Gastronomie: «Die Reform kostet schlicht zu viel»

Nr. 34 –

Die Vorlage zur beruflichen Vorsorge stösst auch bei Arbeitgebern diverser Branchen auf Ablehnung, so etwa bei Gastrosuisse. Ihr neuer Präsident Beat Imhof über Mindestlöhne, Imageprobleme – und den gesellschaftlichen Wert der Beizen.

Beat Imhof im Restaurant «Fredi»
«Eigentlich sind wir das Gegenstück zu den sozialen Medien»: Beat Imhof im «Fredi».

WOZ: Herr Imhof, seit dem 1. Juli sind Sie Präsident des Branchenverbands Gastrosuisse. Und jetzt treffen wir Sie immer noch im «Fredi», dem Restaurant des Casinotheaters Winterthur …

Beat Imhof: Ja, bis Ende Oktober leite ich den Betrieb noch weiter. Es ist mir ein Anliegen, eine gute Übergabe zu machen.

Was hat Sie eigentlich in die Gastronomie geführt?

Als Metzgersohn bin ich mit Lebensmitteln aufgewachsen. Dass ich mich für eine Kochlehre entschied, lag aber auch daran, dass ich als junger Mann reisen wollte. Die Lehre machte ich in einem Gasthof im Berner Schwarzenburgerland, an den schon mein Grossvater das Fleisch geliefert hatte.

Und nach der Lehre?

Arbeitete ich zuerst in diversen Betrieben in der Schweiz. Mit 27 ging ich nach Oslo und war dort unter anderem Küchenchef im «Grand Hotel». Das war eine grossartige Zeit. Wenn ich an all die Nobelpreisträger:innen und Staatsbankette denke, die wir bedienen durften! Irgendwann hatte ich genug von der Küche – und wechselte ins Management.

Wie würden Sie den Wandel in der Gastronomie in all diesen Jahren beschreiben?

Die Bedürfnisse haben sich enorm verändert. In meinem Heimatdorf im bernischen Neuenegg gab es in meiner Kindheit noch etwa sieben Restaurants, heute nur noch eines. Im Vergleich zu früher spielt die Beiz im gesellschaftlichen Leben vielerorts nicht mehr eine so zentrale Rolle. Auch die sozialen Medien haben ihre Auswirkungen: Wir sind ja nicht irgendwo im digitalen Raum tätig, sondern physisch real. Ich würde sogar sagen: Wir bieten Raum für reale Begegnungen, wo sich Menschen verpflegen, vergnügen, austauschen und Meinungen bilden können. Das ist gesellschaftsrelevant – und kostet. Überhaupt: Die grösste Veränderung liegt in der Kostenstruktur. Wenn zu all dem auch eine heftige Inflation kommt, kann es für viele schnell prekär werden.

Womit hat die Branche da besonders zu kämpfen?

Bei uns im Casinotheater haben sich die Stromkosten innerhalb von nur einem Jahr um dreissig Prozent erhöht – bei gleichem Verbrauch! Am stärksten gestiegen sind aber die Personalkosten. Als ich anfing, hiess es noch, dass sie höchstens vierzig Prozent der Gesamtkosten ausmachen sollten. Heute gibt es kaum einen klassischen Betrieb, wo sie unter fünfzig Prozent liegen. Das Dilemma besteht also darin: Wie kann ich faire Löhne zahlen – und gleichzeitig zahlbare Qualität bieten?

In vier Wochen kommt die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) zur Abstimmung. Mit weiteren Verbänden aus der «Wirtschaftsallianz» hat Gastrosuisse die Nein-Parole gefasst. Was sind Ihre Hauptargumente?

Da gibt es ein paar Punkte: Unserer Ansicht nach sollte die Umverteilung von Geldern in der beruflichen Vorsorge abgebaut werden. Stattdessen würde die Reform mit Rentenzuschlägen an die Übergangsgenerationen noch mehr Umverteilung bringen. Das führt zu Überkompensationen, während bei anderen der Rentenzuschlag zu tief ausfällt. Zudem würden die Zuschläge an die Übergangsgeneration immense Kosten verursachen. Insgesamt müssten unsere Verbandsmitglieder pro Jahr zusätzlich 250 Millionen Franken bezahlen. Durchschnittlich auf einen Betrieb umgerechnet wären das etwa 7700 Franken. Angesichts der aktuellen Kostenentwicklung ist das schlicht zu viel.

