Durch den Monat mit Barbi Marković (Teil 4): Was halten Sie von Turbofolk?
Die Autorin Barbi Marković erzählt vom Soundtrack ihrer Jugend und denkt über die Musikalität ihrer Sprache und kulturelle Aneignung beim Essen nach.

WOZ: Barbi Marković, in Ihrem Roman «Die verschissene Zeit» schreiben Sie auch über Balkanpop. Wie haben Sie Turbofolk wahrgenommen, der ja als Soundtrack des Milošević-Regimes galt?
Barbi Marković: Ich habe mich damals zur Gegenkultur bekannt. Wir waren die urbanen Kids, gegen Krieg, Regierung und Volksmusik. Trotzdem kenne ich viele Turbofolklieder auswendig. Die Texte von Marina Tucaković – sie hat achtzig Prozent der Texte in der ganzen Pop- und Folkszene des Balkans der achtziger und neunziger Jahre geschrieben – schätze ich im Nachhinein eigentlich sehr, weil sie mit wenigen Zeilen viel erzählen können. Einer meiner liebsten Verse: «Ich schlafe noch, nach Gewohnheit, in deinem T-Shirt.» In ihm, der sich im Original reimt, ist eine ganze Beziehung mitsamt ihrem Ende enthalten.
WOZ: Haben Sie den Nationalismus in den Texten damals mitbekommen?
Barbi Marković: Es geht fast immer um eine unglückliche Liebe. Es gibt das Patriarchat, Masochismus, zum Teil Femizide, Fieber und Lust. Um Nationalismus geht es meistens nicht direkt. Die Akteurinnen der Szene, meist waren es Frauen, kooperierten mit Mafiamitgliedern sowie paramilitärischen Gruppen und waren ziemlich häufig politisch fragwürdig. Sie waren der Soundtrack zum Jugoslawienkrieg.
WOZ: Welche Musik aus dem Westen haben Sie als Teenie gehört?
Barbi Marković: Mein Vater war grosser MTV-Fan und auch immer mit einem Radio unterwegs. Meine Eltern waren relative Hippies, das war der Startpunkt. Dann mussten wir uns im Schulhof zwischen Punk und Metal entscheiden. Ich war für Punk. Und dann kamen die neunziger Jahre mit elektronischer Musik, Hip-Hop und allen möglichen Zwischenformen. Später kamen die Gitarren zurück. Wir wurden eklektisch. Jetzt bin ich verwirrt und habe keinen festen Musikgeschmack mehr.
WOZ: Mögen Sie Wienerlieder? Die morbide Haltung eines Wolfgang Ambros oder Voodoo Jürgens müsste Ihnen vom Humor her gefallen.
Barbi Marković: Ich glaube schon, obwohl Austropop musikalisch «all over the place» ist. Ich schätze gute Liedtexte, etwa die Arbeiterromanze im Ambros-Song «Espresso». Da treffen zwei einsame Menschen in einem Café aufeinander: «Vielleicht is de, de ka Feia ghobt hod, muagn am Nochmittog a wieda do.» Oder Georg Danzer mit dem «Leberkas auss’n Zeidungspapier» in seinem Song «Ruaf mi net an». Da singt ein Mann, der die Trennung nicht verkraftet. Seine Ex ist sozial aufgestiegen, ihr neuer Freund fährt Porsche. Sie und der Neue gehen fein essen, und er fragt sie, ob sie schon vergessen habe, wie Leberkäse aus dem Zeitungspapier schmecke. Dieser Klassenblues berührt mich.
WOZ: Ihre Literatur wird als musikalisch beschrieben. Wie kommen Sie in einen Flow beim Schreiben?
Barbi Marković: Manchmal entsteht die Musikalität erst in der Korrekturphase. Früher war mir der Rhythmus viel wichtiger, jetzt kommt er fast automatisch. Aber zum Flow fällt mir eine lustige Sache ein. Der Schreibtipp eines Kollegen war: Aufhören, sobald es dir Spass macht. Irritierende Idee, besonders wenn man sie auf das ganze Leben anwenden würde. Vielleicht ist der Flow ja ohnehin überbewertet.
WOZ: Wie schwer fällt Ihnen das Überarbeiten von Texten, das Streichen und Kürzen?
Barbi Marković: Das liebe ich. Es gibt mir das Gefühl von Kontrolle. Das ist eine Gelegenheit, alles besser zu machen. Klüger zu erscheinen. Im Nachhinein das Spiel zu gewinnen.
WOZ: Noch mal zurück nach Serbien: Geht Nostalgie durch den Magen, fehlen Ihnen Speisen aus Ihrer Kindheit?
Barbi Marković: Meine Grossmutter war aus der Vojvodina, ich bin mit ungarischer und Wiener Küche aufgewachsen. Leider war sie eine schlechte Köchin. Als Kind war mein Lieblingsessen aber ohnehin Tomaten, also nicht sonderlich ortsgebunden. Und in Wien hatte ich nicht die Gelegenheit, Nostalgie zu entwickeln. Es gibt alles. Zum Teil besser, als ich es in Belgrad bekommen würde.
WOZ: Was sagen Sie zum Thema «kulturelle Aneignung beim Essen»?
Barbi Marković: Ich kann mich an ein paar Beispiele mit Patentierung von gängigen Namen wie Ajvar erinnern, die mir vor zwanzig Jahren schon problematisch erschienen sind. Eine slowenische Firma wollte das Produkt angeblich mitsamt Namen patentieren. Wie wenn die Schweiz ein Produkt namens «Schnitzel» sichern wollte, und man dürfte das in Wien dann nicht mehr so nennen. Aber ich kenne auch ein gutes Beispiel für eine schlimme Essensnamensaneignung in Österreich: die «Serbische Bohnensuppe» – ein chaotisches, schlechtes Gericht, das mit der Bohnensuppe, die in Serbien gegessen wird, nichts zu tun hat. Ich bin gegen das Canceln. Und für mentale Flexibilität und eine Kombination aus Leichtigkeit und Verantwortung.
Apropos Canceln: Haben Sie schon Hass im Netz erlebt?
Barbi Marković: Bis jetzt nichts Grosses – weder Liebe noch Hass. Und ich habe keine Strategie. Aber wenn so etwas passieren würde, könnte ich es auf keinen Fall gut wegstecken.
Als Kind fand Barbi Marković den Eurovision Song Contest «wahnsinnig aufregend». Grossartig fand sie auch, dass die serbische Kandidatin Konstrakta 2022 mit einem Lied über Arbeitsbedingungen und die Gesundheitsversicherung von Künstlerinnen aufgetreten ist.