Taylor Swift: Ihre Version
Was tut sie als Nächstes? Taylor Swift inszeniert sich selbst so, wie sie ihre Texte schreibt: als gut gebaute Erzählungen.
«Das steigt mir noch zu Kopf», sagt Taylor Swift und blickt verschmitzt in ihr Publikum, gut 70 000 jubelnde Fans im So-Fi-Stadion, Los Angeles, August 2023. «Ihr gebt mir ein grossartiges Gefühl, ein Gefühl, so … mächtig zu sein», fährt sie fort, küsst ihren Bizeps – «als ob ich heute Abend eine ausverkaufte Show im So-Fi-Stadion spielen könnte. Als wäre ich – ‹The Man›.» Das Publikum kreischt.
«The Man»: Im 2019 erschienenen Song singt Swift, sie renne, so schnell sie könne – und frage sich doch immer, ob sie als Mann nicht eher am Ziel wäre. Mittlerweile hat Swift mit ihrer «Eras Tour» über eine Milliarde Dollar eingespielt, bricht Rekord um Rekord; sie erhielt bis dato vierzehn Grammys, seit kurzem steht sie auf der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt. Könnte es das nicht sein, das Ziel? Aber Taylor Swift, so scheint es, rennt einfach immer weiter und weiter.
«Sei nicht wie die Dixie Chicks»
«Wir schämen uns, dass der Präsident der USA aus Texas kommt», sagt Natalie Maines und lacht ein überwältigtes Lachen, als sei sie selbst überrascht von der eigenen Waghalsigkeit. Es ist März 2003, ein Londoner Konzert der Dixie Chicks (heute The Chicks). Das Countrytrio aus Dallas, Texas, sorgte damals für weltweite Aufregung, weil sich Sängerin und Gitarristin Maines kritisch zu George W. Bush äusserte; die drei Frauen sahen sich danach mit Todesdrohungen konfrontiert, an einer Demonstration wurden ihre CDs haufenweise von einem Bulldozer kaputt gefahren, Countryradiosender in den ganzen USA kippten ihre Musik aus dem Programm. Ihr nachfolgendes Album wurde 2006 zwar an den Grammys geehrt – die US-Tour konnte jedoch nicht wie geplant stattfinden: Es wurden zu wenig Tickets verkauft.
Im gleichen Jahr, in dem die Dixie Chicks um ihre US-Tour gebracht wurden, veröffentlichte Swift ihr Debüt, «Taylor Swift». 2006 war sie sechzehn Jahre alt, die Familie war einige Jahre zuvor wegen der Ambitionen der Tochter in die Nähe der Countrymetropole Nashville gezogen. Auf dem Album: schlau geschriebene Coming-of-Age-Countrysongs («Teardrops on My Guitar»), die den Grundstein für Swifts bis heute anhaltenden Ruf als gewitzte und reflektierte Songwriterin legten. Die Leute liebten es.
«Wenn du in den USA mit Country Erfolg haben willst, ist das Erste, was sie dir sagen: ‹Sei nicht wie die Dixie Chicks.›» Das erzählte Swift 2019 in einem Interview dem «Guardian», der mehr über ihre damals überraschende, neu erwachte politische Offenheit wissen wollte. Es sei in diesem Genre normal, dass Label und Manager:innen ihren Künstler:innen eintrichterten, sich nicht einzumischen. Auf die Frage nach ihrer politischen Meinung entgegnete Swift in den ersten Jahren ihrer Karriere gern, sie sei einfach ein Mädchen, das Country spiele, und ihr wurde dafür applaudiert.
Achtzehn Jahre nach ihrem Debüt ist Taylor Swift der erfolgreichste Popstar der Welt. Und es ist unmöglich geworden, über sie zu sprechen, ohne auch über Politik zu sprechen.