Auch die Gewerkschaften sind gegen die Reform. Zumal der Nettolohn vieler Angestellter sinken würde, ohne dass sie dafür mehr Rente erhielten.

Umso schlechter.

Letzte Woche unterbreitete der Bundesrat zudem den Vorschlag, die 13. AHV-Rente allein über eine Mehrwertsteuererhöhung zu finanzieren, was untere Lohnklassen überproportional belasten würde. Müsste Ihre Branche gerade unter diesen Vorzeichen und angesichts des Fachkräftemangels nicht mehr in bessere Arbeitsbedingungen investieren?

Zunächst einmal handelt es sich beim Fachkräftemangel nicht um ein spezifisches Gastroproblem. Auch andere Branchen leiden darunter. Unsere Umfragen zeigen aber: Das Problem hat sich etwas entschärft. Tatsache jedoch bleibt: Wir haben als Branche kein besonders gutes Image. Als meine Tochter in der Schule bekannt gab, eine Schnupperlehre als Köchin machen zu wollen, sagten sie ihr: «Du gehst doch jetzt aber sicher nicht in die Gastronomie!»

Woher kommt das?

Es ist nun mal so, dass die Arbeit in der Gastronomie mit relativ viel Stress verbunden ist. Wenn zur Mittagszeit viele Gäste gleichzeitig essen wollen, kann es in der Küche auch mal hektisch werden. Da musst du liefern, sonst hast du bald keine Kund:innen mehr. In unserem Vorstand arbeiten wir nun daran, die vielen positiven Seiten der Branche zu vermitteln.

Womit?

Zum Beispiel wollen wir die Kommunikation mit den Schulen verbessern. Auch Kampagnen mit Spitzenköch:innen und weitere Projekte sind angedacht, mit denen wir das Interesse von Teenagern wecken können. Grundsätzlich bin ich zuversichtlich, dass unsere Berufe wieder attraktiver werden. Auch dadurch, dass diverse andere Berufe durch neue Technologien verschwinden werden: Das Handwerk wird wieder höher bewertet werden. Letztlich geht es darum, aufzuzeigen, wie sinnstiftend das Gastgewerbe ist.

Braucht es dafür nicht höhere Löhne?

Für allgemeine Lohnerhöhungen sind die Margen vielerorts schlicht zu tief. Im Übrigen gibt es heute nur noch wenige Betriebe, die ihre Angestellten auf der untersten Stufe, jener des Mindestlohns, bezahlen. Und sobald ein ungelernter Angestellter zwei Jahre im Betrieb ist, steigt sein Lohn, das alles ist GAV-verbindlich. Bei einer weiteren Anhebung des Mindestlohns würden auch alle weiteren Lohnstufen nach oben gehen. Das zu finanzieren, ist in der aktuellen Lage schwierig. Der reine Lohn ist noch lange nicht das einzige Kriterium für die Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen. Primär geht es um ein gutes Verhältnis untereinander, um menschenorientierte Teamarbeit.

Die Gewerkschaften, in diesem Fall Gastro-Union und Unia, sehen das wohl etwas anders.

Uns ist es wichtig, dass sie das Spannungsfeld verstehen, in dem sich unsere Branche befindet. Verglichen mit den Löhnen in anderen handwerklichen Berufen sind wir konkurrenzfähig. Nochmals: Man sollte in dieser Diskussion nicht nur den puren Lohn als Grundlage nehmen. Hier im Casinotheater etwa können sich alle Mitarbeitenden sehr preiswert verpflegen. Das macht schnell ein paar Hundert Franken aus, die sie pro Monat von ihren privaten Ausgaben abziehen können.

Nun aber haben mehrere Kantone und Kommunen, zuletzt die Stadt Luzern, für alle Branchen Mindestlöhne beschlossen, die über den GAV-Mindestlöhnen liegen.

