Kost und Logis: Gärtnern ist nicht idyllisch
Bettina Dyttrich reisst Bäume aus und denkt über Kontrollfantasien nach

Hinter dem Haus ist ein wilder Hang. Eine Zwischenzone am Übergang zum Wald. Hier wächst ein Farn, den ich im Mittelland sonst noch nie gesehen habe. Mit der «Flora helvetica» bestimme ich ihn als Ruprechtsfarn, aber sicher bin ich nicht. Und hier keimen jedes Jahr zahllose Eschen und Ahorne. Der Hang wurde in den letzten Jahren immer einheitlicher: junge Bäume, filziges Gras und Brennnesseln.
Diesen Frühling beschloss ich, das zu ändern. Jetzt reisse ich Hunderte von Baumkeimlingen aus, jäte Gras und Moos. Ich ziehe an den Brennnesseln und lege ihre dicken gelbbraunen Rhizome frei, denke dabei an Unterseekabel. Schon nach kurzer Zeit wachsen wieder mehr Blumen: Johanniskraut, Baldrian, Schafgarbe. Die Farne sehen sehr schön aus. Die Weinbergschnecken scheinen sich auch zu vermehren. Ich freue mich. Aber was mache ich da eigentlich? Ist das jetzt ein Garten?
Meine Versuche mit Gemüsegärten sind ziemlich dilettantisch. Ich bin nicht sesshaft genug. Aber auch nicht kategorisch genug: Wenn eine schöne Wildblume in meinem Gemüsebeet keimt, lasse ich sie stehen und gärtnere darum herum.
Gärtnern ist nicht so idyllisch, wie Aussenstehende meinen. Als Gärtnerin entscheide ich dauernd über Leben und Tod – von Pflanzen, manchmal auch von Schnecken, Käfern, Wühlmäusen. Ich ordne ein Stück Land meinen Vorstellungen unter. Gerade denke ich viel darüber nach, wie das die Mentalität geprägt hat, seit Menschen pflanzen, statt zu jagen und zu sammeln. Und wie es immer wieder scheitert: Die Bohnen sind voll Läuse, die Zucchetti vom Mehltau befallen, Raupen fressen den Kohl, Spätfrost zerstört die Apfelblüten. Land bewirtschaften ist immer wieder eine Erfahrung des Ausgeliefertseins.
Die industrielle Landwirtschaft hat versucht, diese Ohnmacht zu überwinden: mit Hochleistungssaatgut und abgestimmten Spritzmitteln, Hors-sol-Produktion und geschlossenen Masthallen. Dabei sind hochempfindliche Systeme entstanden – und die Kontrolle bleibt eine Illusion: Immer mehr «Unkräuter» und Insekten werden resistent gegen Pestizide, und in den Masthallen entwickeln sich Krankheiten, die auch Menschen gefährlich werden können. Die Ohnmacht kommt zurück, potenziert. Neue Kontrollfantasien helfen nicht weiter. Die Landwirtschaft muss dehnbar werden, vorsichtig, vielfältig. Nur schon, um den Wechsel von Regen- und Dürresommern zu überstehen. Schwierig wird es auf jeden Fall.
Hinter dem Haus habe ich diesen Stress nicht. Ich versuche, die Vielfalt zu vergrössern, indem ich manche Wildpflanzen fördere, andere eindämme. Aber es ist weniger strikt als bei einem Gemüsebeet. Der nächste Schritt wäre Permakultur: essbare Pflanzen, Nuss- und Beerensträucher in dieses Ökosystem zu integrieren. Vielleicht nächstes Jahr. Aber wie viel Platz gebe ich den Blumen? Wie viel Farn muss ich ausreissen? Ich glaube, ich wäre überfordert.
Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.