Barbi Marković: Miki und Mini in Österreich
Soeben zu Recht mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet: In «Minihorror» gibt Barbi Marković sprachlich eigenwillig und mit viel Humor Einblick in die Ängste eines Mittelschichtspaars in Wien.
«Je schlimmer das Leben, desto geiler der Frühling», heisst es in Barbi Markovićs 2021 erschienenem, grandiosem Belgradroman «Die verschissene Zeit». Nun hat die seit 2006 in Wien lebende Autorin mit «Minihorror» einen Erzählband mit Horrorgeschichten vorgelegt, in dem es mit dem Frühling ein wenig komplizierter ist. In der Kurzgeschichte «Perfect day», einer Anspielung auf den Song von Lou Reed, erlebt Miki einen nahezu perfekten Frühlingstag in einem Wiener Park, seine Freundin Mini kommt mit einer Pizza vorbei, Freunde tauchen auf, drücken ihm eine Bierdose in die Hand, und aus der Ferne dringt das Konzert von Der Nino aus Wien zu ihm durch. Doch Miki plagt ständig die Angst, es könnte kippen, denn «das Schlimmste wäre, zu glauben, dass alles noch gut ist, wenn es nicht mehr so ist».
Die familienfressende Jennifer
Während in «Die verschissene Zeit» drei Jugendliche, die wegen einer defekten Zeitmaschine im Belgrad der 1990er gefangen sind, im Zentrum standen, sind es in «Minihorror» Miki und Mini, ein Mittelschichtspaar im heutigen Wien. Kein grosser Sprung in Zeit und Raum, aber ein solcher hinsichtlich der Figuren, ihrer Lebenssituation und Perspektiven auf die Welt. Mini, in Belgrad aufgewachsen, Schriftstellerin, heisst mit bürgerlichem Namen Minerva – passend zu ihrem Beruf, denn Minerva ist auch die römische Schutzgöttin der Dichtung.
Offensichtlich sind die Gemeinsamkeiten mit Marković, wobei Details zeigen, dass Autorin und Figur nicht identisch sind: Mini kommt aus dem Belgrader Stadtteil Žarkovo, der gleich neben Banovo Brdo liegt, wo Marković aufgewachsen ist und das sie in «Die verschissene Zeit» verewigt hat. Miki wiederum kommt in drei Geschichten aus drei unterschiedlichen österreichischen Regionen. Als ob die Autorin sagen würde: Ein Österreicher halt.
Ebenfalls offensichtlich ist die Verbindung der Figuren zu Minnie und Micky Maus. Nicht nur die Namen verweisen auf die Comicfiguren, Marković hat auch formale Elemente aus dem «Lustigen Taschenbuch» einfliessen lassen. Viele Absätze beginnen mit «Später» oder «Plötzlich», und auch die alltäglichen Ausgangslagen vieler Geschichten sind angelehnt an den Aufbau des Comicklassikers.
«Minihorror» ist in diesem Sinne ein typischer Marković-Text, denn alle ihre bisherigen Prosawerke waren stark von der eigenwilligen Auseinandersetzung mit anderen Texten geprägt. In «Minihorror» stecken aber nicht nur Minnie und Micky Maus, die Erzählungen sind voller Verweise auf Literatur, Musik und Filme. Die erste Geschichte des Bandes, in der Minis Cousine Jennifer auftaucht, spielt auf den Horrorfilm «Jenifer» (2005) von Dario Argento an. Jennifer «frisst Familien», sie ist laut Mini ein «fleischfressendes Monster», was Miki aber fälschlicherweise metaphorisch versteht. Erst das von Mini gesungene Lied «Zurück, zurück, Jennifer-Mädchen», eine Verballhornung eines bekannten südslawischen Volkslieds, lässt das Monster zurückweichen.
Solche ungemein skurrilen, surrealen und oft albtraumhaften Erzählungen stehen neben solchen wie «Perfect day», die ohne fantastische Elemente auskommen und oft alltägliche Situationen verhandeln.
Was alle Erzählungen dieses grossartigen Buches eint, das zu Recht den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten hat, ist der Humor, der das Werk zu einem grossen Lesespass macht. Er entsteht unter anderem durch abrupte, lakonisch formulierte Wendungen. Marković zeichnet zudem ihre Figuren immer wieder witzig, etwa wenn sie über Miki schreibt: «Er hat an diesem Tag frei und ist entspannt, deshalb sind seine Gedanken so pauschal.»
Horrorgeschichten als «Angstübung»
Gemeinsam ist den Geschichten auch der Horror, der zuweilen äusserst brutal hereinbricht oder hereinzubrechen droht. Marković nannte Horrorgeschichten in einem Interview «Angstübungen», und tatsächlich geht es in dem Buch, das man auch im Kontext der Coronapandemie lesen muss, insbesondere um Ängste. Es sind Ängste vor Krankheiten, dem Tod und besonders vor den Verletzungen, die in zwischenmenschlichen Beziehungen entstehen können.
In mehreren Geschichten wird auf den Nationalismus angespielt, und in einer über Ikea beschreibt Marković gekonnt die Absurditäten des Kapitalismus. Zudem ist da die traurige Entwicklung von Miki zum Verschwörungstheoretiker und Guru, der schlussendlich nur noch Früchte isst und «lächelt wie jemand, der alle Sprachen spricht».
Die Horrorszenarien und Markovićs kritischer Blick auf die österreichische Gesellschaft schaffen zuweilen eine düstere und traurige Welt, die dank ihres Humors gerade noch erträglich bleibt. Dass der Grundton des Buches eher heiter ist, liegt auch an Markovićs spielerischem Umgang mit Sprache: Ab und zu finden sich Sätze auf Serbisch ohne Übersetzung, Austriazismen werden eingestreut, wenn «auf die Küchenrollen vergessen» wird oder irgendwas mal wieder «grindig» ist. Und an einer Stelle zitiert Barbi Marković die Worte einer Tirolerin gar mit dem im Serbischen gebräuchlichen Hatschek: «Des iš was Šienes.»