Coronavorstösse: Auf Sparflamme
Symposien, Initiativen, Demos: Die Massnahmengegner:innen wollen ihren Anliegen neuen Schub verleihen. Das gelingt nur mässig. Doch Ueli Maurer sucht die Brücke zum Programm seiner SVP.
Auf der Bühne brennt ein Feuer – ein Fake-Feuer, ausgerechnet. Zum «Kamingespräch» in die Mehrzweckhalle in Auw AG eingeladen haben letzten Freitag die rechten Staatskritiker:innen der Freunde der Verfassung. Deren Präsident, Roland Bühlmann, setzt sich nach der Begrüssung zum Gespräch gleich selbst in einen der zwei riesigen Ohrensessel auf der Bühne. Er sei im «zwangsfinanzierten Gebührenfernsehen» gefragt worden, ob es die massnahmenkritische Bewegung überhaupt noch brauche, sagt er. «Uns braucht es immer mehr!» Applaus.
Ehrengast ist SVP-Altbundesrat Ueli Maurer, wie Bühlmann im blauen Anzug; auch er versinkt in einem Ohrensessel. Moderator ist der wegen übler Nachrede verurteilte ehemalige «Weltwoche»-Journalist Philipp Gut, der die Männerrunde mit der Behauptung eröffnet, die Coronapandemie sei eine einzige Massenhysterie gewesen. «Es war ein Totalversagen der Politik und der Medien. Wie war dies möglich, Herr Maurer?»
Guts Frage zielt auf den Kassenschlager: Ueli Maurer hat bereits im Dezember gegenüber der rechten, verschwörungsaffinen Plattform «Hoch2.tv» von einer bewusst geschürten Hysterie gesprochen und damit viel Aufmerksamkeit auf sich und den Sender gezogen. Auch in Auw liefert Maurer wie gewünscht: «Das war ein Giftmix zwischen den Medien und der Politik», referiert er. Die Pandemie sei zwar nicht ganz erfunden gewesen. «Aber weit, weit übersteigert.» Und, betont Maurer, man habe keine «anderen Meinungen angehört». Applaus.
Neue Initiativen
Gut zwei Jahre nachdem die Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie für beendet erklärt wurden, ringen die Gruppierungen, die aus dem Dunstkreis der Coronaproteste erwachsen sind, um Aufmerksamkeit und Relevanz: An verschiedenen Orten der Schweiz fanden in den letzten Wochen und Monaten Veranstaltungen zur «Aufarbeitung» der Pandemie statt. Anfang April etwa trafen sich bekannte Köpfe der verschwörungsaffinen Szene am nur zur Hälfte belegten Coronasymposium «Fakes und Fakten» in Bern – auch da sprach Ueli Maurer. In Zürich fand vor zwei Wochen das «WHO-Symposium» statt. Titel einer Rede: «Warnung vor nächster Plandemie». Mit dabei: Philipp Gut. Nun also Auw, eine weitere Mehrzweckhalle, die gleichen Männer.
Dazu kommen Vorstösse und Initiativen: Am 9. Juni stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung über die von der Freiheitlichen Bewegung Schweiz (FBS) bereits während der Pandemie aufgegleiste Initiative «Stopp Impfpflicht» ab. Präsidiert wird der Verein von Richard Koller, den die SVP einst aus der Partei warf, weil er mit einer eigenen ausländerfeindlichen Initiative die «Begrenzungsinitiative» der Partei konkurrenziert hatte. Die Impfstopp-Initiative, die im Wortlaut vieldeutig verlangt, dass alle «Eingriffe in die körperliche oder geistige Unversehrtheit einer Person […] deren Zustimmung» bedürfen, dürfte gemäss einer ersten Umfrage wenig Chancen haben, wird aber immerhin von SVP und EDU unterstützt.