Es geht doch gar nicht darum, dass man den Leuten diesen Lohn nicht geben will. Sondern dass man den Gesamtarbeitsvertrag, den wir mit unseren Sozialpartnern ausgehandelt haben, nicht torpediert! Wie alle Arbeitgeberverbände begrüssen wir deshalb, dass das Parlament die Motion von Mitte-Ständerat Erich Ettlin gutgeheissen hat, die diese Sonderregelungen für ungültig erklären will.

Laut Bundesgericht und der Konferenz der Kantonalen Volkswirtschaftsdirektor:innen wäre ein solcher Eingriff in die Autonomie der Kantone verfassungswidrig …

Ein Gutachten der Rechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Isabelle Häner kommt zu einem anderen Schluss.

Gäbe es nicht doch noch einen Punkt, wo Gastrosuisse und die Gewerkschaften zusammenspannen könnten? Bei den Mieten etwa – da sind es ja oft ausgerechnet Pensionskassen, die exorbitante Zinsen verlangen.

Man sagt ja: Viel mehr als zehn Prozent sollten die Mietkosten nicht ausmachen. Ich fände es aber komisch, wenn plötzlich der Staat einspringen würde. In Winterthur haben wir im Verein Junge Altstadt eine andere Vision diskutiert: Mit dem Geld aus einem Fonds, in den die Immobilienbesitzer:innen ein halbes Prozent ihrer Mieteinnahmen einzahlen, könnte man auch Geschäfte ansiedeln, die nicht so hohe Mieten bezahlen können. So könnte die Vielfalt erhöht und die Attraktivität gesteigert werden. Sonst gibt es in der Marktgasse bald nur noch Banken und Betriebe von grossen Ketten wie Starbucks.

BVG-Reform : Auch die «Wirtschaftsallianz» sagt Nein

Mit der BVG-Reform soll laut dem Bund die Finanzierung der zweiten Säule gesichert werden. Angesichts steigender Lebenserwartung sei eine Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent unumgänglich, sagen Befürworter:innen. Im Gegenzug soll der «Koordinationsabzug» wegfallen, sodass Wenigverdienende mehr Geld einzahlen könnten. Ältere Angestellte aus der Übergangsgeneration wiederum sollen während einer fünfzehnjährigen Übergangsfrist einen Rentenzuschlag erhalten.

Wie schwer die Abstimmung vom 22. September zu prognostizieren ist, zeigt sich in den jüngsten Umfragen: Derweil das Forschungsinstitut GfS Bern im Auftrag der SRG zum Ergebnis kam, dass 49 Prozent die Vorlage bestimmt oder eher befürworten (und nur 39 bestimmt oder eher ablehnen) würden, stiess die Vorlage bei der Umfrage des Instituts Leewas im Auftrag von Tamedia bei 59 Prozent auf Ablehnung (und bei nur 33 Prozent auf mehr oder weniger Zustimmung). Die Differenz zwischen den beiden Ergebnissen könnte daher kommen, dass die Umfrage von Tamedia kurz nach Bekanntwerden der groben Rechnungsfehler des Bundes bei den Zahlen zur AHV-Finanzierung durchgeführt wurde.

Wer von der Reform profitieren oder dabei verlieren würde, ist umstritten. Die Gewerkschaften bekämpfen die Vorlage mit dem Hauptargument, dass untere und mittlere Einkommensklassen Gefahr liefen, mehr Beiträge einzuzahlen und trotzdem weniger Rente zu erhalten. Demgegenüber behaupten Befürworter:innen, dass gerade Frauen und Personen mit tieferen Einkommen profitierten. Doch auch mehrere Arbeitgeberverbände, die sich zu einer «Wirtschaftsallianz» zusammengeschlossen haben, wehren sich gegen die Vorlage. Neben Gastrosuisse sind das etwa die Verbände der Coiffeur:innen, der Bäcker:innen, der Fitnesscenter oder der Tankstellenshops – durchgehend Branchen, in denen viele Beschäftigte zu Tieflöhnen angestellt sind.