KI-Training in Afrika: Klicks am Fliessband
Was als künstliche Intelligenz die Welt umkrempeln und Investor:innen reich machen soll, muss noch immer von Menschenhand perfektioniert werden. Das arbeitsintensive KI-Training wird heute in Billiglohnländern betrieben – zum Beispiel in Uganda.
Das Grossraumbüro liegt im Erdgeschoss eines gläsernen Bürogebäudes im Zentrum von Kampala. 150 junge Ugander:innen sitzen an langen Tischen dicht an dicht vor Computerbildschirmen. Es ist düster und stickig, die Vorhänge sind zugezogen.
Gebannt blicken die Angestellten auf ihre Monitore. Auf einem ist das Innere eines Warenlagers zu erkennen, Regale voller Pakete. Per Mauszeiger wird der Greifarm eines Roboters dirigiert: Klick für Klick wird ihm beigebracht, wie er die richtige Kiste aus dem Regal zieht. Auf dem Bildschirm gleich daneben ist eine Obstplantage zu sehen, gefilmt von einer Drohne. Hier müssen jene Äpfel markiert werden, die reif für die Ernte sind. Die Drohne muss lernen, selbstständig das richtige Obst zu pflücken.
Geredet wird hier kaum. Konzentration ist angesagt. Jeder Mausklick muss sitzen. Die Aufträge kommen von grossen Technologiefirmen wie Meta, zu der etwa Facebook, Instagram oder Whatsapp gehören, von Handelskonzernen wie Walmart und Amazon oder dem Elektroautohersteller Tesla. Diese Konzerne mischen vorne mit im Rennen um die Entwicklung sogenannter künstlicher Intelligenz (KI), um Abläufe in Versandzentren oder Autos zu automatisieren und menschliche Arbeitskraft zu erübrigen. Bis eine KI aber zum Beispiel weiss, bei welchem Strassenschild ein selbstfahrendes Auto einem anderen Vortritt gewähren soll, muss sie trainiert werden – von Menschenhand, mit unzähligen Klicks. Unter anderem hier in der ugandischen Hauptstadt Kampala.
Standortvorteil Billiglohn
Sama heisst das Unternehmen, das den Techfirmen KI-Training in Kampala und an weiteren Standorten in Afrika anbietet. Es ist eines von zahlreichen Start-ups, die überall auf dem Kontinent geradezu aus dem Boden schiessen. «Wir bieten all diese Dienste im globalen Vergleich sehr viel billiger an», sagt Joshua Okello, der Geschäftsführer von Sama in Uganda.
Der 34-jährige Softwareentwickler setzt sich an den ovalen Tisch im kleinen Konferenzraum der Firmenzentrale. Diese ist lässig eingerichtet mit bunten Stoffen an den Wänden. Von der Decke baumeln alte Glasflaschen, aus denen Pflanzen in alle Richtungen ranken. Auf dem Tresen der firmeneigenen Kantine steht ein mit bunten Lollipops gefüllter Behälter, aus dem sich alle bedienen dürfen. Start-up-Chic, der an die vertrauten Bilder aus dem kalifornischen Silicon Valley erinnert. Dieser Kultur fühle er sich durchaus verbunden, sagt Okello. Der Hauptsitz des international tätigen Unternehmens befindet sich in San Francisco.
Auch fast alle Kund:innen von Sama haben ihren Hauptsitz in Nordamerika und Europa oder auch in Israel, wo KI-Training vor allem in der Drohnentechnologie verwendet wird. Weil an diesen Standorten aber relativ hohe Löhne bezahlt werden müssen, lagern die Konzerne die arbeitsintensiven Trainingsprozesse schon seit langem in Billiglohnländer aus. Früher kamen vor allem Firmen in Indien oder Bangladesch zum Zug, doch sind in Asien die Löhne mittlerweile ebenfalls angestiegen. In Uganda liegt der gesetzliche Mindestlohn seit 1982 bei umgerechnet rund zwei Franken – pro Tag. Das mache das Land zu einem «exzellenten Standort zum Outsourcen», erklärt Okello, nennt aber noch weitere Gründe: «Wir sprechen Englisch, wir sind ungefähr in derselben Zeitzone wie Europa, und wir kennen die europäische Kultur, weil wir dieselben Filme und die gleiche Musik konsumieren.»
