Kommunalwahlen in der Türkei: Kampf um Istanbul

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Bei den anstehenden Lokalwahlen will Recep Tayyip Erdoğan die Metropole am Bosporus zurückerobern. Dank der zersplitterten Opposition stehen seine Chancen nicht schlecht.

Der amtierende Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu von der kemalistischen CHP gerät immer mehr in Bedrängnis. Nachdem im Dezember die ultranationalistische Iyi-Partei aus dem lokalen Oppositionsbündnis ausgestiegen war, das ihn unterstützt, erklärte kürzlich auch die neugegründete prokurdische DEM, sie stelle ein eigenes Kandidat:innenduo für das Bürgermeister:innen-Amt in Istanbul auf.

Im Jahr 2019 waren sowohl die Iyi-Partei als auch die HDP, die Vorgängerpartei der DEM, massgeblich am überraschenden Wahlerfolg Imamoğlus beteiligt gewesen. Weil sie ihn geschlossen unterstützten und keine eigenen Kandidat:innen portierten, konnte er die langjährige Vorherrschaft von Recep Tayyip Erdoğans islamisch-konservativer AKP in Istanbul beenden. «Tatsache ist, dass es schwieriger sein wird als bei der letzten Wahl», sagte Imamoğlu kürzlich mit Blick auf die bevorstehende Abstimmung.

Wenn am 31. März in den 81 Provinzen des Landes Bürgermeisterinnen und Gemeinderäte gewählt werden, wird auch über die politische Zukunft der Türkei entschieden. «Mit dieser Wahl werden die Weichen für die Präsidentschaftswahl 2028 gestellt – und dessen sind sich die Wähler:innen bewusst», sagt der Wissenschaftler Ali Sonay von der Universität Bern, der zur Türkei forscht.

Die regierende AKP erlitt bei den letzten Kommunalwahlen 2019 eine schwere Schlappe. Die grösste Oppositionspartei, die CHP, siegte nicht nur in Istanbul, ihr gelang auch die Machtübernahme in Ankara; zudem behielt sie in Izmir das Bürgermeisteramt inne. Die Niederlagen in den drei grössten Städten des Landes zerstörten Erdoğans Image der Unbesiegbarkeit. Der Präsident war in den neunziger Jahren selbst Bürgermeister von Istanbul.

Erdoğan gegen Imamoğlu

«Es heisst, wer über Istanbul regiert, regiert auch über die Türkei. Erdoğan will diese Symbolik zurechtrücken», sagt Sonay. Von 2004 bis 2019 stellte die AKP in Istanbul die Bürgermeister. Als 2019 der Oppositionskandidat Imamoğlu unerwartet gewann, wurde eine Wahlwiederholung erzwungen. Erdoğan wollte nicht hinnehmen, dass sein Kandidat verloren hatte. Doch auch diese Wahl konnte Imamoğlu für sich entscheiden. Für die Opposition war dieser Erfolg ein Grund, sich für die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen von 2023 zu verbünden – nur die linke HDP war unerwünscht. Nachdem Erdoğan und seine AKP im letzten Jahr die Wahlen trotzdem gewonnen hatten, zerbrach die Zweckkoalition. Das Misstrauen der ausgeschlossenen und von einem Parteiverbot bedrohten HDP gegenüber den etablierten Parteien wuchs. Auch deshalb versucht ihre Nachfolgepartei nun, in Istanbul unabhängig weiterzumachen.

In den vergangenen Wochen wurde Başak Demirtaş, die Frau des populären inhaftierten früheren HDP-Chefs Selahattin Demirtaş, als DEM-Kandidatin für Istanbul gehandelt. Demirtaş tritt jedoch nicht an. Einerseits hätten sich prokurdische Wähler:innen wohl in grosser Zahl für Demirtaş entschieden und damit Imamoğlu besonders stark geschwächt; ihre Nominierung wäre aber auch ein besonderer Affront für die AKP gewesen. Fundamentale Opposition hat den kurdischen Parteien bisher nicht viel gebracht, und Gespräche für politische Kooperationen mit der Regierungspartei wären dann ausgeschlossen gewesen. Selbst in seiner Siegesrede im Jahr 2023 betonte Erdoğan, Selahattin Demirtaş sei ein Terrorist, den er niemals freilassen werde.

Derzeit erreicht die DEM bei Umfragen rund sechs Prozent. Die Aufstellung des Kandidat:innenduos könnte als Mittelweg angesehen werden: «Die Partei versucht, ihre Eigenständigkeit zu wahren, will aber gleichzeitig mit anderen Parteien in Kontakt bleiben und parallel dazu politischen Druck aufbauen», sagt Ali Sonay.

Erdoğan selbst hat seinen ehemaligen Umweltminister als Kandidaten für Istanbul präsentiert. Murat Kurum ist bisher politisch kaum aufgefallen, weil er für türkische Verhältnisse kaum populistisch, sondern vielmehr sachorientiert handelt. Der Ingenieur, der keinerlei Charisma hat, soll mit seinen für die Metropole wichtigen Kenntnissen im Städtebau überzeugen. In Umfragen schafft es Amtsinhaber Imamoğlu zwar meist auf den ersten Platz, Kurum ist ihm aber dicht auf den Fersen. Die zersplitterte Opposition, vor allem die Iyi-Partei, würde sich im Zweifel eher auf Kurums Seite stellen.

Etappensieg beim Kanal Istanbul

Kürzlich hat das Istanbuler Verwaltungsgericht Pläne zum umstrittenen Kanal Istanbul annulliert. Es handelt sich um ein Prestigeprojekt der Regierung, gegen das Umweltschützer:innen und Opposition kämpfen. Das war ein Sieg für Imamoğlu, der das Thema entsprechend politisch ausschlachtet. Die Medien berichteten allerdings kaum darüber, weil sie unter Kontrolle der Regierung stehen. Auffällig ist, dass sowohl Erdoğan wie auch Kurum das riesige Kanalprojekt gar nicht mehr erwähnen.

Nicht nur die Schwäche der Opposition gefährdet die Wiederwahl von Imamoğlu. Auch ein politisch motiviertes Gerichtsverfahren könnte zum Stolperstein werden. 2022 wurde er wegen Beleidigung eines Amtsträgers zu fast drei Jahren Haft verurteilt und mit einem Politikverbot belegt. Gegen diesen Entscheid hat Imamoğlu Beschwerde eingelegt, ein Berufungsverfahren ist noch hängig. Bei einem Wahlsieg liefe er Gefahr, zum Rücktritt gezwungen zu werden.