampfes Argumente zunutze machten, die wir heute überdenken können. Zum Beispiel das, was man auf Englisch «born this way» nennt.

Die Idee, dass wir queer auf die Welt gekommen sind und es uns «nicht ausgesucht haben», war im politischen Kampf von trans Personen ein wichtiges Instrument, um Rechte einzufordern. Damit einher ging das Beteuern, man habe schon als junges Kind Körperdysphorie erlebt – dieses komplexe Gefühl, das man lange als «sich im falschen Körper fühlen» zusammenfasste.

Diese Erzählung fand Eingang in diverse psychiatrische Klassifizierungssysteme. Wer eine Hormonbehandlung wünschte, musste behaupten, sich im eigenen Körper schon immer unwohl gefühlt zu haben. Ansonsten bekam man keine Diagnose und keine Behandlung. Wer seinen Personenstand ändern wollte, musste sogenannte «trans Lebensläufe» schreiben, die beweisen sollten, dass der Wunsch, im «anderen Geschlecht» zu leben, dauerhaft war. Es folgten wissenschaftliche Studien, die – oh Wunder – feststellten, dass nahezu hundert Prozent aller trans Personen schon als Kind spürten, dass sie trans sind. Die Medien nahmen den Ball auf und publizierten ein Porträt nach dem anderen, das diesem Bild entsprach.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich gibt es diese Personen. Für viele Menschen beschreibt es sehr gut, was sie erleben. Aber nicht für alle. In meinem Fall war es der Umkehrschluss, der mich verunsicherte: Ist nur trans, wer es schon immer gewusst hat?


Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass Geschlecht nicht statisch ist. Es kann sich in verschiedenen Kontexten, Räumen oder Lebensphasen unterschiedlich anfühlen. Gibt es Personen, die schon mit drei Jahren wissen, dass das ihnen zugewiesene Geschlecht nicht ihres ist? Ja. Gibt es Personen, die sich zeit ihres Lebens mit ein und demselben Geschlecht identifizieren? Ja. Gibt es auch Personen, auf die beides nicht zutrifft? Ja!

Mit den Jahren ist mir klar geworden: Letzteres – das bin ich. Ich nahm einen kleinen Schritt nach dem anderen und achtete genau darauf, wie es mir dabei ging: Fühlt sich das gut an? Wie geht es mir damit? Wie reagiert die Umwelt? «Babyschritte» lautete mein Mantra.

Ich habe die Vorstellung aufgegeben, wissen zu müssen, was in fünf oder zehn Jahren kommt. Es reicht mir, wenn ich einen Plan habe, was morgen ist. Bis jetzt war das: eine Frau zu sein. Aber wenn ich in zehn Jahren merke, dass ich mich irre, ist das auch okay. Ich wäre dann ein ziemlich interessanter Vierzigjähriger, der viel über Geschlechter, Rollen und deren Auswirkungen zu erzählen hätte. Seit ich das verstehe, hat sich meine Lähmung aufgelöst. Ich brauche keine definitiven Antworten mehr.

Heute habe ich keine feste Vorstellung davon, wer ich in Zukunft sein werde. Aber wer hat das schon? Wichtig ist, dass mir das keine Angst mehr macht. Im Gegenteil: Ich finde es ziemlich befreiend.

Rosa Grau ist eine Schweizer Medienschaffende und heisst eigentlich anders.