Die Bewegung gegen das Covid-Gesetz: «Liberté» auf Sparflamme
Radikale Massnahmengegner:innen kündigten bei Annahme des Covid-19-Gesetzes einen Sturm auf das Bundeshaus an. Stattdessen herrschte am Sonntag Katerstimmung.
Im «Sternen» in Bümpliz zeichnen sich bereits kurz nach 13 Uhr lange Gesichter ab. Die JSVP hatte zusammen mit dem Nein-Komitee gegen das Covid-19-Gesetz zur Medienorientierung geladen. Der kleine, urchige Gasthof ist vollgestopft mit Medienleuten. Im oberen Stockwerk hat sich das Komitee verschanzt, Medien ist der Zutritt verboten. Periodisch kommt jemand runter und informiert über die Ergebnisse. Es sieht nicht gut aus, auch nicht für die Medien. Es ist langweilig, die grosse Zitterpartie ist ausgeblieben. David Trachsel, Präsident der JSVP, steht als Einziger in der Mitte des Raums und gibt weiterhin Interviews, auch wenn die Niederlage eigentlich schon feststeht. Dass sich knapp 62 Prozent der Stimmbürger:innen für das Covid-Gesetz ausgesprochen haben, wird das Komitee «wohl oder übel» akzeptieren, lässt deren Sprecher Josef Ender später im SRF verlauten.
Die Saga vom Wahlbetrug
«Volksverräter!», brüllt die feingliedrige Frau um die vierzig immer wieder in Richtung Bundeshaus. Dann nimmt sie eine vom Schneeregen durchnässte Schweizer Verfassung aus der Tasche und reckt sie in die Luft, einige der Umstehenden tun es ihr nach, andere strecken drei Finger in die Höhe, jemand stimmt verlegen den Schweizerpsalm an.
Viel wurde im Vorfeld gezittert, berichtet, agitiert. Der Bundesplatz sollte gesperrt werden, ja die halbe Innenstadt, wenn es die Lage verlangen würde. Mehrere massnahmenkritische Kreise hatten bereits Wochen vor der Abstimmung von «Wahlbetrug» gesprochen, einen Sturm auf das Bundeshaus angekündigt, mit Gewalt gedroht. Auch noch am Sonntagvormittag fragt ein Mann mit Tell als Profilbild in einem der Telegram-Chats, über die sich die hier Anwesenden primär organisieren, ob man mit einer Waffe nach Bern kommen solle. Er wird ignoriert. Am Schluss finden sich nur etwa 150 Personen im Schneeregen auf dem Bundesplatz ein.
In den Seitengassen stehen einzelne Polizeibeamte, neben dem Bundeshaus wartet ein Wasserwerfer. Zwei Polizisten in Sicherheitsweste werden von einem älteren Mann angesprochen: Ob sie ihn jetzt auch einsperren würden wie die Menschen in Südafrika und Australien und ob sie überhaupt wüssten, «wer uns eigentlich regiert», was der «great reset» sei. Die Beamten schütteln den Kopf. Sie seien halt auch nur Befehlsempfänger, diese Polizisten, sagt der Mann weiter. Aber er hoffe, sie würden dann schon auf ihr Herz hören, wenn es heisse, man müsse die Gesellschaft unter Zwang impfen und in Lager sperren.
Am Nachmittag kommt es zu vereinzelten Rangeleien, ansonsten bleibt es ruhig. Auch den Medienleuten ist die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Die Helvetia-Trychler sind ferngeblieben, ein Herr mittleren Alters schwingt einsam eine Kuhglocke. «Liberté!», hallt es immer wieder; die Parole «Das Volk ist souverän» mag heute niemand anstimmen.
Verschonter Weihnachtsmarkt
Auf dem Bundesplatz vor dem Gitter zusammengekommen ist nur noch der harte Kern: keine Unbekannten, sondern die radikalsten Massnahmengegner:innen aus der deutschen, französischen und italienischen Schweiz. Einzelne Neonazis der kürzlich in Erscheinung getreteten Gruppierung WG (siehe WOZ Nr. 47/2021 ) führen die Gruppe kurzzeitig an, als sie sich Richtung Bahnhof in Bewegung setzt, und versuchen später, sie dazu zu animieren, den Weihnachtsmarkt zu stürmen, um so gegen die Zertifikatspflicht zu protestieren. Die Masse bleibt jedoch träge. «Die Schlacht ist verloren, der Kampf geht weiter», schreibt derweil eine Userin in einer Berner «Widerstandsgruppe» auf Telegram und erntet viel Zustimmung. In der Gruppe «Wahlbetrug Schweiz» wird eifrig durchdekliniert, was alles nicht gezählt worden sei, wer alles lüge.
Gegen Abend gibt die Bewegung «Massvoll» bekannt, dass sie das Resultat als «nicht legitim» und «nicht bindend» bewerte. Das offizielle Nein-Komitee dagegen distanziert sich davon. Was bedeutet das für die Akzeptanz bezüglich der Coronapolitik des Bundes, den kommenden Winter und die Durchimpfungsrate? Es gilt, wie so oft in den letzten anderthalb Jahren: abwarten und neu einschätzen.