Asylpolitik: Am Schräubchen drehen
Der Bundesrat hat seinen Plan zur Umsetzung der EU-Asylreform Geas präsentiert. Der Teufel steckt in den Fristen.
Schnellverfahren, Haftzentren und Autokratendeals: Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (Geas) ist ein weiterer drastischer Schritt zur Entrechtung von Menschen auf der Flucht. Das Regelwerk, auf das sich die Mitgliedstaaten nach jahrelangem Ringen geeinigt haben, liefert keine Antworten auf drängende humanitäre Probleme; stattdessen schreibt es den permanenten Ausnahmezustand, der sich an Europas Rändern manifestiert, juristisch fest. Das Recht, Asyl zu beantragen, ist mit dem Geas für viele Geflüchtete Geschichte.
Effizienter, krisenresistenter, solidarischer: Das Bild, das der Bundesrat vom neuen europäischen Asylsystem zeichnet, ist ein diametral entgegengesetztes. Letzte Woche hat er seinen Vorschlag für die Beteiligung am Geas in die Vernehmlassung geschickt. In einigen Kernbereichen, etwa bei den «Schnellverfahren» in Haftlagern an den Aussengrenzen, bleibt die Schweiz als assoziierter Staat zwar aussen vor. In anderen jedoch ist die Stossrichtung der vorgestellten Ideen alles andere als solidarisch. Mag sein, dass sich die eine grosse Verschärfung im 230-seitigen Vernehmlassungsbericht nicht findet. Er gehe nicht von «umstrittenen Änderungen» aus, sagte Justizminister Beat Jans Anfang Juli der WOZ. Wohl in der Hoffnung, dass die Neuerungen so in der Öffentlichkeit weniger Beachtung finden, dreht der Bundesrat dafür an vielen Verschärfungsschräubchen.
Änderungen gibt es in erster Linie beim Dublin-System, das die Verteilung Asylsuchender regelt und die Länder an den EU-Aussengrenzen stärker belastet, weil Geflüchtete ihr Verfahren dort durchlaufen müssen, wo sie um Asyl ersuchen. Dem Binnenstaat Schweiz ermöglichte der ungerechte Mechanismus schon immer, Geflüchtete möglichst schnell wieder loszuwerden. Entwaffnend ehrlich formuliert es der Bundesrat in seinem Bericht: «Aufgrund ihrer geografischen Lage inmitten Europas profitiert die Schweiz vom Dublin-System. Sie überstellt deutlich mehr Personen an andere Dublin-Staaten, als sie selbst übernehmen muss.»
Die geplanten Verschärfungen lassen sich auf einen Nenner bringen: Der Teufel steckt in den Fristen. Ein Beispiel: Bisher hat die Schweiz sechs Monate Zeit, Geflüchtete, die schon in einem anderen europäischen Land um Asyl ersucht haben, dorthin zurückzuschicken. Verstreicht die Frist, muss sie das Verfahren selbst führen. Diese Frist soll nun auf drei Jahre verlängert werden können, wenn ein Geflüchteter etwa «eine selbstverschuldete Überstellungsunfähigkeit verursacht» oder den «medizinischen Vorgaben für eine Überstellung nicht nachkommt», heisst es im Bundesratsbericht in Beamtendeutsch. Im Klartext: Auf Krankheit können nun drei Jahre Nothilfe folgen – drei perspektivlose Jahre in ständiger Unsicherheit.
Weitere Neuerungen betreffen die Dublin-Ausschaffungshaft, deren Dauer sich verkürzt, während die Haftgründe jedoch ausgeweitet werden. Neu sollen zudem alleinreisende Kinder – bisher von der Regelung ausgenommen – in den zuständigen Dublin-Staat ausgeschafft werden können. Ausgeweitet werden auch die Nutzungsmöglichkeiten von Eurodac: Die Datenbank, die bisher vor allem Fingerabdrücke Geflüchteter beinhaltete, soll neu auch die Passdaten und einen biometrischen Scan des Gesichts führen, und zwar schon für Kinder ab sechs Jahren.
So eindeutig die Verschärfungen sind, die der Bundesrat plant: Er lässt auch vieles im Ungefähren. Beim «Solidaritätsmechanismus», der EU-Ländern die Wahl lässt, Asylsuchende aufzunehmen oder sich von der Verantwortung freizukaufen, will er bloss «freiwillig», «punktuell» und jeweils «mit Rücksicht auf die konkrete Migrationslage» mitmachen. Hier bürokratisch penibel an Fristen und Regelungen drehen, die Menschen auf der Suche nach Schutz schaden, dort möglichst vage Worte bemühen, die auf der Galerie verhallen: Mit seinem Plan zur Umsetzung des europäischen Asylsystems bleibt sich der Bundesrat zumindest selbst treu.