Kost und Logis: Eigentum spaltet

Nr. 20 –

Bettina Dyttrich denkt über die harte bäuerliche Gesellschaft nach

Ich kannte meinen Grossvater nicht gut. Er war Bauer, ging am Stock, auf mich wirkte er sehr alt. Ich war acht, als er starb.

Auch meine Grossmutter kannte ich nicht gut, obwohl sie fast zwanzig Jahre länger lebte. Erst als sie schon im Altersheim war, fragte ich sie einmal aus, wollte mehr wissen über ihre jungen Jahre als Köchin in Zürich. Aber auch da ging es mehr um Daten als um Gefühle. In der Welt, aus der meine Grosseltern kamen, war ein vertrauliches Verhältnis zwischen den Generationen nicht üblich. Und auch sonst nicht, soviel ich weiss. Es ging darum, das Gesicht zu wahren. Was werden die anderen sagen? Wer von den Nachbar:innen etwas brauchte, trat nicht über die Schwelle. Man regelte die Angelegenheit vor der Tür. Dieses Detail aus den Erzählungen meiner Mutter ist mir geblieben.

Die französische Journalistin Florence Aubenas schreibt über das bäuerliche Milieu im Burgund: «Alles, was nach Schwäche aussieht, muss vergraben werden. Härte zeigen. Unsere Angelegenheiten sind unsere Angelegenheiten, niemand darf sie kennen.»

2017 erschoss ein Gendarm den Viehzüchter Jérôme Laronze, der auf der Flucht vor der Polizei war. Aubenas, eine der renommiertesten Reporter:innen Frankreichs, hat recherchiert, wie es dazu kam. Laronze ist der einzige Sohn – für die Eltern ist klar, dass er den Hof übernimmt, nicht eine Tochter. Der junge Bauer hat viele Ideen, schliesst sich der alternativen bäuerlichen Gewerkschaft Confédération paysanne an. Doch er hat bereits einen konventionellen Weg eingeschlagen, den Betrieb vergrössert, ist allein für 130 Kühe zuständig. Seine Überforderung versteckt er. Dann beginnen die Tierschutzkontrollen. Irgendwann sieht Laronze überall nur noch Feinde.

Warum ist die bäuerliche Gesellschaft so hart? Warum scheint Solidarität untereinander fast unmöglich? Klar, Laronze’ Geschichte ist ein Extremfall. Aber sie hängt doch zusammen mit dieser Härte, dieser Sprachlosigkeit, der Faszination für grosse Maschinen und immer noch mehr Land, mit dem «brutalen Darwinismus», wie es der Waadtländer Autor und Bauernsohn Blaise Hofmann nennt: «Man beobachtet den Nachbarn, nimmt seinen möglichen Konkurs schon vorweg. Und nach der Beerdigung wird am Stammtisch schon mal die künftige Aufteilung der Parzellen diskutiert.» Eigentum spaltet. Hofmanns Buch «Die Kuh im Dorf lassen» ist ein Erfolg, und zu Recht: Endlich schreibt jemand über Landwirtschaft, der sie richtig gut kennt und doch auch die Irritation über sie versteht.

Die Wut der Landwirt:innen über die hohen Margen der Grossverteiler und die eigenen tiefen Erlöse, über die fehlende Wertschätzung ist berechtigt. Aber es gibt auch ein Elend, das die Bauern – ja, vor allem die Männer – nur selbst angehen können: indem sie sprechen lernen. Miteinander, über sich selbst. Dann würden sie vielleicht endlich aufhören zu glauben, Härte tue ihnen gut.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin. «Die Kuh im Dorf lassen» von Blaise Hofmann ist im Atlantis-Verlag erschienen, Florence Aubenas’ Recherche im Sammelband «Ici et ailleurs» (Editions Points).