Sachbuch: Komplett besessen

«Letzte Woche hat mir jemand ein Foto des verstorbenen deutschen Bilderstürmers Rainer Werner Fassbinder (RWF) geschickt, gekleidet in ein strahlend weisses Trikot mit FC-Bayern-Wappen», schreibt Ian Penman in seinem Buch über den Filmemacher. «Ach, der unvergleichliche Fassbinder! Ein Klops mit wächsernem Gesicht, der härter arbeitete als alle anderen; ein queerer, verträumter Ästhet, der masskrugweise bayrisches Bier in sich hineinschüttete und für den die deutsche Bundesliga eine verzehrende Leidenschaft war. (Alle Leidenschaften Fassbinders waren verzehrend; das war sein Hymnus und auch sein Untergang.)»
Wer nicht willens ist, sich vom suchtaffinen Fanboy-Enthusiasmus dieses der deutschen (oder gar der bayrischen) Sprache nicht mächtigen britischen Popkritikers anstecken zu lassen, kann sich «Fassbinder. Tausende von Spiegeln» sparen. Penman, Jahrgang 1959, war einer der Starautoren in der Glanzzeit des «New Musical Express» in der Post-Punk-Ära. Einer dieser Hochbegabten, die in einer profanen Plattenkritik mal eben über ihre Lektüre von Barthes, Derrida oder Theweleit plauderten oder über ihren letzten Kinobesuch. Gegen Ende seiner Teeniejahre war Penman «von Fassbinder komplett besessen. Er hatte grossen und überraschenden Einfluss auf meine Art, die Welt zu sehen. (Viel bedeutender, im Rückblick, als alle Musik jener Zeit.)» Und das will etwas heissen. Kaum einer schrieb so verzehrend wie suggestiv über die Musik jener Zeit wie Penman. Musik, die wiederum eine grosse Rolle in RWFs Filmen spielte. «Nie werde ich den Schock vergessen, als im ‹Jahr mit 13 Monden› plötzlich ‹Frankie Teardrop› von Suicide hereinbricht», schreibt Penman.
Aus seiner früheren Obsession destilliert er ein Puzzle aus 450 Miniaturen mit reichlich Seitensprüngen in den Pop und die Literatur, was zu sofortigem Binge-Wieder-Watchen der Filme des grossen deutschen Regisseurs führen muss, der 1982 mit 37 starb. Ganz nach dessen unter anderem von den Lassie Singers zitiertem Motto «Schlafen kann ich, wenn ich tot bin».