Liberale Bildungspolitik: Hofreitmeister Burkart

Nr. 26 –

Der FDP scheinen die Regeln des Pferdesports wichtiger als die Erkenntnisse der Wissenschaft.

In der Pferdedressur lernt man fürs Leben. Zumindest scheint das bei FDP-Präsident Thierry Burkart so zu sein, der offenbar zwei neue Betätigungsfelder gefunden hat: das Dressurreiten, wie er dem «Blick» verriet, und die Bildungspolitik, wie er in einem Interview mit den Tamedia-Zeitungen offenbarte.

Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, würde man meinen. Tatsächlich aber liest sich das Positionspapier zur Zukunft der Volksschule, das die FDP vergangene Woche verabschiedete, wie eine Anleitung zur Konditionierung von Gebrauchspferden. Sonderklassen für fremdsprachige Kinder, Sanktionen gegen «fehlbare» Schüler:innen, höhere Pensen für Lehrkräfte und die Abschaffung der integrativen Schule: Nur mit strengen Reformen, ist die FDP überzeugt, komme das gescheiterte Schulsystem wieder in geregelte Bahnen. So werde jedes Kind die Bildungsgerechtigkeit erfahren, die ihm zustehe.

Dass Gerechtigkeit nicht verdient werden kann, geschweige denn muss, passt dabei nicht ins freisinnige Argumentarium, ebenso wenig wie die zahlreichen wissenschaftlichen Belege, gemäss denen sich Kinder in segregierten Schulstrukturen keinesfalls in jene «erfolgversprechende» Richtung entwickeln, die Burkart vorschwebt. Stattdessen lernen Kinder, so die aktuelle Forschung, am besten in einem diversen Umfeld. Alle profitieren vom integrativen Schulsystem – wenn denn die Voraussetzungen für eine adäquate Umsetzung gegeben sind. Dafür braucht es einerseits eine angemessene Finanzierung – die von bürgerlichen Politiker:innen bekannterweise gerne für überrissen befunden wird – und andererseits die Einsicht, dass Schulen kein steriler Raum sind, in dem Kinder nach wählbaren Richtlinien optimiert werden können. Jedes Kind hat Stärken und Schwächen; die Frage ist einzig, welche wie gewertet werden und wie der Umgang mit Auffälligkeiten aussehen soll.

Laut dem deutschen Bildungsforscher Dennis Hövel ist dieser genauso gut beherrschbar wie der Umgang mit einer Leseschwäche. Dazu müsse man aber wissen, woher Ängste kämen und wie ihnen begegnet werden könne – ein Wissen, das vor allem Heil­pädagog:innen und Schulpsycholog:innen haben. Hövels Kritik: Bisher würden diese an vielen Schulen bloss für Eins-zu-eins-Betreuungen anstatt im Unterricht mit der ganzen Klasse eingesetzt. Es brauche einen Perspektivenwechsel: Würden Lehrpersonen mit Heilpädagog:innen gleichermassen eng an den sozialen Kompetenzen der ganzen Klasse arbeiten wie an schulischen Leistungen, so Hövel, gäbe es auf allen Ebenen Verbesserungen.

Es ist kein Geheimnis: Viele Lehrpersonen in der Schweiz fühlen sich überlastet. Auch auf sie zielt das Positionspapier der FDP. Die Partei verspricht ihnen Entlastung durch harte Sanktionen gegen verhaltensauffällige Kinder, mittels Meldestellen und erhöhter Pensen, die Lehrer:innen wieder zum «Leitstern im Schulzimmer» machen sollen. Damit setzt die FDP an einem wunden Punkt an. Aber Sanktionen, auch da ist sich die Forschung sicher, bringen längerfristig genauso wenig wie gesonderte Klassen.

Trotzdem dürfte es dieser Punkt gewesen sein, der viele Zürcher:innen davon überzeugt hat, die kantonale «Förderklassen-Initiative» zu unterschreiben. Seit Januar sammeln Bildungspolitiker:innen von FDP, GLP und SVP für die «Separation» verhaltensauffälliger Schüler:innen: Das Quorum von 6000 benötigten Unterschriften sei «klar übertroffen» worden, liess das Initiativkomitee letzte Woche verlauten. Auch in Basel-Stadt wird derzeit eine Initiative zur Wiedereinführung von Förderklassen in der zuständigen Parlamentskommission behandelt, nachdem sie von der Kantonsregierung abgelehnt wurde. Der Lehrpersonenverband, der die Initiative lanciert hat, erwartet einen Kompromissvorschlag.

Die Vollendung der klassischen Pferdedressur heisst übrigens «Hohe Schule». Sie ist erreicht, wenn Pferde auf minimalste Signale hin gewünschte Schritte vollführen. Das dürfte Thierry Burkart und seiner FDP wohl gefallen: Ein Ponyhof soll das Bildungssystem der Zukunft nicht sein, sondern so etwas wie eine Hofreitschule.