Mpox im Kongo: «Alle zu impfen, wäre unmöglich»
Noch immer wütet die Mpox-Epidemie («Affenpocken») im Kongo. Der Virologe Jean-Jacques Muyembe-Tamfum über die Lage vor Ort, die Herausforderungen bei der Eindämmung des Virus und den schwierigen Zugang zu Impfstoffen.
WOZ: Herr Muyembe-Tamfum, in Ihrem Heimatland, der Demokratischen Republik Kongo, verbreitet sich eine neue Variante des Mpox-Virus rasend schnell – und erregt weltweit Aufsehen. Mitte August hat die WHO deshalb eine «gesundheitliche Notlage internationaler Reichweite» ausgerufen. Wie ist die Lage vor Ort?
Jean-Jacques Muyembe-Tamfum: Die Epidemie breitet sich weiter aus, es gibt in unserem Land inzwischen mehr als 21 000 Verdachtsfälle, mehr als 5000 bestätigte Fälle und um die 700 Todesfälle. In weit über der Hälfte der 26 Provinzen des Kongo sind Mpox-Fälle aufgetreten. Am meisten beunruhigt uns die Lage im Osten des Landes.
Dort liegt das Epizentrum der neuen Mpox-Variante, in einem Gebiet, in dem Rebellengruppen um Macht und Bodenschätze kämpfen. Was bedeutet das für die Virusbekämpfung?
Wir konnten den Ursprung der neuen Variante in ein Goldminengebiet im Osten des Kongo zurückverfolgen, wo es viel Prostitution und Grenzverkehr gibt. Das hat zur Verbreitung beigetragen. Es gibt dort seit Jahren bewaffnete Konflikte, Hunderttausende leben in Vertriebenenlagern. Das erschwert die Virusbekämpfung. In den Lagern grassieren andere Krankheiten wie Masern oder Cholera. Die Menschen leben zusammengepfercht auf engstem Raum. Es ist quasi unmöglich, Hygiene- und Abstandsmassnahmen einzuhalten. Auch das Contact Tracing ist wegen der Unsicherheit sehr schwierig.
Hinzu kommt, dass die neue Mpox-Variante anscheinend leichter übertragen wird und zu schwereren Krankheitsverläufen führt.
So ist es. Mpox ist im Kongo seit Jahrzehnten endemisch. Früher trat die Krankheit aber sporadisch auf und konnte sich nicht so verbreiten wie heute. Hier, in Zentralafrika, zirkuliert die Virusfamilie «Klade I». Sie ist aggressiver als «Klade II», die in Westafrika vorkommt. Wir dachten, dass sie weniger leicht mutiert. Im September 2023 hat sich aber die neue Variante entwickelt, die wir «Klade Ib» nennen. Sie wird durch engen, vorwiegend sexuellen Kontakt übertragen und verbreitet sich sehr schnell. Insgesamt haben mittlerweile vierzehn andere afrikanische Staaten Mpox-Fälle verzeichnet. Kürzlich wurde der Erreger auch hier in der Hauptstadt Kinshasa im Westen nachgewiesen – in einer Stadt mit mehr als fünfzehn Millionen Einwohner:innen, von der aus die Menschen in alle möglichen Länder fliegen.
Zugleich zirkuliert auch die herkömmliche Variante weiter. Besonders tragisch ist, dass viele Kinder erkranken, die das grösste Risiko für schwere und tödliche Verläufe haben. Im Kongo machen unter Fünfzehnjährige laut Unicef rund sechzig Prozent der Verdachtsfälle und achtzig Prozent der Todesfälle aus. Angesteckt werden sie laut NGOs auch durch die im Osten weitverbreitete sexuelle Gewalt.
