Provenienz: Ein Loch in der Geschichte

Nr. 38 –

Die Berner Galerie Kornfeld versteigert ein Gemälde von Claude Monet und behauptet, bei dessen Verkauf im nazibesetzten Paris sei «alles mit rechten Dingen abgelaufen». Doch den historischen Nachweis bleibt sie schuldig.

Gemälde «L’inondation: La Seine à Vétheuil» von Claude Monet
Provenienz ungeklärt: Claude Monets «L’inondation: La Seine à Vétheuil». Foto: Heritage Partnership Ltd, Alamy

Der Hammer fällt, das Werk ist verkauft. 2 Millionen Franken kostet «L’inondation: La Seine à Vétheuil» von Claude Monet (1840–1926), zuzüglich der Provision in Höhe von rund einem Fünftel des Kaufpreises, nicht zu vergessen Mehrwertsteuer, Transportkosten und jährlich wiederkehrende Versicherungsprämien. Der Schätzpreis für das Werk hatte allerdings 2,5 Millionen Franken betragen, es dürfte sich also um ein gutes Geschäft gehandelt haben.

Auf dem 1881 in impressionistischem Stil gemalten Bild harren kahle Winterbäume im blau-weiss schimmernden Hochwasser der Seine aus, im Hintergrund schlummert ein Dorf. Wer sich künftig daran erfreuen wird, ist unbekannt. Den Zuschlag erhalten hat die Käufer:innennummer 222 – auf Kunstauktionen wird anonym geboten. So auch vergangene Woche in der Galerie Kornfeld in Bern, die sich in der grössten Auktion ihrer Geschichte von Teilen der Sammlung des Gründers Eberhard Kornfeld (1923–2023) trennte, einem erfolgreichen und international bekannten Händler und Galeristen.

Spielraum für Interpretationen

Schon einmal hat ein Käufer oder eine Käuferin ohne Namen dieses Ölbild erworben: am 13. Dezember 1940, als es in Paris zu einem unbekannten Preis versteigert wurde. Sicher ist nur, dass es zuvor einem Arzt gehört hatte, Jacques Soubies. Kurz zuvor war er unter unbekannten Umständen verstorben.

Dann verschwand das Gemälde in einem Loch in der Geschichte, aus dem es erst siebzehn Jahre später wieder auftauchte. Im Sommer 1957 fand es Jacques Koerfer in der Pariser Galerie Charpentier. Der in der Schweiz lebende Deutsche, damals Grossaktionär bei BMW, liess es in seine Villa nach Ascona bringen. Später sollte es gemäss den Informationen im Auktionskatalog in die Sammlung Eberhard Kornfelds übergehen.

Das Schweizer Recht kennt keine klaren Bestimmungen, die von Verkäufer:innen von Kunstwerken oder anderen Kulturgegenständen eine Abklärung der Provenienzen, also der Herkunft, verlangen. Nur wenn aufgrund bestimmter Umstände davon ausgegangen werden muss, dass der betreffende Gegenstand gestohlen wurde, darf er nicht weiterverkauft werden. Es ist klar, dass derart lockere Vorgaben viel Spielraum für Interpretationen lassen. Der Kunstmarkt profitiert davon.

Der Monet ist nicht das einzige Kunstwerk in der Kornfeld-Auktion, das Fragen zu seiner Provenienz aufwirft. Im Kleingedruckten des Katalogs wird darauf hingewiesen, dass für Angaben zur Herkunft nicht gehaftet werde. Rein rechtlich betrachtet, ist das gängige Praxis. Doch eigentlich sagen die Angaben im Katalog herzlich wenig darüber aus, auf welchen Wegen «L’inondation: La Seine à Vétheuil» von Paris nach Bern gekommen ist.

Nachfrage bei der Galerie Kornfeld: Welche Schritte unternimmt sie jeweils, um Provenienzen abzuklären? Bernhard Bischoff, Geschäftsführer der Galerie und Kunsthistoriker, antwortet umgehend. Bestünden Unsicherheiten über die Herkunft eines Objekts, würden jeweils weitere Abklärungen getroffen. Dazu könnten vertiefte Nachforschungen gehören, auch Recherchen in einschlägigen Raubkunstdatenbanken wie lostart.de des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste oder des privaten «Art Loss Register». Dort hätten die Vorabklärungen kürzlich auch prompt zwei Treffer ergeben, und die entsprechenden Lose seien daraufhin kurzfristig aus der aktuellen Auktion zurückgezogen worden. Mit den Nachkommen werde nun nach einer fairen Lösung gesucht.

Und wie sieht es beim Monet-Gemälde aus, in dessen Provenienz eine grosse Lücke klafft? Die Forschung sei sich einig, dass damals «alles mit rechten Dingen abgelaufen» sei, auch wenn «das Gemälde in einer dunklen Zeit verkauft wurde», erklärt Bischoff.

Keine Forschung, kein Problem

Welche Forschung? Auf Nachfrage kann Bischoff eine solche nicht nennen. Aber, antwortet der Galerist, es seien doch schon etliche andere Werke aus der Sammlung von Jacques Soubies angeboten worden, ohne dass es je zu Beanstandungen gekommen wäre. «Noch einmal: Wir basieren ganz am Ende des Tages auch auf der Prüfung durch das Art Loss Register.»

