Neue EU-Rechtsfraktion: Eine nationalistische Supergroup
Gegen Migration, Klimaschutz und europäische Integration: Viktor Orbáns «Patrioten für Europa» propagieren in Brüssel den ganz grossen rechten Schulterschluss. Fasziniert davon ist offenbar auch Roger Köppel.
Einen Monat nach den Europawahlen vollzieht sich auf der rechten Flanke des EU-Parlaments eine spektakuläre Entwicklung: Die neue Fraktion «Patrioten für Europa» vereint Parteien, die zuvor unterschiedlichen Gruppierungen angehörten. Sie schafft damit eine Plattform für den Schulterschluss zwischen Konservativen, bürgerlichen und extremen Rechten. Schon im Frühjahr wurde über entsprechende Bestrebungen spekuliert; im Schatten der britischen und französischen Wahlen sowie der Vergabe der EU-Topjobs nahmen diese in den letzten anderthalb Wochen eine Form an, die das politische Klima in Europa stark beeinflussen könnte.
Trägerrakete gestartet
Alles begann am 30. Juni in Wien, wo die Gründungsmitglieder – Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, sein früherer tschechischer Amtskollege Andrej Babiš und FPÖ-Chef Herbert Kickl – ihr Projekt der Öffentlichkeit präsentierten. Die drei kommen aus unterschiedlichen Lagern: Orbáns Regierungspartei Fidesz ist eine Dissidentin der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), von der sie 2021 ausgeschlossen wurde. Die ANO von Babiš ging aus der populistischen Initiative Akce nespokojených občanů (Aktion unzufriedener Bürger) hervor und gehörte bis Mitte Juni noch der liberalen Fraktion Renew Europe an. Die FPÖ war als eine der traditionellen rechtsextremen Parteien Europas Teil der Fraktion Identität und Demokratie (ID).
Damit war der Grundstein einer fraktionsübergreifenden rechten Supergroup gelegt. Deren inhaltliche Klammer bilden unter anderem zwei Themen, die Babiš bereits als Gründe für den Abschied seiner ANO vom liberalen Camp genannt hatte: «illegale Migration bekämpfen und den Green Deal verändern». Sprich: die Festung Europa ausbauen und Klimaschutzmassnahmen rückgängig machen oder abschwächen. In Wien fügte er an, mit Patrioten für Europa die nationalstaatliche Souveränität gegenüber Europa bewahren zu wollen – und Orbán erklärte, man wolle zur «grössten Fraktion der rechtsgerichteten Kräfte Europas» werden. Bislang waren dies die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), die zuletzt näher an die christdemokratisch dominierte EVP heranrückten. FPÖ-Chef Kickl nannte Patrioten für Europa «eine Trägerrakete».
Letzte Woche hob diese ab. Zunächst schlossen sich Parteien aus Portugal (Chega) und Spanien (Vox) an, dann folgten mächtige Akteure aus den Niederlanden (Partij voor de Vrijheid) und Belgien (Vlaams Belang). Damit vertrat Patrioten für Europa bereits Parteien aus sieben Mitgliedstaaten, womit die Gruppe das Mindestkriterium für die Bildung einer Fraktion erfüllte. Bald kamen Rechtsaussenparteien aus Dänemark (Dansk Folkeparti, Dänische Volkspartei), Lettland (Latvija pirmajā vietā, Lettland zuerst) und Griechenland (Foni Logikis, Stimme der Vernunft) hinzu, und am Montag folgten die italienische Lega sowie Frankreichs Rassemblement National (RN). Bei einer offiziellen Gründungsveranstaltung in Brüssel wurde RN-Chef Jordan Bardella zum Präsidenten gewählt. Mit 84 Abgeordneten ist Patrioten für Europa auf Anhieb zur drittstärksten Kraft im Parlament geworden.
Orbáns «Friedenstreffen»
Das Gründungsmanifest der neuen Fraktion dreht sich vor allem darum, nationalstaatliche Souveränität von einer EU zurückzugewinnen, die sich «gegen die Europäer gewendet» habe. Komplottaffin raunt es in der Einleitung von «Institutionen, die den Europäern zum grossen Teil unbekannt und weit von ihnen entfernt» seien und im Verbund mit «mächtigen globalistischen Kräften» die europäischen Nationen durch einen «Zentralstaat» ersetzen wollten. Dem stellt man das eigene Modell eines harmonischen Europa der Nationen entgegen, das seine Grenzen, «kulturelle Identität» sowie das «griechisch-römische und jüdisch-christliche Erbe» schütze.
Alles in allem ist das Manifest so gehalten, dass sich auch bürgerliche und konservative Rechte darin wiederfinden können: ein deutlicher Hinweis auf den Willen zum Schulterschluss, zu dessen inhaltlichem Amalgam mit allergrösster Wahrscheinlichkeit auch Themen wie Familie, Gender oder Agrarpolitik gehören werden. Keine explizite Aussage macht das Manifest über Europas Beziehung zur Ukraine. Allerdings lassen sich das Bekenntnis, «den Frieden dem Krieg vorzuziehen» und das «Vetorecht der Nationen» zu respektieren, sowie zu «Diplomatie als essenziellem Element der Souveränität» deutlich als wenig solidarische Bezugnahme auf die ukrainische Abwehr gegen Russlands Angriffskrieg lesen.
Innerhalb der Marge, die sich das Bündnis im Hinblick auf den Krieg gegen die Ukraine gibt, liegt offensichtlich der spontane Besuch Viktor Orbáns in Moskau vom vergangenen Freitag – kurz nachdem Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hatte. In Brüssel sorgte die gezielte Provokation freilich für Empörung. Anders sah dies «Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel, der Teil von Orbáns Entourage war und diesen im Regierungsflieger zum angeblichen «Friedenstreffen» mit Putin interviewte. Weil Orbán mit beiden Seiten rede, nannte ihn die «Weltwoche» in einem Onlinekommentar anschliessend «ein Vorbild für die Schweiz und die EU».