Gegründet hat Sama einst die junge US-amerikanische Geschäftsfrau Leila Janah. Die Tochter indischer Einwander:innen hatte in Harvard Afrikawissenschaften studiert und das Unternehmen 2008 ins Leben gerufen; die ersten Filialen entstanden in Indien und Kenia. Okello hat den ugandischen Ableger von Sama übernommen, als Janah vor vier Jahren verstarb. Janahs Ziel war es, im Globalen Süden Arbeitsplätze für junge Menschen zu schaffen. In Uganda startete Sama 2012 zunächst als eine Art Hilfsorganisation in Gulu, einer Stadt im Norden des Landes, die sich gerade erst vom jahrzehntelangen Bürgerkrieg erholte.
Rechtlich als NGO aufgestellt, kooperierte die Vorgängerorganisation von Sama mit der internationalen Entwicklungsorganisation Oxfam. «Bring Jobs statt Hilfsgüter» sei immer noch das Motto von Sama, erklärt Joshua Okello. Über 400 junge Ugander:innen arbeiten heute in Gulu. Die Filiale in der Hauptstadt Kampala, wo 150 Leute eingestellt wurden, eröffnete 2019. Das Gute an der Firma sei, so Geschäftsführer Okello: «Um bei Sama zu arbeiten, brauchst du keine Fähigkeiten, du musst nicht einmal einen Schulabschluss haben.» Die meisten Mitarbeiter:innen hätten noch nie einen Computer gesehen, bevor sie hier anfingen.
Die Klickrate wird überwacht
Bruno Kayiza ist einer jener jungen Sama-Angestellten, die den Ansatz «Jobs statt Hilfsgüter» zu seinen Gunsten nutzen konnten. Wohl deswegen hat man bei Sama den Dreissigjährigen ausgewählt, damit er im Gespräch seine Geschichte erzählen kann; mit allen anderen Angestellten im Grossraumbüro dürfen keine spontanen Interviews geführt werden. Das Unternehmen legt grossen Wert auf Imagekontrolle. Und Kayiza, in Jeans und Poloshirt mit Firmenlogo gekleidet, ist ein Vorzeigekandidat. Er hat an der Universität in Gulu studiert, wo gleich nebenan die erste Sama-Zentrale entstand. «Ich war neugierig, was da passierte, und habe mich dort eines Tages vorgestellt», erzählt er.
Kayiza wurde eingestellt. Vier Jahre lang brachte er in Gulu Robotern bei, reife Äpfel zu pflücken, bevor er zum Teamleiter aufstieg, um die Arbeitsqualität seiner Kolleg:innen zu überwachen. Schritt für Schritt erklomm er die Karriereleiter. Heute ist er für 418 Angestellte zuständig, die in zwei Schichten arbeiten. Tag und Nacht trainieren sie die KI für Tesla-Autos, damit diese selbstfahrend auf den Strassen unterwegs sein können. Jeder einzelne PC registriert, ob die Mitarbeiter:innen das Soll an täglichen Klicks erfüllen.
