René Pollesch (1962–2024): Der Markt, c’est moi

Nr. 9 –

René Pollesch war schon fast vierzig, als er das Theater um die Jahrtausendwende im Sturm eroberte. Bald gab es Begriffe für seine anfänglich superschnell gesprochenen Stücke, die er alle selbst inszenierte: Diskurstheater oder «postdramatisches Theater», nach Hans-Thies Lehmanns gleichnamigem Buch von 1999.

Doch die rasende Pollesch-Kunst bewegte sich näher an einem anderen viel diskutierten und wenig gelesenen Wälzer jener Jahre: «Empire» von Antonio Negri und Michael Hardt. Als einer der wenigen im Theaterbetrieb sah Pollesch, dass Kapitalismuskritik zwingend auch Kritik am eigenen Körper, am eigenen Leben bedeuten muss – weil es sich der Kapitalismus dort bequem gemacht hat und das Internet sich gerade anschickte, einen noch härteren Konsumknast zu bauen.

Pollesch konnte das so klug, verwirrend und extrem lustig verpacken wie kein Zweiter. Das klang so: «B: Da hat sich ein Unternehmen in dich verflüssigt. P: Ja, ich WEISS. F: Und die Scheisse! A: Und jetzt verkaufst du dich hier, du Dienstleistungsunternehmen. B: Du wurdest erbeutet vom Selbstmanagement.» Das Zitat stammt aus «Stadt als Beute» von Anfang der nuller Jahre, als Pollesch die Nebenspielstätte Prater der Berliner Volksbühne zur Hauptsache verwandelte, nachdem er etwa am Luzerner Theater mehrere Late-Night-Stücke erarbeitet hatte. Es wurden dann um die 200 Stücke an fast so vielen Theatern.

An der Kapitalismuskritik nah am eigenen Milieu hingen, wie untergeordnet, seine beiden anderen Themen: Eine Kritik des Rollenspiels und der Repräsentation, und lange bevor die Mehrheit «heteronormativ» buchstabieren konnte, übte der schwule Pollesch Kritik an binären Geschlechterverhältnissen. Auch das sagen seine Stücke am besten selbst: «Meine Identität wird irgendwie reguliert. Warum darf nur der Markt dereguliert sein und nicht meine beschissene Identität?»

An der Berliner Volksbühne, wo Pollesch seit 2021 eher mittelerfolgreicher Intendant war, sprachen die Schauspieler:innen der Sonderklasse – Sophie Rois, Martin Wuttke, Fabian Hinrichs und viele andere – seine Texte mit der Zeit etwas langsamer. Besonders Hinrichs drosselte das Tempo in den auch in jüngster Zeit stets erfolgreichen Soloabenden mit Chor, der letzte davon mit dem nun so schrecklich sprechenden Titel: «Ja nichts ist ok». Denn René Pollesch ist am vergangenen Montag im Alter von 61 Jahren unerwartet gestorben.