Als wir ab den siebziger Jahren begannen, Mpox zu erforschen, waren Kinder am stärksten betroffen, weil sie auf dem Land leicht in Kontakt mit Wildtieren kommen. Von diesen springt das Virus auf den Menschen über. Mpox ist ursprünglich eine Krankheit aus dem ländlichen Milieu. In den Städten stecken sich Kinder nun durch andere Menschen an, auch über die Eltern. Wenn das Virus einmal unter Kindern zirkuliert, ist es schwer zu bremsen, weil diese oft zusammen spielen. Die genauen Zahlen zu den Altersgruppen untersuchen wir noch. Die Symptome von Mpox können mit denen von Windpocken verwechselt werden, einer typischen Kinderkrankheit. Wichtig ist daher die Bestätigung der Fälle im Labor.
Geplante Impfkampagne
Zur Eindämmung von Mpox – auch als «Affenpocken» bekannt – soll die Impfung beitragen. Am 13. September hat die WHO für Afrika einen ersten Impfstoff vorläufig zugelassen. Damit können Unicef oder die Impfallianz Gavi für die betroffenen Länder Dosen kaufen. Zudem appelliert die WHO an Industrieländer, vorrätigen Impfstoff abzugeben. Im Kongo sind bisher rund 250 000 Dosen angekommen, 3,6 Millionen wurden zugesagt. Die Impfkampagne soll Anfang Oktober starten.
Die Schweiz hat laut dem Bundesamt für Gesundheit während des weltweiten Mpox-Ausbruchs 2022 40 000 Impfdosen gekauft und in den Kantonen verteilt. Rund 13 000 seien bisher verabreicht worden. Impfstofflieferungen in afrikanische Länder sieht man derzeit keine vor, man habe dazu noch keine Anfrage erhalten.
Es gibt Impfstoffe gegen Mpox. MVA-BN vom deutsch-dänischen Hersteller Bavarian-Nordic wurde in Europa und den USA eingesetzt. Japan nutzt den Impfstoff LC16. Die Weltgesundheitsorganisation WHO, die für Afrika die Funktion einer übergreifenden Zulassungsbehörde übernimmt, hat MVA-BN als ersten Impfstoff für den Kontinent aber erst vor einer Woche zugelassen. Auch erste Impfstoffspenden hat die Demokratische Republik Kongo erst Anfang September erhalten. Warum hat das so lange gedauert?
Die Einführung einer Impfung ist eine komplizierte Sache: der bürokratische Aufwand, das Zulassungsverfahren. Die Impfungen werden im Ausland hergestellt, daher braucht es auch viele Diskussionen im Aussen- wie auch im Gesundheitsministerium.
2022 gab es einen grösseren Mpox-Ausbruch mit Zehntausenden Fällen weltweit. In Industriestaaten konnte er dank einer Impfkampagne relativ schnell eingedämmt werden. In Afrika aber zirkulierte das Virus weiter. Spätestens dann hätte allen klar sein müssen, dass der Kontinent Impfstoffe braucht, oder?
Das ist die ewige Frage der gerechten Verteilung. Als die WHO 2022 wegen Mpox schon einmal die internationale Notlage ausrief, dachten wir uns hier in Afrika: Nun ist diese bisher exotische Krankheit auch von internationalem Interesse, und wir werden von der Wissenschaft profitieren. Aber nachdem der Ausbruch in den westlichen Staaten schnell gestoppt wurde, brach das Interesse an der Bekämpfung ab. Wir hinken beim Zugang zur Impfung und zu Medikamenten immer noch hinterher.
Was sind die Schwierigkeiten bei der Impfstoffbeschaffung?
Die Hürden sind vor allem finanzieller Natur. Der Kongo hat nicht die Mittel, um Impfungen zu kaufen, die wie im Fall von MVA-BN gut hundert US-Dollar pro Dosis kosten. Wir sind auf Partnerorganisationen wie Unicef oder die globale Impfallianz Gavi angewiesen, die den Zugang zu Impfstoffen für ärmere Staaten ermöglicht und diese kofinanziert …
… und auf Impfstoffspenden. Die Industriestaaten haben rund 3,6 Millionen Dosen für Afrika zugesagt. Laut der afrikanischen Seuchenkontrollbehörde Africa CDC wären aber 10 Millionen Dosen nötig, um den Ausbruch zu stoppen. Kann dieses Ziel erreicht werden?