Alte Rollen abstreifen
Vom Golden Retriever zum Fuchs, wie das Swift selbst über sich in einem Interview einmal sagte: Dieses Narrativ entwirft auch die Netflix-Dokumentation «Miss Americana» von 2020. Trotz zuweilen absurder Einblicke (im Privatjet, mit Rucksack für den Katzentransport, der aussieht, als wären wir hier in einem Science-Fiction-Film der siebziger Jahre) ist «Miss Americana» durchaus auch berührend. Regisseurin Lana Wilson zeichnet das Leben in der Öffentlichkeit als ständiges Ringen um Kontrolle (wobei der Film, natürlich, ebenso Teil davon ist). Der Moment, in dem sich Swift zum ersten Mal öffentlich politisch äussert, wird als Wendepunkt erzählt: Bei den Senatswahlen in Tennessee 2018 empfiehlt sie den demokratischen Kandidaten und spricht sich gegen die rechte Hardlinerin Marsha Blackburn aus.
Eine herbe Enttäuschung für die US-Rechte, die die Sängerin lange als eine der ihren angesehen hatte (im «Daily Stormer» etwa wurde sie noch 2016 als «arische Göttin» gefeiert). Seither hat sich Swift immer wieder für die Rechte von Frauen und Queers ausgesprochen, für die Black-Lives-Matter-Bewegung und gegen Donald Trump. Ihre Haltung ist solide linksliberal; ihrem Wort wird je nach Einschätzung viel Gewicht beigemessen, besonders wegen ihrer riesigen, treuen Fangemeinschaft. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen hat sie Joe Biden unterstützt – und in diesem Jahr, ja, da warten alle darauf, ob beziehungsweise wann sie es wieder tun wird.
Auch die Republikaner:innen. Sie sowie ihnen zugewandte TV-Sender und Social-Media-Kanäle werfen seit Wochen mit wilden Verschwörungstheorien um sich, die Swift eigenständiges Handeln absprechen oder sie anderweitig diskreditieren wollen. Taylor Swift, eine CIA-Agentin? Eine vom Pentagon herangezüchtete Waffe zur psychologischen Kriegsführung? Eine Lesbe?
«Ihr gebt mir das Gefühl … so mächtig zu sein»: Swift weiss um die eigene Machtposition – und sie geht, das zeigt der Moment am Konzert in Los Angeles, spielerisch, ja selbstironisch damit um. Sie muss sie auch nicht ständig betonen: Zu den Footballspielen ihres Partners Travis Kelce setzt sie sich im schlichten Outfit in die Loge, scheinbar unbekümmert ob all der Aufregung, die sie damit auslöst. Um Längen reicher, berühmter und mächtiger als er, bedient sie nonchalant den alten US-amerikanischen Geschlechtertraum: der starke Mann da vorne auf dem Rasen, die begeisterte Frau, die ihn vom Spielfeldrand aus anfeuert.
Die verliebte Spielerfreundin ist eine weitere Rolle in einem an unterschiedlichen Rollen nicht armen Superstarleben. Man müsse sich als Frau im Showbusiness ständig neu erfinden, damit man nicht vergessen gehe, sagt sie einmal in «Miss Americana». Entsprechend kommt jedes Swift-Album in einem etwas anderen Stil daher, mit eigener Farbpalette, neuer Frisur und passenden Outfits. Keine grundlegenden Veränderungen, aber doch jeweils ein merklicher Wandel.
Brüche und anschliessende Neuerfindungen kann Swift damit geschickt in die Erzählung über sich einpflegen. Nach dem öffentlichen Disput um eine Songzeile von Kanye West, der den Hashtag #TaylorSwiftIsASnake hervorbrachte und Swift anschliessend für ein Jahr aus der Öffentlichkeit verschwinden liess, vermarktete sie ihr nächstes Album, «Reputation» (2017), als Comeback. «Sorry, die alte Taylor kann gerade nicht ans Telefon kommen … Wieso? Sie ist tot!», hiess es in der Auftaktsingle «Look What You Made Me Do»; das Video dazu war geprägt von Schlangenmotiven.
