Energiepolitik: Die Axpo vor dem Volk
Der Kanton Schaffhausen kann über die Zukunft des Energieriesen entscheiden.
Eigentlich war alles unter Dach und Fach: Die Axpo, das grösste Energieunternehmen der Schweiz, soll ein neues Vertragswerk erhalten. Das alte stammt aus dem Jahr 1914 und ist – darin sind sich alle einig – völlig überholt. Also legte der Stromkonzern, der heute vollständig im Besitz der neun Nordostschweizer Kantone und ihrer Elektrizitätswerke ist, einen neuen Vertrag vor, dem bis Anfang dieses Jahres sämtliche Eigner:innen zugestimmt hatten. Doch dann ergriff im Kanton Schaffhausen, der nur knapp acht Prozent der Axpo-Aktien hält, ein überparteiliches Komitee erfolgreich das Referendum gegen den neuen Vertrag. Diesen Sonntag steht die entsprechende kantonale Abstimmung an, der Ausgang ist offen.
Treibende Kraft hinter dem Referendum war SP-Grossstadtrat Matthias Frick.* Dieser hatte sich die Mühe gemacht, das neue Vertragswerk sehr genau durchzulesen. Danach war für Frick klar: Der neue Vertrag ist so ausgestaltet, dass eine künftige Teilprivatisierung der Axpo möglich ist. Nach Ablauf einer Frist von fünf Jahren können gemäss Vertrag künftig nämlich bis zu 49 Prozent der Aktien an private Investor:innen verkauft werden. Mehr noch: Wenn fünf der insgesamt neun Vertragsparteien sowie eine Mehrheit der Aktienstimmen zusammenkommen, soll auch eine künftige private Beteiligung von über 50 Prozent möglich sein.
Mitte Juli gab der Schaffhauser Vertreter im Axpo-Verwaltungsrat, der Steuerexperte Stephan Kuhn, ein erstaunliches Interview in den «Schaffhauser Nachrichten». Es war wohl angelegt, um die Furcht vor einer möglichen Privatisierung zu entkräften, am Ende geschah jedoch das Gegenteil. Kuhn sagte etwa, dass es beim neuen Vertrag nicht darum gehe, «Aktien zu verkaufen», sondern darum, «Aktionäre reinzuholen». Wie Aktionär:innen in die Axpo geholt werden sollen, ohne ihnen Aktien zu verkaufen, blieb sein Geheimnis. Weiter lobte Kuhn «private Investoren» als «viel flexibler als die öffentliche Hand» und stellte den Eignerkantonen «satte Dividenden» in Aussicht.
Man kann Kuhn aber nur bedingt einen Vorwurf machen, das Problem liegt vielmehr bei der Axpo selbst. Diese ist eine Art Zwitterkonzern. Einerseits ist sie mittlerweile ein gewichtiger Player im globalen Stromhandelsbusiness. In über dreissig Ländern hat der Konzern mittlerweile Standorte aufgebaut. Ende 2020 gründete er etwa eine Tochtergesellschaft in Singapur, um im wachsenden Markt mit Flüssigerdgas (LNG) in Asien mitzuverdienen. Dieses Business ist risikoreich und grossen Schwankungen ausgesetzt, so war die Axpo wegen Liquiditätsengpässen vor zwei Jahren darauf angewiesen, dass der Bund dem Stromkonzern per Notrecht einen vier Milliarden Franken schweren Rettungsschirm zur Verfügung stellt (siehe WOZ Nr. 36/22). Auch wenn dieser Schirm letztlich nicht zum Einsatz kam, zeigte der Vorfall exemplarisch auf, wie risikobehaftet das Stromhandelsgeschäft ist.
Auf der anderen Seite gilt die Axpo mit ihren über hundert Kraftwerken im Inland als «systemrelevantes Unternehmen» für die heimische Versorgungssicherheit. Dazu zählen eine Vielzahl von Wasserkraftwerken, am gewichtigsten ist jedoch immer noch die Atomenergie, das AKW Beznau gehört der Axpo ganz, an Gösgen und Leibstadt ist der Konzern beteiligt.
Vor diesem Hintergrund erhält die bevorstehende Abstimmung im kleinen Kanton Schaffhausen eine grosse Bedeutung. Indem das neue Axpo-Vertragswerk die Beteiligung privater Investor:innen am Konzern ermöglichte, würde es die Rolle des Konzerns als Player im globalen Stromhandel stärken. Was das für Konsequenzen für die öffentliche Hand und vor allem auch für die Versorgungssicherheit hätte, ist unklar. Es ist bedenklich, dass erst in allerletzter Minute und nur dank eines achtsamen Lokalpolitikers eine Debatte und Abstimmung darüber stattfindet. Doch nun besteht Hoffnung: Lehnen die Schaffhauser:innen am Sonntag den Vertrag in seiner jetzigen Form ab, muss dieser von Grund auf neu ausgearbeitet werden.
* Korrigenda vom 16. August 2024: In der gedruckten Ausgabe sowie der früheren Onlineversion dieses Textes wurde Matthias Frick fälschlicherweise als Stadtrat bezeichnet.