Kanton Schaffhausen: Der Nachbohrer

Nr. 34 –

Am Sonntag verhinderte die Schaffhauser Stimmbevölkerung, dass der Stromkonzern Axpo privatisiert werden kann. Hinter dem Coup steht der SP-Politiker Matthias Frick.

Matthias Frick steht vor einem Abstimmungs-Plakat
«Gerade bei Service-public-Themen kannst du hier im Kanton auch viele Teile der SVP abholen»: Matthias Frick.

Am Walther-Bringolf-Platz, mitten in der Schaffhauser Altstadt, steht das Haus, in dem vor Jahrzehnten schon der legendäre Sozialist Walther Bringolf tätig war. Hier, wo bis heute die Schaffhauser SP ihre Kampagnen ausheckt und die Redaktion der «Schaffhauser Arbeiter-Zeitung» beheimatet ist, geht auch Matthias Frick ein und aus. Wer ist dieser 39-jährige Mann, dessen Beharrlichkeit ausschlaggebend dafür war, dass neun Kantone ihre Verträge mit dem Stromkonzern Axpo noch einmal überarbeiten müssen?

«Ja, hier laufen die Fäden zusammen», sagt Frick zur Begrüssung in der ehemaligen Unionsdruckerei im Parterre des Hauses. An der Wand lehnt noch ein Plakat mit dem Slogan «Hände weg von unserem Strom». Rundherum sind bereits Flyer und Plakate für die Kantons- und die Stadtparlamentswahlen im Herbst ausgelegt. Frick, der seit 2019 im Stadtparlament sitzt, kandidiert für beides – wobei er gemäss Vorgabe der Schaffhauser SP nur eines der Mandate annehmen würde.

Vom Dorf in die Stadt

Frick, Jahrgang 1985, ist Teil jener Generation, die der SP in weiten Teilen des Landes zu einem linkeren und bewegungsnäheren Kurs verholfen hat. Wobei er wie viele seiner lokalen Genoss:innen, etwa Ständerat Simon Stocker, lange in der Alternativen Liste (AL) politisierte, bis diese sich 2022 auflöste.

Frick war schon bei ihrer Gründung 2003 dabei gewesen. Seine politische Laufbahn begann jedoch nicht in der Stadt, in der die Linke traditionell gut vertreten ist. Aufgewachsen ist er im 600-Einwohner:innen-Dorf Trasadingen im konservativ geprägten Klettgau. Umso bemerkenswerter war es, als die Klettgauer:innen den damals 23-Jährigen 2008 in den Kantonsrat wählten – und 2012 in einer Kampfwahl in die fünfköpfige Exekutive von Trasadingen, wo er fünf Jahre wirkte. 2010 stellte er sich für den Regierungsrat zur Wahl, unterlag aber dem Kandidaten der SVP.

Ob das Aufwachsen inmitten einer eher konservativen Umgebung damit zu tun habe, dass er sich nicht davor scheue, auch mit Bürgerlichen zusammenzuspannen? «Vielleicht ist das auch einfach ein Wesenszug», antwortet Frick. Der Sieg am vergangenen Sonntag, der dazu führt, dass acht weitere Kantone ihre Vertragstexte mit der Axpo überarbeiten müssen, ist jedenfalls ein Beispiel dafür, wie man linke Anliegen auch in einem bürgerlich dominierten Kanton durchsetzen kann.

Als Sohn von Eltern, die sich politisch exponierten, bekam er früh mit, was es heissen kann, als Angehöriger einer linken Minderheit in einem konservativen Umfeld aufzuwachsen. «Ich kann mich erinnern, als kleiner Junge zu Hause das Telefon abgenommen zu haben und sehr aggressiv nach meinem Vater gefragt worden zu sein», erzählt Frick. «Er war nicht da, also bekam ich dann alles ab. Wirklich wüst. Es ging darum, dass mein Vater sich sehr dafür eingesetzt hatte, dass eine Güterstrasse mit Fahrverbot belegt wurde, damit sie als Veloweg dienen kann. Das hat mich damals ziemlich erschreckt, und ich konnte es nicht recht einordnen.»

