«Civil War»: Roadtrip durch die Kampfzone

Nr. 16 –

Das «umkämpfte Land» USA als realer Kriegsschauplatz? Der durchzogene neue Film von Alex Garland lässt keine simplen Rückschlüsse auf die politische Gegenwart zu. Und packt trotzdem.

Was bleibt? Sicher die eine, fast unerträgliche Szene auf einer Wiese mitten im Nirgendwo. Ein Mann im Tarngewand steht breitbeinig da, knallrote Brillengläser auf der Nase, trügerisch lässig, eine Sonnenbrille wie ein Blutrausch. Neben ihm werden Leichen aus einem Lastwagen in eine bereits halb volle Grube gekippt. Der Mann streut Kalk über die Toten. Und verhört, Finger am Sturmgewehrabzug, eine Gruppe schreckensstarrer Journalist:innen: Wer seid ihr? Woher kommt ihr? Ihr seid «Americans»? Was für «Americans»? Klar ist, dass eine falsche Antwort den sicheren Tod bedeutet. Bloss, was wäre die richtige Antwort?

Alex Garlands «Civil War» ist ein zeitgenössischer Kriegsfilm, wie man ihn noch nicht gesehen hat. Es herrscht Bürgerkrieg in den USA. Wir wissen nicht, wie es dazu gekommen ist, erfahren bloss beiläufig, dass es ein Florida-Bündnis gibt; und dass Texas und Kalifornien die sogenannte Western Alliance bilden. In Portland kämpfen Maoist:innen, in Washington sitzt ein Präsident, der eine dritte Amtszeit erzwungen hat und sein Volk mit Drohnen bombardiert. Das ständig beschworene gespaltene Land ist hier in viele weitere, teils rätselhafte Fraktionen und Fronten zersplittert. Wenn Texas und Kalifornien eine Allianz bilden, kann das Geschehen auf der Leinwand jedenfalls keine direkte Ableitung der USA von heute sein.

Vor der eigenen Haustür

Zum Finale des Films wird das Weisse Haus erobert, was vielen Amerikaner:innen das Blut in den Adern gefrieren lassen wird. Doch auch dieser Sturm ist nicht einfach ein Reenactment des Putschversuchs vom Januar 2021. Die Politik von «Civil War» ist verwirrend. Und mitten durch diese Verwirrung schickt Garland ein gepanzertes SUV mit vier Journalist:innen: zwei Kriegsfotografinnen, eine berühmte (Kirsten Dunst), die schon fast alles gesehen hat, die andere blutjung, ehrgeizig, ungestüm (Cailee Spaeny), sie hat sich dem Tross aufgeschwatzt, will das Handwerk lernen. Flankiert werden sie von einem suchtmittelaffinen Reuters-Journalisten (Wagner Moura) und einem alten Kriegsreporter der «New York Times» (Stephen Henderson). Ziel der Mission: ein Interview mit dem Präsidenten als quasi letzte Trophäe, die für Journalist:innen in diesem Krieg noch zu holen ist.

Dieser holprige, lebensgefährliche Roadtrip liefert den videospielförmigen Plot von «Civil War», in dem sich Kriegszonen mit scheinbar friedlichen Gegenwelten abwechseln. Das Ereignis des Films ist die gern unterschätzte Kirsten Dunst als hartgesottene Kriegsfotografin. Ihre Lee Smith ist getrieben von Überlebenseuphorie und Adrenalinsucht, abgebrüht, aber doch nicht ganz verhärtet hinter vielen Traumaschichten. Und das gesellschaftliche Verhängnis, das in dieser Katastrophenfiktion ausgeformt wird (vgl. «In die Katastrophe gehen wir ganz normal»)? Die wohlbekannte US-Landschaft wird hier für einmal nicht von Aliens oder Terroristen zerschossen, sondern von bis auf die Zähne bewaffneten, aufs Blut verfeindeten Amerikaner:innen.

Der Zusammenbruch der Zivilisation findet vor der eigenen Haustüre statt, «die anderen» sind hier für einmal die Einheimischen: New Yorker:innen im Kampf um einen Kanister sauberes Wasser, aktivistische Selbstmordattentäterinnen, eiskalte Heckenschützen mit grün gefärbten Haaren und rosa lackierten Fingernägeln, aufgehängte Plünderer wie in den Radierungen von Goya. Es ist, als würden hier all die weltweiten Kriege der USA nach innen gekehrt; das Schlachtfeld für einmal kein namenloser Wüstensand, sondern die Strassen von Washington D. C.; das Innerste der Nation eine unübersichtliche kriegerische Selbstzerfleischung, oft mehr Horror- als Kriegsfilm.

Ist Kino Krieg?

Wie aus einer anderen Zeit importiert wirken zuerst die beiden Fotografinnen, die in das Gemetzel eingebettet sind. Vielleicht hat Garland Paul Virilio gelesen. Der französische Philosoph beschreibt 1984 in «Krieg und Kino», wie um den Ersten Weltkrieg neue Waffensysteme und neue Kameras auf die Schlachtfelder drängten; wie dadurch «Schussfelder» auch zu «Drehorten» wurden. Dies habe nicht nur die «Logistik der Wahrnehmung» nachhaltig geprägt, sondern auch Krieg und Kino selber. Virilios Fazit: «Krieg ist Kino und Kino ist Krieg.» Wenn Lee Smith und ihr Lehrling Jessie in der Schusslinie der Kugeln Fotos schiessen, werden auch sie zum Teil des Kriegsgeschehens. Töten und fotografieren gehen eine Verbindung ein: Die Fotografinnen jagen nach ikonischen Bildern, die Soldat:innen wollen ihre Held:innenmomente festgehalten wissen. Fotografien sind kein hehres Korrektiv dieser aus den Fugen geratenen Welt, sondern integraler Teil davon. Dasselbe gilt für den Kriegsfilm.

«Civil War» ist kein einfacher und auch nicht einfach ein guter Film. Der alte Vorwurf an den Regisseur von «Ex Machina» und «Annihilation», dass er vor allem Atmosphären und Ideen verfilme und dabei Plot und Figurenzeichnung vergesse, trifft auch hier zu. Als Zuschauerin windet man sich 109 Minuten lang in einem Wechselbad der Einschätzungen: Mal dominiert der Eindruck, in einem unbestritten grossartigen Film zu sitzen, dann verwirft man wieder kopfschüttelnd die Hände. Aber als aufwühlender, nervenzerrüttender, allerdings ultimativ resignierter Gedankenschüttelbecher funktioniert «Civil War» alleweil.

«Civil War». Regie und Drehbuch: Alex Garland. USA / Vereinigtes Königreich 2024. Jetzt im Kino.