Polizeigewalt in Lausanne: «Sie töteten meinen Mann»

Nr. 28 –

Das Waadtländer Kantonsgericht spricht die angeklagten Polizisten im Fall Mike Ben Peter erneut frei. Der Einsatz sei «verhältnismässig» gewesen – und systemischer Rassismus hierbei irrelevant.

die Witwe Bridget Efe, Mike Bens Bruder und Anwalt Simon Ntah
Seit sechs Jahren kämpfen sie für Gerechtigkeit: Die Witwe Bridget Efe, Mike Bens Bruder (rechts) und Anwalt Simon Ntah. Foto: Valentin Flauraud, Keystone

Irgendwann gegen Ende der Urteilsverkündung, als klar ist, dass die sechs Polizeibeamten auch im zweiten Anklagepunkt freigesprochen werden, fängt einer der Anwälte den Blick des Kollegen auf, der am Tisch nebenan sitzt. Beide vertreten je einen der Polizisten, die sich vor dem Kantonsgericht im waadtländischen Renens verantworten müssen. Und beiden huscht ein unauffälliges, zufriedenes Lächeln über das Gesicht, bevor sie den Blick wieder nach vorne richten. Sie haben gewonnen, bereits zum zweiten Mal.

Die Polizisten, die diesen Montag im Gerichtssaal sitzen, waren am 28. Februar 2018 an einem Einsatz beteiligt, bei dem der 39-jährige Mike Ben Peter in der Nähe des Lausanner Bahnhofs auf Drogen kontrolliert werden sollte. Als Ben Peter versuchte, sich der Kontrolle zu entziehen, reagierten die Beamten mit heftiger Gewalt. So rammten sie dem Unbewaffneten mehrmals das Knie in den Genitalbereich, sprühten ihm Pfefferspray ins Gesicht und fixierten ihn minutenlang in der gefährlichen Bauchlage, wo er einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitt. Einige Stunden später verstarb er im Spital. Das Berufungsgericht kam nun zum Schluss, dass der Einsatz verhältnismässig gewesen sei. Mit dem Freispruch im Anklagepunkt der fahrlässigen Tötung folgt es dem erstinstanzlichen Urteil vom Juni 2023.

Todesursache: «Multifaktoriell»

Dass es mit dem Vorwurf des Amtsmissbrauchs im Berufungsverfahren überhaupt einen zweiten Anklagepunkt gegeben hatte, kann als Minierfolg des Anwalts von Ben Peters Familie, Simon Ntah, gewertet werden. Auch abgesehen davon kamen Beobachter:innen zum Schluss, dass das Gericht seine Aufgabe ernster nahm, als dies im erstinstanzlichen Prozess der Fall gewesen war. Damals liess der ermittelnde Staatsanwalt, Laurent Maye, während der Verhandlung die Anklage fallen und plädierte auf Freispruch. Derselbe Staatsanwalt ist auch im Fall von Roger «Nzoy» Wilhelm zuständig, der 2021 in Morges von einem Polizisten erschossen wurde. Im vergangenen Herbst gab er bekannt, die Untersuchungen im Fall Nzoy einstellen zu wollen.

Wenn auch das Berufungsgericht im Fall Mike Ben Peter kritischer gewesen sein mag, und der Gerichtspräsident im Urteil die Risiken der Bauchlage kritisierte, in der Ben Peter festgehalten wurde: So folgerte er trotzdem, ein kausaler Zusammenhang zwischen dieser Position und Ben Peters Tod sei nicht erwiesen. Die von Anwalt Ntah eingeholten Gutachten internationaler Experten, die zum gegenteiligen Schluss gekommen waren, erhielten kein Gewicht. Stattdessen folgte das Gericht den offiziellen Gutachtern, die festhielten, Ben Peters Tod sei «multifaktoriell» begründet gewesen.

Gefährliche Bauchlage verbieten

Auf individueller Ebene habe man bei den Beklagten keinen Rassismus feststellen können, sagte der Gerichtspräsident und fügte hinzu: «Die Frage nach systemischem Rassismus ist für den vorliegenden Fall nicht relevant.» Doch sollte nicht gerade diese Frage zentral sein? Im Wissen darum, dass Rassismus auch bei Polizei und Justiz verbreitet ist, wie etwa vor zwei Jahren eine Uno-Expert:innengruppe konstatierte? Wäre Ben Peter als so gefährlich wahrgenommen worden, ja, wäre er überhaupt gestorben, wäre er nicht Schwarz gewesen?

Die Mitglieder des Kollektivs Kiboko, die den Fall Mike Ben Peter und dessen Familie seit sechs Jahren begleiten, sprechen nicht nur von systemischem, sondern gar von staatlichem Rassismus, von einer rassistischen Prügelattacke der Polizei. Trotzdem habe sich in den vergangenen Jahren auf gesellschaftlicher und politischer Ebene auch etwas bewegt, schreiben sie in einem Communiqué. Darin erwähnen sie verschiedene politische Vorstösse, darunter ein im März vom Lausanner Stadtparlament angenommenes Postulat, das die Praxis der Bauchlage verbieten will.

Wie es mit dem Fall von Mike Ben Peter weitergeht, ist indes noch ungewiss. Der Anwalt der Familie hatte im Vorfeld gesagt, er sei bereit, das Urteil wenn nötig bis an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiterzuziehen. Die Entscheidung liegt nun bei den Angehörigen, die vom Urteil sichtlich enttäuscht waren. «Sie töten meinen Mann, machen seine Kinder vaterlos, und dann gehen sie nach Hause, um mit ihren eigenen Kindern glücklich zu sein?», fragte Bridget Efe, die Ehefrau des Verstorbenen, rhetorisch. Das sei für sie keine Gerechtigkeit.