Dabei inszeniert sich Swift gerade nicht als perfekte Alleskönnerin, sondern als eine, die sich diesen Wandel immer hart erarbeiten muss. Weder hat sie eine ausserordentliche Stimme, noch kann sie besonders gut tanzen – statt sie zu vertuschen, betont sie diese Aspekte. Dem «Time Magazine» etwa erzählte sie von ihrer absurd langen täglichen Trainingsroutine für die «Eras Tour» («Choreografie ist nicht meine Stärke»); im Video zu «Shake It Off» sieht man sie zwischen lauter extrem talentierten Tänzer:innen von Ballett bis Breakdance tollpatschig mithopsen. Es war die erste Single des Albums «1989» (2014), mit dem ihre Countryära endgültig zu Ende ging, Swift bezeichnet es als ihr Popdebüt. Die Botschaft: Ich bin vielleicht nicht so gut wie andere, aber ich arbeite härter, also kriege ich, was ich will. Das ist nahbar, vorbildtauglich und extrem amerikanisch.
Kein Zufall?
Gewissermassen inszeniert sich Swift selbst so, wie sie ihre Texte schreibt: viele gut gebaute Erzählungen, sorgfältig arrangiert, mit Pointen und unerwarteten Wendungen – die Songs komplex, lustig und detailreich. Man will wissen, wie es weitergeht; sie zu Ende hören, selbst wenn die Musik drum herum auch mal ziemlich mittelmässig klingt.
Den weiten Raum zur Interpretation, den sie als Star – und damit Projektionsfläche – bietet, gestaltet sie dabei engagiert mit. Denn neben Klatschpresse und rechten Medien ist es auch sie selbst, die Fans (und andere) dazu bringt, in jede ihrer Regungen Dinge hineinzulesen. In ihren Posts auf Social Media, in Songs und in Interviews versteckt sie immer wieder «easter eggs», legt also Fährten, die ihre Fans entschlüsseln können – eine Zeit lang hat sie etwa Neuigkeiten immer in Zyklen von 112 Tagen angekündigt, oder sie läutet mit Outfitwechseln eine neue Swift-Ära ein.
Dass sich Fankultur und Verschwörungstheorien so nahe kommen, ist als Phänomen nicht auf Swift beschränkt. Auch «Game of Thrones»-Fans etwa spekulieren in wilden Theorien über versteckte Bedeutungen des Werks, und bis heute glauben einige Elvis-Anbeter:innen den «King» lebend. Wie sehr sich Swift dabei involviert, scheint dennoch aussergewöhnlich. «Was, wenn nichts von dem hier Zufall ist?», fragt sie im Song «Mastermind» (2022) spitzbübisch. «Ich habe die Grundlage gelegt, der Rest waren eine Reihe Dominosteine.»
Allerdings geraten die Imaginationen über sie gerade zunehmend ausser Kontrolle. Die «arische Göttin» konnte sie durch ihre politischen Äusserungen abschütteln; kürzlich hat ihr Team auch versucht, den hartnäckigen «Gaylor»-Theorien (Swift sei heimlich lesbisch) ein Ende zu setzen. Ob sie die aktuell kursierenden, von rechten Medien befeuerten Verschwörungstheorien loskriegt, bleibt offen.
In letzter Zeit jedenfalls hat sich Swift wiederum eigenwillig gezeigt: Das nächste Album, das in zwei Wochen erscheinen soll, ist nicht wie erwartet eine Fortsetzung ihrer Re-Releases – 2021 hat Swift begonnen, all ihre bisherigen Alben unter dem Zusatz «Taylor’s Version» neu zu produzieren und zu veröffentlichen, um die Rechte darauf zurückzuerhalten –, sondern unerwartet ein ganz neues: «The Tortured Poets Department». Es hat auch einen viel längeren Titel, als das für Swift üblich ist. Aufregung bei den Fans. Und wie steht es nun mit der Empfehlung von Joe Biden für die Wahl zum Präsidenten der USA? Selbst wenns einen bis jetzt überhaupt nicht interessiert hat: Man will doch wissen, wie es weitergeht.