Film: In jeder Faser im Wandel

Nr. 23 –

Filmstill aus «Alle die Du bist»: Menschen umarmen sich
«Alle die Du bist». Regie und Drehbuch: Michael Fetter Nathansky. Deutschland/Spanien 2024. Jetzt im Kino.

«Alle die Du bist» ist die Geschichte einer Liebe und eines leisen Abschieds. Nadine (intensiv: Aenne Schwarz) und Paul (leidenschaftlich: Carlo Ljubek) lernen sich bei der Arbeit in einer Fabrik im Rheinischen Braunkohlerevier kennen, doch nach Jahren als Paar hat sie sich von ihm entfernt. Die Frau versucht, alles zusammenzuhalten: die Beziehung zu Paul, dem liebenden Vater ihrer gemeinsamen Kinder, und auch die Kolleg:innen, deren Jobs durch Rationalisierungsmassnahmen gefährdet sind.

Der Autor und Regisseur Michael Fetter Nathansky zerlegt unsere Gegenwart in ihre Einzelteile. Sein Debüt «Sag du es mir» (2019) war ein proletarischer Krimi, der mit dem Rashomon-Effekt aus drei Perspektiven danach fragt, ob es so etwas wie eine objektive Wahrheit geben kann. In «Alle die Du bist» etabliert er jetzt spielerisch einen magischen Subjektivismus. Denn je nachdem, in welchem Gefühlszustand sich der impulsive Paul gerade befindet, sieht Nadine ihn in Gestalt verschiedener Persönlichkeiten: während einer Panikattacke als Tier, kurz darauf als Kind (Sammy Schrein), auch als jungen Mann (Youness Aabbaz) oder ältere Frau (Jule Nebel-Linnenbaum). Ein so genialer wie gegenwärtiger Kniff, denn: Wir alle sind viele.

Erzählerisch operiert «Alle die Du bist» mit Zeitsprüngen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, und sein Thema ist dem Film in jeder Faser eingeschrieben: Es geht um Wandel, gesellschaftlich-strukturellen und privaten. Mit seinem ganz eigenen Modus zwischen Sozialrealismus und Poesie verhandelt Fetter Nathansky komplexe existenzielle Fragen im Arbeiter:innenmilieu. Im deutschen Kino ist das einzigartig. Und wollte man aus diesem Film eine Erkenntnis mitnehmen für unsere Gegenwart, in der notwendige Transformationen von Grabenkämpfen orchestriert werden, so wäre es die Empathie als Verbindendes. Statt sich abzuwenden, geht Nadine auf die Menschen zu. Klar kann nicht alles «repariert» werden, da ist der Film alles andere als naiv – aber Gesprächsversuche sind ein Anfang.