Unruhen in Grossbritannien: Knochenarbeit gegen rechts

Nr. 33 –

Die rechtsextreme Welle in Grossbritannien ist vorerst gebrochen. Obwohl die antifaschistische Bewegung, so der Londoner Aktivist Kevin Blowe, derzeit schlecht organisiert sei.

Im Zentrum von Lewisham im Süden Londons herrscht normalerweise ein wuseliges Durcheinander. Am Mittwochnachmittag vergangener Woche ist es hier still. Die Stimmung ist angespannt. Es ist eine Woche nach Ausbruch der grössten rassistischen Krawalle in Grossbritannien seit Jahrzehnten. Für diesen Tag ist der nächste Gewaltschub angekündigt. Aber es sind schliesslich keine Rechtsradikalen, die sich gegen 19 Uhr auf dem Platz vor dem Uhrturm einfinden, sondern Hunderte Antirassist:innen – mit Lautsprechern und Plakaten. «Wem gehört die Strasse? Uns gehört die Strasse!», rufen sie.

Im ganzen Land gibt es ähnliche Szenen. Riesige Demos gegen rechts füllen die Strassen, von Bristol im Westen bis ins nördliche Newcastle. In Liverpool versammeln sich mehrere Tausend vor einer Kirche, um die Asylbewerber:innen, die hier untergebracht sind, zu schützen. Gruppen von Rechtsextremen sieht man an einigen Orten zwar trotzdem, aber im Vergleich zu den Gegenprotesten sind ihre Aufmärsche mickrig. Die befürchtete Krawallnacht bleibt aus.

Mitschuld von Medien und Parteien

«Die Gegenproteste haben gezeigt, dass man sehr viele Leute in kurzer Zeit mobilisieren kann, und das unter teilweise recht riskanten Umständen», sagt Kevin Blowe. Der 56-Jährige engagiert sich seit vierzig Jahren gegen Rassismus, vor allem in London. «Man steht an solchen Demos womöglich hartgesottenen Faschisten gegenüber, und die werden dich mit Gegenständen bewerfen», sagt er. Dass sich viele Bürger:innen diesem Risiko ausgesetzt hätten, sei ermutigend.

Blowe ist überzeugt, dass die rechtsextreme Welle vor allem dank der Gegenmobilisierung gebrochen werden konnte. «Die Starmer-Regierung behauptet, dass mehr Polizei, mehr Verhaftungen und mehr Haftstrafen das einzige Mittel gegen die rechtsextreme Gewalt sind.» Das sei zwar nicht völlig falsch – Blowe räumt ein, dass die mehr als 700 Verhaftungen und die im Eiltempo verhängten mehrjährigen Haftstrafen für manche Randalierer abschreckende Wirkung gezeigt hätten. «Aber es waren letzten Endes die Menschenmassen, die die Rechtsextremen davon abgehalten haben, erneut aufzumarschieren.»

Blowe war lange Zeit für das Newham Monitoring Project tätig, eine der frühsten und langlebigsten Bürgerrechts- und Antirassismuskampagnen im Land. Mittlerweile hat sie sich aufgelöst. Er hat etliche frühere Ausbrüche rechtsextremer Gewalt miterlebt, etwa Anfang der 1990er Jahre, als die British National Party auf dem Vormarsch war, und erneut ein Jahrzehnt später, als es in nordenglischen Städten zu Zusammenstössen zwischen Faschist:innen und asiatischstämmigen Brit:innen kam.

Die organisierte radikale Rechte habe es immer wieder geschafft, eine grössere Zahl von Leuten zu mobilisieren, sagt Blowe. Und das, obwohl sie eigentlich immer relativ klein gewesen sei. Dass es zur jüngsten Eskalation kommen konnte, war nur möglich, weil weit respektablere Akteure den Boden dafür bereitet haben. «Unsere Medien und grossen Parteien haben zehn Jahre lang migrations- und besonders muslimfeindliche Rhetorik gepusht», bestätigt Blowe.

Auf der Strasse statt im Netz

Dass so schnell eine breite Gegenmobilisierung zustande kommen konnte, ist umso bedeutender, als es keine organisierte antifaschistische Bewegung in Grossbritannien gibt, wie sie etwa in den späten 1970er Jahren bestand. «Wir müssen sie von unten wieder neu aufbauen», sagt Blowe. Der Grundstein dafür sei schon gelegt, und zwar von der propalästinensischen Solidaritätsbewegung. Diese hat in den vergangenen zehn Monaten Dutzende, wenn nicht Hunderte Proteste, Kundgebungen und direkte Aktionen organisiert. So sind Netzwerke entstanden, die eine breite, kurzfristige Mobilisierung ermöglichen. «Viele der Aufrufe zu den Gegenprotesten nach den rechtsextremen Krawallen erfolgten über propalästinensische Chatgruppen», sagt der Aktivist.

Darauf könne und müsse man aufbauen. Dauerhaftere Strukturen seien elementar, findet Blowe, das heisst: «community organising». Dabei geht es darum, Beziehungen zu knüpfen; lokale Netzwerke von Basisgruppen aufzubauen, etwa Wohnkampagnen oder Gewerkschaften; Leuten beizustehen, wenn sie Probleme haben, sei es mit den Behörden oder mit rassistischen Nachbar:innen. So wie das Blowe und seine Kolleg:innen vom Newham Monitoring Project jahrzehntelang gemacht hatten. Sie betrieben etwa eine 24-Stunden-Helpline für Betroffene von rassistischen Übergriffen. Es sei zähe, zeitraubende Knochenarbeit – aber das beste Mittel, die Propaganda der Rechten effektiv zu bekämpfen. «Ein Post in den sozialen Medien kann da wenig ausrichten.» Die Rechte müsse vielmehr «on the ground» bekämpft werden, also auf der Strasse.

In Lewisham stehen gegen 20 Uhr etwa 500 antirassistische Protestierende vor dem Uhrturm. Ein Redner, der seine Rastalocken zu einem Zopf gedreht hat, steht am Mikrofon und erzählt von der «Schlacht von Lewisham». Das war im August 1977, als die faschistische National Front durch das Quartier marschieren wollte. Mehr als 4000 Protestierende stellten sich den Rechtsextremen in den Weg – und schlugen sie in die Flucht. Er sei damals noch ein Schulkind gewesen, erzählt der Redner, aber er erinnere sich gut daran. «Wir haben die damals plattgemacht, und wir werden es wieder tun!»