Es wird keine Massenimpfung geben. Allein der Kongo hat mehr als hundert Millionen Einwohner:innen, alle zu impfen, wäre unmöglich. Wir werden das Gesundheitspersonal und die engen Kontakte von positiv getesteten Personen impfen. Aber auch dafür braucht es genügend Impfstoffe. Das Risiko, dass sich das Virus auch in den westlichen Staaten ausbreitet, ist derzeit relativ gering. Natürlich kann das passieren, wie vor zwei Jahren. Aber die westlichen Staaten müssen verstehen, dass sie zu ihrem eigenen Schutz nun zuerst den afrikanischen Ländern helfen müssen. Europa gewinnt, wenn es jetzt die Virusbekämpfung in Afrika stärkt.
Europa hat bisher erst einen Fall der neuen Mpox-Variante registriert: Mitte August in Schweden. Fürchten Sie, dass das zu einer gewissen Gleichgültigkeit führen könnte?
Ich denke schon, dass es ein globales Bewusstsein für die aktuelle Dringlichkeit gibt. Und auch die afrikanischen Staaten müssen sich bemühen, indem sie Impfstoffe kaufen und versuchen, diese selbst herzustellen. Wir haben gut ausgebildete Wissenschaftler:innen. Mit ausreichenden finanziellen Mitteln könnten wir Impfungen hier produzieren, anstatt von europäischen Staaten abhängig zu bleiben. Ein grosses Land wie der Kongo sollte seinen eigenen Hersteller haben. Das würde vieles erleichtern. Auch was das Vertrauen in die Impfung betrifft. Die Impfskepsis im Land ist gross, besonders gegenüber Vakzinen aus dem Ausland. Das wird eine der zentralen Herausforderungen bei der bevorstehenden Impfkampagne sein.
Was sind weitere Herausforderungen?
Wir müssen die Gebiete erreichen, in denen das Virus grassiert. Oft sind das abgelegene Gegenden im Landesinneren. Dabei muss die Impfung durchgehend bei niedrigen Temperaturen gelagert werden, diese Bedingungen vor Ort herzustellen, ist nicht einfach. Hinzu kommt die prekäre Sicherheitslage. Da die Dosen erst nach und nach ankommen, können wir auch nicht überall gleichzeitig impfen.
Was braucht es, abgesehen von der Impfung, zur Eindämmung?
Wichtig sind Hygienemassnahmen, die gut kommuniziert werden. Und natürlich die Diagnose. Mpox-Symptome können mit denen von Windpocken, Herpes oder sekundärer Syphilis verwechselt werden. Leider gibt es in unserem riesigen Land nur wenige Labors, die PCR-Tests auswerten. Die Proben müssen also sehr weite Wege zurücklegen. Schnelltests für Mpox, die wir in Spitälern auswerten könnten, gibt es noch nicht. Wir untersuchen aber derzeit, ob sich gewisse Schnelltests aus Europa und Asien zur Diagnose eignen.
Wie sieht es bei den Medikamenten aus?
Zumindest braucht es Mittel zur Schmerz- und Fiebersenkung und Antibiotika gegen bakterielle Superinfektionen. Noch besser wären spezifische antivirale Medikamente, bisher gibt es aber keine nachweislich wirksame Therapie. Ein Medikament, in das etwas Hoffnung gesetzt wurde, hat sich gegen die hier verbreitete Virusfamilie in einer neuen Studie leider als wirkungslos herausgestellt.
Jean-Jacques Muyembe-Tamfum (82) leitet das Nationale Institut für biomedizinische Forschung (INRB) in Kinshasa. Der mehrfach ausgezeichnete Mikrobiologe hat jahrzehntelange Erfahrung bei der Erforschung und der Bekämpfung von Infektionskrankheiten und ist besonders für seine Arbeit zu Ebola bekannt. Mit Mpox befasst er sich seit der entdeckten Übertragung des Virus auf den Menschen im Jahr 1970.