Nationalbank: Passiv bis zum Ökokollaps
Die Schweizerische Nationalbank will kein Vorbild sein. Laut Zahlen, die der WOZ vorliegen, hat sie im ersten Quartal dieses Jahres im grossen Stil zusätzliche Aktien von klimaschädigenden Unternehmen gekauft.

Noch mehr Aktien von Exxon Mobil, Chevron und Co.: Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat in den ersten drei Monaten dieses Jahres unverdrossen weiter Anteile an klimaschädigenden Unternehmen gekauft. Dies geht aus einer Auswertung der Recherchegruppe Data Catering hervor, die Daten der Börsenaufsichtsorgane der USA, Kanadas und Grossbritanniens analysiert hat. Demzufolge besass die SNB Ende März für zwölf Milliarden US-Dollar Aktien von Öl-, Gas- und Kohleunternehmen. Das sind drei Milliarden mehr als noch Anfang des Jahres.
Die SNB gehört weltweit zu den grössten Investor:innen. Der Wert ihres Portfolios ist seit 2010 von 100 Milliarden auf heute rund 950 Milliarden Franken in die Höhe geschossen. Die Bank hat immer mehr Geld geschöpft, um zu verhindern, dass der Franken gegenüber anderen Währungen nicht zu stark wird. Das neu geschaffene Geld legt sie in Aktien und Obligationen an. Einen zusätzlichen Schub beim Aktienkauf brachte Anfang 2022 der Beschluss der Bank, den Anteil an Obligationen um zwei Prozent zu verringern und dafür jenen der Aktien entsprechend zu erhöhen.
Megainvestorin ohne Kompass
Die SNB verfolge bei der Aktienanlage den Grundsatz der «breiten Marktabdeckung», heisst es von der Pressestelle, man investiere «passiv». Die Bank saugt also wie ein Staubsauger ungefiltert Aktien der börsenkotierten Firmen ein. Je grösser ein Unternehmen, desto mehr Aktien kauft sie davon. Ob eine Firma Windräder produziert oder in Texas mit Fracking Öl aus dem Boden holt und dabei Umwelt und Klima schädigt, interessiert die SNB nicht.
Ihre Anlagepolitik könne nicht darauf ausgerichtet sein, «einzelnen Wirtschaftssektoren einen Vor- oder Nachteil zu verschaffen», schreibt die Pressestelle dazu. Ausschlusskriterien kennt die SNB deshalb nur wenige: So hat sie 2020 beschlossen, keine Aktien von Unternehmen mehr zu kaufen, die primär Kohle zur Energiegewinnung abbauen. Und generell will die Bank durch Aktienkäufe keine «gravierende Umweltschädigung» unterstützen, also etwa «gravierende Boden- bzw. Gewässerverschmutzung».
Dass sich die SNB mit solchen Formulierungen in Widersprüche verheddert, ist offensichtlich: So hielt sie Ende März 2022 allein für 1,3 Milliarden US-Dollar Aktien von kanadischen Unternehmen, die massgeblich am Teersandabbau in der Provinz Alberta beteiligt sind. Dort wird ein Gebiet so gross wie England schrittweise abgeholzt und umgepflügt. Die Biodiversität wird zerstört, Gewässer werden verschmutzt und die Rechte indigener Gemeinschaften missachtet.
Auch stellt sich die Frage, wieso die SNB weiterhin in Firmen investiert, die neue Öl- und Gasvorkommen erschliessen, was der Intention des Pariser Klimaabkommens frontal zuwiderläuft, wie vergangenes Jahr selbst die Internationale Energieagentur festhielt. Die Pressestelle der SNB schreibt dazu: «Das Pariser Klimaabkommen richtet sich an Staaten und sieht keine unmittelbare Rolle der Zentralbanken vor.»
Druck auf SNB steigt
Asti Roesle, Kampagnenleiterin bei der Klima-Allianz, hält die Anlagepolitik der SNB für inakzeptabel: «Statt weiteren Schaden anzurichten, sollte die Bank endlich eine Vorbildfunktion ausüben», sagt sie. «Die SNB darf nicht weiter alle Verantwortung auf die Politik abschieben, sondern muss im Gesamtinteresse des Landes handeln, wie es in der Bundesverfassung und im Nationalbankgesetz steht.»
Kritik kommt auch von Pierre Monnin, der sich beim Thinktank Council on Economic Policies mit den Auswirkungen der Geldpolitik auf Umwelt und Soziales auseinandersetzt und früher für die SNB gearbeitet hat. Er hält die Anlagepolitik der Nationalbank nicht nur aus ökologischen Gründen für einen Fehler. «Indem sie den Markt kopiert, setzt sich die SNB klimabedingten Finanzrisiken aus», sagt er. Die Finanzmärkte würden das Ausmass dieser Risiken noch immer stark unterschätzen. Aktien zum Beispiel von Ölkonzernen könnten stark an Wert verlieren. Dieser Meinung seien inzwischen auch einige Zentralbanken. «Die SNB ist jedoch der Ansicht, man könne dieses Risiko nicht besser managen, als es der Markt tue», sagt Monnin.
Der Druck auf die SNB, ihre Anlagepolitik zu ändern, steigt. Die Klima-Allianz, aktivistische Gruppen und Ökonom:innen haben in den letzten Monaten Volksversammlungen und Kundgebungen organisiert. Sie fordern von der Nationalbank, «zu einer positiven Kraft für einen gerechten und ökologischen Wandel» zu werden. Dazu müsse die SNB transparenter werden und die Erderhitzung als Krise anerkennen, die sofortiges und proaktives Handel erfordert. Sie müsse demzufolge nicht nur ihr eigenes Aktienportfolio anpassen, sondern auch auf das ganze Schweizer Finanzsystem mehr Einfluss nehmen.
Auch die Kantone, die zusammen eine Aktienmehrheit der SNB besitzen, werden von deren Kritiker:innen angesprochen, so vergangenes Jahr mit einer Velotour durch die Schweiz und der Übergabe einer Petition an die Finanzdirektor:innen. Zwar dürfen die Aktionäre bei der Anlagepolitik nicht mitbestimmen, doch Jura, Genf und Basel-Stadt haben inzwischen im Sinne der Petition Briefe an die SNB geschrieben. In Zürich hat der Kantonsrat am 16. Mai entschieden, der Regierungsrat solle ihrem Beispiel folgen.