Doch dieses Register erhebt keineswegs den Anspruch, sämtliche problematischen Provenienzen aller Kunst- und Kulturgüter der Welt zu verzeichnen. Wie sollte es auch? Man fände darin zum Beispiel kein einziges Stück aus der Sammlung Bührle im Kunsthaus Zürich – einer Sammlung, deren Legitimität wie die keiner anderen in der Schweiz angezweifelt wird.

Beanstandungen zu Werken aus Soubies’ Sammlung konnte es auch darum keine geben, weil deren Provenienzen gar nie erforscht wurden. Über die Umstände, also die «dunkle Zeit», von der die Galerie Kornfeld spricht, weiss die Forschung allerdings recht gut Bescheid. Studien von Historiker:innen wie Emmanuelle Polack oder Kim Oosterlinck zeigen, wie Paris gleich zu Beginn der deutschen Besetzung, nicht zuletzt dank der Zusammenarbeit mit zahlreichen willfährigen französischen Händler:innen, zur wichtigen Drehscheibe des grössten Kunstraubs der Geschichte wurde. Im gesamten Einflussgebiet NS-Deutschlands wurden jüdische Sammler:innen und Händler:innen bekanntlich systematisch beraubt und verfolgt.

Opfer dieses Raubzugs wurden auch französische Museen, Galerien und vereinzelt private Sammler:innen. Die Gier der Nazis und ihrer Profiteure nach Kunstobjekten war unersättlich. Nicht nur ihnen dienten sie als begehrtes Kapital in Zeiten, in denen Devisen knapp waren. Waggonweise wurde Beutegut aber auch in die Residenzen von Adolf Hitler oder Hermann Göring verschoben oder nach Linz ins geplante «Führermuseum». Was übrig blieb, landete im staatlichen Auktionshaus Drouot, einem ehemaligen Hotelgebäude im Herzen von Paris. Während der Besetzung war es der wichtigste Umschlagplatz des organisierten Raubs. Hier wurde auch das Monet-Gemälde verwertet – als «collection de feu», also Sammlung eines Verstorbenen. Wer aber hatte diese Sammlung zur Auktion gebracht, und warum so rasch?

Der damalige Auktionskatalog ist leicht im Internet zu finden. So erfährt man, dass in die Versteigerung Étienne Ader als Auktionator und André Schoeller als Experte involviert waren – ein Duo, das besonders aktiv war in den über 500 Auktionen, die zwischen 1940 und 1943 bei Drouot abgewickelt wurden. Schoeller arbeitete als Präsident des Verbands der Kunsthändler direkt mit den Deutschen zusammen, so auch mit dem berüchtigten Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, der Raubkunstorganisation der Nazis.

NSDAP-Mitglied Koerfer

Im Dunkeln tappt man bei den Provenienzangaben auch, was Jacques Koerfer (1902–1990) angeht, der das Monet-Bild 1957 in Paris kaufte, nachdem es siebzehn Jahre lang verschwunden gewesen war. Auch hier kann man sich auf historische Forschung stützen. Denn Koerfer, der reiche Unternehmer aus Ascona mit Hauptwohnsitz in Bolligen bei Bern, war seit 1933 Mitglied der NSDAP. Er pflegte enge Kontakte zu den Spitzen des Regimes und war auch zur Stelle, als 1938 das Zigarettenunternehmen der jüdischen Familie Garbáty in Berlin-Pankow «arisiert» wurde – also enteignet. Unter Zwang und zu lächerlichen Konditionen musste die Familie Garbáty ihre Firma und ihre Liegenschaften auf Koerfer und andere Profiteur:innen der «Arisierungen» überschreiben. Gerade noch rechtzeitig kam Koerfer 1944 in die Schweiz, mitsamt seinem beweglichen Vermögen, darunter seine wertvolle Kunstsammlung. Hier freundete er sich mit Eberhard Kornfeld an. Als sich Koerfer 1977 in Bolligen einbürgern lassen wollte, lehnte dies der Gemeinderat mit Verweis auf dessen Vergangenheit ab. Kornfeld scheint sich an dieser nie gestört zu haben.

Die anfänglichen Fragen bleiben, doch mit dem Wissen um diesen historischen Kontext haben sie an Dringlichkeit gewonnen: Immer noch wissen wir nicht, an wen «L’inondation: La Seine à Vétheuil» 1940 verkauft wurde, warum und zu welchem Preis. Ziemlich gut lässt sich indes rekonstruieren, unter welchen Bedingungen es im Zentrum des NS-Kunstraubs unter den Hammer gekommen war, um erst knapp zwei Jahrzehnte und einen Weltkrieg später nur ein paar Strassen weiter, in der Galerie Charpentier, wieder aufzutauchen, erworben von einem Mann, der von Krieg und Verfolgung profitiert hatte, ehe das Gemälde, längst in eine Kapitalanlage transformiert, nach Bern gelangte – und jetzt zu Käufer:in 222.