Hans Caprez (1940–2024): Eine Recherche wirkt nach

Nr. 32 –

Es gibt nicht so viele Recherchen, die die Welt zum Besseren verändern. Hans Caprez, der Ende Juli im Alter von 83 Jahren gestorben ist, gelang eine solche. Der Bündner enthüllte als Reporter des «Beobachters» 1971, wie das sogenannte Hilfswerk Kinder der Landstrasse die jenische Minderheit systematisch auszulöschen versuchte. In seinem Basler Büro war eine aufgebrachte Mutter aufgetaucht. Was sie ihm mitteilte, hatte der Journalist bis dahin nicht für möglich gehalten: Der Frau waren ihre fünf Kinder weggenommen worden. Zunächst glaubte Caprez, es handle sich um einen Einzelfall. Im Zuge seiner Recherchen fand er aber weitere Mütter, denen das Gleiche widerfahren war: Alle gehörten der jenischen Minderheit an.

Das Vorgehen hatte System, insgesamt waren rund 600 Kinder betroffen. Dafür verantwortlich: die Aktion Kinder der Landstrasse, von der angesehenen Stiftung Pro Juventute 1926 ins Leben gerufen. Kopf und Antreiber der Aktion war Alfred Siegfried. Der Fanatiker formulierte sein Programm so: «Wer die Vagantität erfolgreich bekämpfen will, muss versuchen, den Verband des fahrenden Volkes zu sprengen, er muss, so hart das klingen mag, die Familiengemeinschaft auseinanderreissen.» Siegfried führte über Jahrzehnte einen Zerstörungsfeldzug gegen die Jenischen, getragen von Politikern bis hinauf in den Bundesrat, gedeckt von Richtern, Kirchenleuten, Behörden. Andere Journalist:innen, Historiker:innen, Schriftsteller:innen setzten Caprez’ Werk fort, arbeiteten die unrühmliche Geschichte weiter auf. Die Jenischen wurden 2016 zusammen mit den Sinti als nationale Minderheit anerkannt. Nun hat das Departement des Inneren ausserdem ein Gutachten in Auftrag gegeben, das prüfen soll, ob es sich beim Verbrechen um einen kulturellen Genozid gehandelt hat.

Bei einem Besuch der WOZ im Frühjahr 2022 in seinem Heimatdorf Castrisch, wo Hans Caprez seinen Lebensabend verbrachte, fasste der grosse Journalist sein Credo in folgende Worte: «Für mich ist die Liebe zu den Menschen als Antrieb wichtiger als der Kopf. Das kommt im heutigen Journalismus zu kurz.»