Dazu läuft die Unterschriftensammlung für die «Souveränitäts-Initiative», deren Komitee von Bühlmann und dem rechtsradikalen Verschwörungstheoretiker und Massvoll-Präsidenten Nicolas Rimoldi präsidert wird wurde – und die sich offen formuliert gegen völkerrechtliche Verpflichtungen richtet, die «Grundrechte» tangieren würden. Im Komitee: SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor. Eine weitere Splittergruppe sammelt Unterschriften für eine «Aufarbeitungsinitiative» – und der rechte Verein Pro Schweiz bekämpft per Petition den Schweizer Beitritt zum WHO-Pandemiepakt, mit dem sich die internationale Gemeinschaft besser gegen künftige Pandemien wappnen will.
Die Anliegen versprechen allesamt zu scheitern, die Bewegung läuft trotz Verbindungen zur SVP auf Sparflamme. Die Demonstration, zu der Massvoll einen Tag nach dem Kamingespräch in Auw aufruft, lockt gerade noch ein paar Hundert Menschen auf den Bundesplatz. Verfassungsfreund Bühlmann ist dabei und reisst Witze über den Klimawandel – auch so ein Kassenschlager. Rimoldis floskelhaftes Pathos, mit dem er eine düstere Ära der Schweiz heraufzubeschwören versucht, will jedoch nicht so recht zum Wetter passen. Die Sonne scheint, die lila Massvoll-Fähnchen flattern sanft im Wind. Eine ältere Demoteilnehmerin sagt bedauernd zu ihrer Begleiterin, ihre Schwester mache «sofort zu, wenn ich anfange». Den Kitt dürften Rimoldi und Co. kaum liefern.
Raunen und Zweifel säen
Massvoll gehts um Aufmerksamkeit und die Suche nach Schuldigen – selbst auf der kleinen Bühne im Aargau. Effekthascherisch verlangt Rimoldi von Maurer, für seine Mitverantwortung zu Kreuze zu kriechen. «Ohne Ueli wäre es noch schlimmer gewesen mit der Pandemiepolitik», wirft sich ein Verteidiger aus dem Publikum dazwischen. Applaus. Von den geschätzt 300 Menschen dürften einige von der SVP mobilisiert worden sein, die für die Veranstaltung geworben hat. Andere zeigen sich den Splittergruppen der massnahmenkritischen Bewegung zugehörig, die im Eingang Flyer und Unterschriftenbögen auflegen.
Maurer versucht, alle gleichzeitig anzuspielen. Seine Strategie ist eine der unbedarften Ambivalenz, das zeigte sich bereits bei seinem Auftritt im Trychlerhemd im Jahr 2021. Er behauptet, Gräben zuschütten zu wollen – «Schuldzuweisungen bringen jetzt nichts mehr» –, betreibt aber auch an diesem Abend weiter Spaltungspolitik: Der Bundesrat sei von den Medien und der Verwaltung gegängelt worden. Theoretiker und Technokraten hätten das Zepter übernommen. Die Mehrheit sei «so blöd» gewesen, das alles auch noch zu glauben. Ganz viel könne man sich heute nicht erklären. Raunen, Zweifel säen. Applaus.
Strategische Ambivalenz
Zwar will sich seine Partei nicht mit kruden Verschwörungsthesen ins Abseits manövrieren; gleichzeitig bedient Maurer das Publikum in Auw mit frei interpretierbaren Versatzstücken aus Verschwörungstheorien. Als sich aus dem Publikum jemand meldet und über die Allmacht der in der Schweiz ansässigen internationalen Impfallianz Gavi fantasiert, wiegelt Maurer erst ab: Die Organisation habe denselben rechtlichen Status wie alle anderen internationalen Stiftungen. Um hinterherzuschieben, es sei gefährlich, wenn solche Organisationen zu gross würden. Zu unkontrollierbar. Die Ambivalenz ist strategisch, Maurer agitiert ganz im Geist der SVP: gegen rechts offen, mit dem Ziel, Wähler:innen zu gewinnen.
Man müsse nach der Pandemie sparen, mahnt Maurer vor dem Kamin, und die Krankenkassen-Initiativen abwehren. Zum russischen Angriffskrieg sät er Zweifel: Die Medien würden die Meinung in eine Richtung treiben und damit die Politik vor sich her. Die Ukraine sei sicher nicht so gut, wie von der Presse behauptet, Russland nicht so schlecht.
Die Pandemie ist vorbei. Die Fake-News sind es nicht.
Mitarbeit: Ayse Turcan