Kost und Logis: Wandern wie die Geiss

Nr. 21 –

Bettina Dyttrich möchte beim Wildpflanzensammeln raffinierter werden

Im Mai macht es besonders Freude, an den Walliser Sonnenhängen herumzuwandern: Man kann im Vorbeigehen Blätter von der Vogelmiere und vom Taubenkropf-Leinkraut abzupfen und aufessen, auf einer Alpweide zwischen den Blacken Guten Heinrich pflücken, der sich wie Spinat kochen lässt. Und alles Mögliche für die Teemischung zusammensuchen: Himbeer- und Birkenblätter, Schlüsselblumen, Brennnesseln, Silbermantel, Spitzwegerich.

Sorry für das Namedropping. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die die unzähligen Unterarten der Brombeere auseinanderhalten können. Eine zu grosse Obsession im Bestimmen von Pflanzen kann den Blick auch verstellen. Was in Ökosystemen als Ganzes abgeht, interessiert mich mehr als die korrekte lateinische Bezeichnung für jede einzelne Pflanze. Aber ich bin überzeugt, dass elementare Artenkenntnisse mein Leben schöner und interessanter machen. Ich weiss ja gar nicht, wie es ohne sie wäre: Als mein Primarlehrer mit seinen Drillmethoden alles tat, um uns die Freude an Botanik auszutreiben, hatte ich die Pflanzen zum Glück schon von meinen Eltern gelernt. Ich weiss nicht, wie es wäre, durch die Welt zu gehen, ohne eine Buche von einer Eiche unterscheiden zu können.

Wer die wichtigsten Arten kennt, sieht einer Wiese an, ob sie viel, wenig oder gar nicht gedüngt wurde, kann Rückschlüsse auf das Mikroklima ziehen – und vor allem: bekommt manche Pflanzen richtig gern. Sammeln zum Essen ist dann noch ein weiterer Schritt, um mit der Flora in Kontakt zu treten. Dabei gehe ich recht minimalistisch vor: Die Teepflanzen lassen sich mit sehr wenig Aufwand in Kartonschachteln ausgebreitet trocknen, und sonst sammle ich vor allem frische Pflanzen für Salat oder zum Kochen. Vor aufwendigeren Konservierungsmethoden bin ich bisher zurückgeschreckt: Ich stehe nicht gern ganze Nachmittage in der Küche, und ich habe eine irrationale Angst, dass Gläser, die ich fülle, trotz Sterilisieren zu schimmeln anfangen.

Aber demnächst möchte ich es wieder einmal versuchen – mit Rezepten aus dem Buch «Fermentieren von Wildpflanzen» von Michael Machatschek und Elisabeth Mauthner. Wenige im deutschsprachigen Raum wissen so viel darüber, was sich da draussen alles essen und wie es sich verarbeiten lässt, wie die beiden Österreicher:innen. Sie sammeln nicht nur alte Bekannte wie Löwenzahn, Brunnenkresse oder Bärlauch, sie fermentieren auch Eichenblätter, Farne, Margeritenblüten oder Klettenwurzeln. Und sie haben Erfahrung, womit sich dieses wilde Kimchi auf dem Teller dann am besten kombinieren lässt.

Lange bevor Fermentieren zum Hipsterhobby wurde, habe ich von Machatschek gelernt, wie sich Schwarztee fälschen lässt und wie viele wertvolle Sachen man mit der Blacke anstellen kann (siehe WOZ Nr. 24/2011 ). Danach habe ich diese in der Landwirtschaft verpönte Pflanze ganz anders gesehen. Und plötzlich gemerkt, wie schön ihre hohen roten Blütenstände sind.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin. «Fermentieren von Wildpflanzen» von Michael Machatschek und Elisabeth Mauthner ist 2019 im Böhlau-Verlag erschienen.