2022 trat Frick aus dem Kantonsrat aus, um sich ins Stadtparlament wählen zu lassen. Neben seiner Arbeit dort wirkt er als Hausmann und als stellvertretender Sekretär der kantonalen SP und betreut zudem das Sekretariat des Schaffhauser Gewerkschaftsbunds. In der Stadt ist er dafür bekannt, sich tief in die Akten zu versenken. Sein Geschichtsstudium an der Universität Zürich hat er nie abgeschlossen, er arbeitete dafür mehrere Jahre in diversen Archiven. Sich aktenkundig machen, bis tief in die Details – das tat Frick auch beim neuen Vertragstext der Axpo, der dem Kantonsparlament 2019 erstmals vorgelegt worden war.

«Da hat es mir den Gong gegeben»

Der Konzern, der bislang ausschliesslich neun Kantonen gehört, will sich seit längerem auch für private Investor:innen interessant machen. Nachdem Aargau, Zürich, Glarus, St. Gallen, beide Appenzell und der Thurgau das neue Vertragswerk bereits durchgewinkt hatten, stimmte Anfang Jahr auch das Schaffhauser Parlament für den neuen Vertrag. «Ich war schockiert, als ich den Beschluss in der lokalen Presse las – in einer Kurznachricht, als ob es um eine Lappalie ginge. Da hat es mir den Gong gegeben», erinnert sich Frick, «ich kannte ja die ganze Vorgeschichte.» Bereits in den vorangegangenen Jahren habe es im Parlament wiederholt erfolgreiche Anträge gegeben, die eine Änderung des Vertragstexts forderten. Und dann das: eine fast einstimmige Zustimmung, so ganz ohne auch nur die kleinste Änderung des Vertragstexts?

Was hatte das konkret zu bedeuten? Matthias Frick versuchte, sich kundig zu machen, doch «niemand, auch nicht in der Linken, konnte mir klare Antworten geben». Würde es dieser Vertrag nun erlauben, Aktien der Axpo an private Investor:innen zu verkaufen – auch an ausländische? Der Sekretär des Baudepartements reagierte zuerst nicht auf seine Anfrage. Erst auf das Nachbohren eines Kantonsrats der Jungen Grünen hiess es: Ja, so ist es – die Aktien der Axpo könnten verkauft werden.

Ab da ging alles schnell. Zusammen mit einer kleinen Gruppe lancierte Frick das Referendum. Wochenlang weibelte er herum – und erfuhr auch auf dem Land viel Zuspruch. Das Resultat vom letzten Sonntag ist inzwischen auch schweizweit mehr als nur eine Kurznachricht: Über 53 Prozent der Schaffhauser:innen lehnten den Vertrag ab – und machten damit auch die Beschlüsse der anderen Eignerkantone nichtig.

Service public für alle

Zwei Tage nach dem grossen Erfolg wird Frick auf den Strassen von Schaffhausen oft angesprochen, erhält Gratulationen – auch von SVP-Wähler:innen. «Gerade bei Service-public-Themen», so Frick, «kannst du im Schaffhausischen auch viele Teile der SVP abholen, die hier noch sehr bäuerisch und nicht so blocheresk geprägt ist.»

Im Service public liegt denn auch ein klarer Schwerpunkt in Fricks politischer Arbeit, sei es bei der Energie, beim öffentlichen Verkehr – oder in der Steuerpolitik. Wie bei der Transparenz-Initiative der Juso zur Finanzierung der Parteien, die er mittrug und die 2020 sogar angenommen, aber bis heute wegen angeblicher Nichtanwendbarkeit noch nicht umgesetzt wurde. Oder bei der Reichensteuer, die 2014 im bürgerlich dominierten Kanton nur knapp abgelehnt wurde. Schon damals erregte die Originalität der Kampagne Aufsehen: «Ende der Cocktailparty», rief es von den Plakaten. Darauf eine von einer Hand ausgepresste Zitrone, aus der ein paar letzte Tropfen kamen.

Auch der Erfolg beim Axpo-Referendum ist nicht zuletzt der geschickt geführten Kampagne zu verdanken. Für das Plakat wurde exakt jenes giftige Gelb gewählt, mit dem vor Stromschlägen gewarnt wird. Nun geht es aber vorerst darum, einen neuen Vertragstext auszuarbeiten – es gibt noch einiges zu tun. «Und überhaupt», sagt Frick und schaut auf die Uhr, «schon zwölf! Zeit, um zu kochen.»