Bruno Kayiza lobt die Chancen, die Sama jungen Leute biete. Uganda leidet an einer enormen Jugendarbeitslosigkeit. Selbst bestens ausgebildete und studierte Ugander:innen finden nur selten eine passende Anstellung. Die Arbeit bei Sama sei sehr interessant, betont Kayiza, und vor allem: «Das Gehalt ist gut.» Es liege rund zwanzig Prozent über den etwa 150 Franken, die Arbeiter:innen ohne Ausbildung in Uganda in der Regel heute verdienen. Hinzu kommen soziale Absicherungen: eine kostenlose Krankenversicherung oder ein günstiges Mittagessen. Das sei in Uganda keine Selbstverständlichkeit, sagt Kayiza. Der Arbeitsmarkt sei «wirklich kompliziert». Unzählige Jugendliche seien auf der Suche nach Arbeit, viele machten einen Uniabschluss – «aber sie wissen nicht, was als Nächstes kommt». Vor allem für Leute wie ihn, die Wirtschaftswissenschaften studiert hätten, gebe es praktisch keine Jobs. So würden selbst jene mit abgeschlossenem Studium meist als Gärtnerinnen, Nachtwächter oder an einer Supermarktkasse arbeiten.
Was in diesem stickigen Raum sofort auffällt: Diese Arbeit ist sehr fordernd. Das Unternehmen steht unter grossem Preisdruck, den es an die Angestellten weitergibt. Jede Bewegung mit der Maus wird registriert, jeder Klick muss in Sekundenschnelle abgewogen werden. Das bedingt ein sehr hohes Konzentrationsvermögen – jeden Tag über acht Stunden hinweg, in Tages- und Nachtschichten.
Einen kritischen Blick auf das Firmenmodell von Sama hat die Kenianerin Nanjira Sambuli. Die Expertin für digitale Gleichberechtigung forscht in Nairobi zu den Auswirkungen, die die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Hochtechnologie auf afrikanische Gesellschaften haben. Die Versprechen von Sama klängen «ein wenig zu positiv, um wahr zu sein», sagt Sambuli im Gespräch.
«Silicon Savannah»?
Kenia nimmt eine Vorreiterrolle ein, was die Niederlassung internationaler Techfirmen in Afrika betrifft. Schon 2012, als die ersten Glasfaserkabel von der Küste des Indischen Ozeans ins Innere des Kontinents verlegt wurden und sich die Datengeschwindigkeit über Nacht vervielfachte, eröffneten Konzerne wie Google, Microsoft oder IBM in Nairobi ihre ersten Filialen, um arbeitsintensive Jobs dorthin auszulagern. Kenias Politiker:innen versprachen, es werde eine «Silicon Savannah» entstehen mit vielen guten Jobs für junge Afrikaner:innen.
Die Realität sah dann ganz anders aus, wie Nanjira Sambuli erklärt, und Sama sei dafür ein gutes Beispiel. «Ja, junge Menschen brauchen Jobs – keine Frage», so die Forscherin. «Doch sind die Jobs, die Sama anbietet, nun sinnvoll? Sind sie sicher? Welche Standards setzen sie in Hinsicht auf den Mindestlohn?» Viele junge Ostafrikaner:innen bezeichnen Sama mittlerweile als «Klickfabrik» – weil hier gearbeitet wird wie an einem Fliessband.
In Kenia wurde Sama – zusammen mit der Auftraggeberin Meta beziehungsweise Facebook – vor zwei Jahren von mehreren einstigen Angestellten verklagt. Die Vorwürfe reichten von Zwangsarbeit über Menschenhandel bis zur systematischen Bekämpfung einer Gewerkschaftsgründung. Im Lauf des Prozesses vor dem Arbeitsgericht, den Sambuli intensiv verfolgte, kamen Details aus den Verträgen der Firma mit ihren Mitarbeiter:innen an die Öffentlichkeit. Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass Sama seinen Angestellten bloss wenig mehr als den gesetzlichen Mindestlohn auszahlt. Man tue dies, «um den lokalen Arbeitsmarkt nicht zu schädigen», habe die Firma vor Gericht argumentiert, erzählt Sambuli. Sowohl in Kenia als auch in Uganda sind die gesetzlichen Mindestlöhne seit langem höchst umstritten. Sie seien deutlich zu tief angesetzt, sagt Sambuli. Anstatt sich von einer vermeintlichen Zukunft als «Silicon Savannah» blenden zu lassen, fordert sie, «sollten wir vielmehr über angemessene Bezahlung und menschenwürdige Arbeitsplätze sprechen».