Regierungsratswahlen: Aufholjagd in St. Gallen
Bettina Surber (SP) verhindert im zweiten Wahlgang einen zweiten SVP-Regierungssitz. Eine Abreibung für die Rechtsaussenpartei und Bauernpräsident Markus Ritter.
Als der St. Galler Staatssekretär Benedikt van Spyk letzten Sonntag kurz nach 13 Uhr im Pfalzkeller die Wahlresultate verliest, machen SVP-Ständerätin Esther Friedli und ihre Truppe lange Gesichter. Die wählerstärkste Partei verpasst einen sicher geglaubten zweiten Sitz deutlich. Daneben bricht die SP in lang anhaltenden Jubel aus. Bettina Surber (SP) fängt in einer rasanten Aufholjagd in den urban geprägten Regionen den SVP-Kandidaten Christof Hartmann auf der Ziellinie ab. Dieser kann den Sitz des zurückgetretenen Regierungsrates Stefan Kölliker halten, die zweite Kandidat:in der SVP, Dana Zemp, hat jedoch das Nachsehen. Wie dieser Wahlerfolg zustande gekommen ist, weist weit über den Ostschweizer Kanton hinaus.
Rückblende: Im Frühling vor einem Jahr jagt die SVP mit Esther Friedli der SP deren Ständeratssitz ab. Und auch am 3. März dieses Jahres kann sich die SVP bei den Kantonsratswahlen als grosse Wahlsiegerin feiern lassen. Die ohnehin weitaus stärkste Fraktion im 120-köpfigen Kantonsparlament gewinnt sieben Mandate hinzu, sie besetzt nun mehr als ein Drittel aller Sitze. Bei den gleichzeitig stattfindenden Regierungsratswahlen greift die SVP den zweiten SP-Sitz an, der mit dem Rücktritt von Fredy Fässler frei geworden ist. Im ersten Wahlgang werden fünf der Bisherigen problemlos bestätigt (2 FDP, 2 Mitte, 1 SP).
Die beste Ausgangslage im zweiten Wahlgang scheint die Kantonsärztin und politische Quereinsteigerin Dana Zemp zu haben. Es sieht düster aus für die SP – zumal sich mit Markus Ritter einer der einflussreichsten Strippenzieher in Bern schon drei Monate vor dem Wahltermin einmischt, die kantonalen Wirtschaftsverbände hinter sich schart und für «sechs bürgerliche» Kandidat:innen wirbt. Zu diesem Zeitpunkt steht noch nicht einmal fest, wer für die SVP antreten wird: Der Machtanspruch des Bauernverbandspräsidenten und Mitte-Nationalrats scheint keine Grenzen zu kennen. Er hat bereits auf nationaler Ebene ein Bündnis zwischen Bauernverband und Wirtschaftsverbänden geschmiedet. Nun will er St. Gallen offensichtlich noch weiter nach rechts rücken. Eine entscheidende Rolle spielt auch das «Haus der Freiheit», das Gasthaus von Esther Friedli und ihrem Partner Toni Brunner, Treffpunkt der Parteielite. Das Mini-Herrliberg in den Toggenburger Hügeln drückt Dana Zemp als Kandidatin durch. Sie erlangte während der Corona-Zeit als Kantonsärztin eine gewisse Bekanntheit, ist politisch aber eine Blackbox. Sie tritt erst vor den Wahlen der SVP bei.
Ganz anders Bettina Surber. Die selbstständige Anwältin mischt seit gut zwei Jahrzehnten in der Politik mit. Zunächst in der Juso, dann im St. Galler Stadtparlament, schliesslich als Kantonsrätin und Fraktionschefin. Als prononcierte Linke geniesst sie über die Parteigrenzen hinweg Ansehen, gilt als verbindlich und konsensfähig. Im ersten Wahlgang liegt sie noch rund 10 000 Stimmen hinter den beiden SVP-Leuten. Deren Erfolg scheint sicher. Aber Surber – Schwester des gleichnamigen WOZ-Redaktors – und ihr Wahlteam geben sich nicht geschlagen. Die SP-Frau und ihr Team lancieren eine Kampagne und lösen damit eine Bewegung aus, die an einen anderen Erfolg erinnert: In Schaffhausen trug im vergangenen Herbst eine Bewegung Simon Stocker (SP) in den Ständerat und servierte den parteilosen Bisherigen Thomas Minder im zweiten Wahlgang ab.
Und wie in Schaffhausen mobilisiert das Team Surber Stimmen über die Parteigrenzen hinweg, erhält prominente Unterstützung aus dem bürgerlichen Lager bis hin zu einem Altregierungsrat der FDP. Selbst der Chefredaktor des einst stockfreisinnigen «St. Galler Tagblatts» spricht sich für Surber aus. Den Sozialdemokrat:innen gelingt es, nicht nur in der Kantonshauptstadt, sondern auch in kleineren Gemeinden am meisten Stimmen zu holen. Das gab es schon lange nicht mehr.
Gleich nach der Wahl informierte die SP, nun mit den Grünen und neu auch mit der GLP eine Fraktion im Kantonsrat zu bilden. Diese erreicht dann immerhin ein Viertel der Stimmen im Parlament. Die Linke sollte den Schwung aus Surbers erfolgreicher Kampagne nun weiter politisch fruchtbar machen.