Sachbuch: Nach Adorno

Nr. 33 –

Buchcover von «Adornos Erben. Eine Geschichte aus der Bundesrepublik»
Jörg Später: «Adornos Erben. Eine Geschichte aus der Bundesrepublik». Suhrkamp Verlag. Berlin 2024. 760 Seiten. 57 Franken.

Die Geschichte der Kritischen Theorie wird immer differenzierter aufgearbeitet. Jörg Später beleuchtet nun die Zeit von der Rückkehr des Philosophen Theodor W. Adorno nach Deutschland in den frühen fünfziger Jahren bis ins Jahr 1990. Er schildert darin anhand von dreizehn Personen die Entwicklung von dessen Schüler:innenschaft: Neben Jürgen Habermas sind dies Regina Becker-Schmidt, Gerhard Brandt, Ludwig von Friedeburg, Karl Heinz Haag, Elisabeth Lenk, Oskar Negt, Helge Pross, Alfred Schmidt, Herbert Schnädelbach, Hermann Schweppenhäuser und Rolf Tiedemann sowie Alexander Kluge. Mitarbeiter oder Doktorand:innen kommen hinzu.

Später greift neben den Veröffentlichungen der Schülerinnen und Schüler auf Briefe aus den Archiven und auf persönliche Gespräche zurück. Daraus entsteht eine dichte Kartografie des Denkens im Anschluss an das Wirken der Kerngruppe der Kritischen Theorie sowie ein Beitrag zur Intellektuellen- und Wissenschaftsgeschichte der Bundesrepublik. Später schreibt distanziert und mit kritischem Unterton, aber mit Sympathie und feinem Witz. Er führt mitten in die damaligen Auseinandersetzungen um die Frage, was denn eigentlich zeitgemässe linke Theorie und Praxis mit und nach Adorno ausmachten – was man durchaus auch als eine Zerfallsgeschichte verstehen kann, je nach Perspektive.

Das dargestellte Spektrum reicht von Editionsprojekten, kritischen Erweiterungen und Aktualisierungen über immer loser werdende Denkwege bis hin zur Abwendung vom ursprünglichen Projekt. All dies auch im Kontext der Student:innenbewegung und der Auseinandersetzungen rund um Israel und Palästina, was sehr aktuell anmutet.

Für Nachgeborene ist das Buch damit enorm lehrreich und bietet viele Anregungen für die weitere Lektüre. Vor allem ruft es teilweise vergessene Denkerinnen und Denker und ihr vielfältiges Schaffen in Erinnerung. Wer überdies das ebenfalls kürzlich erschienene «Café Marx» von Philipp Lenhard gelesen haben sollte, findet hier die passende Fortsetzung.