Anti-Chaoten-Initiative: Das Demokratieverbot

Nr. 8 –

Warum die Initiative der Jungen SVP und der Gegenvorschlag des Zürcher Kantonsrats brandgefährlich sind.

Die Traktoren von Europas Landwirten, die zurzeit die Strassen versperren. Die Blockaden der Klimaaktivistinnen, die sich um die Zukunft sorgen. Die brennenden Hidschabs während der feministischen Revolution im Iran. Die Aufstände wie in den USA nach dem rassistischen Mord an George Floyd, wie in Hongkong gegen das Sicherheitsgesetz oder wie in Chile für eine neue Verfassung. Emanzipatorische Protestbewegungen wandeln individuelle Ohnmacht in gemeinsame Kraft. Sie sind das, was – in Anbetracht der Weltlage – Mut macht. Und Hoffnung.

Demgegenüber konstatiert Amnesty International einen besorgniserregenden globalen Trend: Demonstrant:innen sehen sich zusehends mit Überwachung, Gewalt und drakonischen Strafen konfrontiert. Seit Jahrzehnten wird die Polizei gegen den «inneren Feind» militarisiert, wird nach mehr «law and order» gerufen. Das zeigt sich, gemäss der Menschenrechtsorganisation, auch in der Schweiz. Die Anti-Chaoten-Initiative der Jungen SVP (JSVP) ist gegenwärtig das beste Beispiel dafür. Am 3. März kommt sie – zusammen mit dem Gegenvorschlag des Kantonsrats – in Zürich zur Abstimmung. Wird eine der beiden Vorlagen angenommen, hätte Zürich das schärfste Polizeigesetz der Schweiz – und vor allem: ein Problem mit dem Völkerrecht.

Denn die Initiative und der lediglich homöopathisch abgeschwächte Gegenvorschlag sehen eine generelle Bewilligungspflicht für Demonstrationen und eine zwingende Kostenüberwälzung von «ausserordentlichen Polizeieinsätzen» auf Organisatorinnen und Teilnehmer von Versammlungen vor. Das gefährdet die Meinungs- und Versammlungsfreiheit – insbesondere bei spontanen Demonstrationen und Gegenkundgebungen. Grundrechtsexpert:innen halten beide Vorhaben für rechtswidrig und warnen vor der einschüchternden Wirkung – dem «Chilling-Effekt» –, wenn der Staat mit einem solch unberechenbaren Kostenhammer droht.

Es geht dabei um weit mehr als Regionalpolitik. Auch in Basel hat die SVP zwei Initiativen lanciert, die die Demonstrationsfreiheit einschränken und die Polizeikosten – in neoliberaler Manier – auf Demonstrant:innen abwälzen sollen. Eine Entwicklung, die sich seit längerem abzeichnet: Erst hat Luzern (2016) eine Überwälzung von Polizeikosten bei Versammlungen eingeführt, dann Bern (2019) – wenn auch die beiden kantonalen Polizeigesetze die Überwälzung, anders als die Zürcher Initiative, nicht verbindlich machen.

Nun offenbaren JSVP und SVP neuerlich ihre autoritären Fantasien: «Volksinitiative zur Durchsetzung von Recht und Ordnung» steht auf dem Zürcher Abstimmungszettel. So als ob der Staat nicht längst eine breite Palette an Instrumenten zur Verfügung hätte: Mit Rayonverboten und Wegweisungen; mit Straftatbeständen wie Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Gewalt und Drohung gegen Beamte, die mitunter mehrjährige Gefängnisstrafen vorsehen. Hinzu kommen Zivilklagen, über die Geschädigte Schadenersatz erlangen können.

Die Polizei gerät schon mit der bestehenden Rechtspraxis immer wieder in die Kritik: als sie etwa bei einer Versammlung im Februar 2023 in Genf mit Schlagstöcken auf mehrere Demonstrant:innen, einen Kantonsrat und einen Fotografen einprügelte; oder als sie am Morgen des 1. Mai in Basel Teile des Demonstrationsumzugs für Stunden einkesselte. Am selben Tag erblindete in Zürich ein junger Mann auf einem Auge – die Polizei hatte mit Gummischrot auf ihn geschossen.

Sei es der grosse Schweizer Landesstreik 1918 für eine AHV, der Einsatz der Suffragetten für das Frauenstimmrecht, der Kampf für den Achtstundentag oder seien es die Jugendunruhen – Stichwort «Züri brännt» – in den achtziger Jahren, die der biederen Finanzstadt kulturelle Freiräume brachten: Oft zeigt sich die Legitimität eines Anliegens erst im Verlauf der Geschichte, wenn die Kämpfe darum so weit zurückliegen, dass die Distanz einen anderen Blick auf sie ermöglicht.

Wie werden wir auf diese Zeit, die unsere, zurückblicken? Eine Zeit, in der Autoritarismus gedeiht, in der in Italien eine faschistische Partei regiert und in Deutschland eine Partei die Deportation von Millionen Menschen plant. Soll in einer Zeit wie dieser tatsächlich das Demonstrationsrecht eingeschränkt werden?

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Kommentare

Kommentar von remoapeter

Do., 22.02.2024 - 13:55

Gutes Plädoyer. Aber hinter der Aboschranke. Macht es schwierig, zu mobilisieren...