US-Linke : «Ich habe richtig Wut auf die Demokratische Partei»
Zwischen Graswurzelbewegungen, Arbeitskämpfen und Machtlosigkeit – an der «Socialism Conference» in Chicago sucht die US-Linke Antworten: Wie könnte sie zu einer starken Opposition werden?

Wenn sich Linke irgendwo versammeln, hat das oft was von einer Parallelwelt. Es geht um Ideen, die dem Grossteil der restlichen Bevölkerung eher rätselhaft erscheinen, beispielsweise um die Abschaffung von Staatsgrenzen oder eine Gesellschaft ohne Polizei. Die Verwendung mancher Begriffe erinnert an eine Geheimsprache. Von «salts» (Salzen) ist dann plötzlich die Rede; gemeint sind Menschen, die in bestimmten Branchen und Betrieben eine Anstellung suchen, um dort eine Gewerkschaft aufzubauen. Und allein schon der Glaube an einen radikalen Wandel ist ja ein wenig sonderbar, also im besten Sinne.
Ende August fand in Chicago die jährliche «Socialism Conference» statt, das wichtigste Treffen der US-Linken. Vier Tage lang diskutierten rund 2300 Amerikaner:innen in den Konferenzräumen eines Businesshotels nahe dem Michigansee über linke Theorie und Praxis. Interessant, und gewisserweise entrückt, war aber vor allem, worüber nicht geredet wurde. Während sich im politischen und medialen Geschäft der USA seit Monaten fast alles um die anstehende Präsidentschaftswahl dreht, war das Duell zwischen Kamala Harris und Donald Trump bei dieser Konferenz so gut wie kein Thema. Ab und zu ging es zwar um die Gefahren einer zweiten Amtszeit Trumps, gelegentlich um Harris’ Pläne, aber all das war zweitrangig, wenn überhaupt.
Man könnte die linke Ignoranz gegenüber dem Wahlkampf nun als gefährlich empfinden. Wissen sie denn nicht, was auf dem Spiel steht? Man könnte es allerdings auch als realistischen Umgang mit den eigenen Kapazitäten und Möglichkeiten betrachten. Sie wissen, wo etwas zu holen ist und wo nicht.
Energie besser lokal einsetzen
In diesem Spannungsfeld bewegt sich die US-Linke seit Jahren. Den vielen beeindruckenden Graswurzelbewegungen, Arbeitskämpfen und legislativen Teilerfolgen steht eine unter dem Strich immer noch schmerzliche Machtlosigkeit gegenüber. «Wir schaffen es, dass unsere Leute bei Stadtratswahlen gewinnen. Bei einer Präsidentschaftswahl schaffen wir das nicht», sagt Megan Romer, Kovorsitzende der Democratic Socialists of America (DSA), während eines Gesprächs am Rand der Konferenz. Nach einem Boom zwischen 2015 und 2021 haben die DSA in den vergangenen Jahren deutlich Mitglieder eingebüsst, es sind derzeit rund 55 000. Die 41-jährige Romer erklärt das vor allem mit den Demobilisierungseffekten der Pandemie und ungünstigen Abläufen bei der Eintreibung von Mitgliedsbeiträgen. Ziel sei es weiterhin, eine Art Dachorganisation der US-Linken zu sein, wie Romer sagt. Davon sind die DSA jedoch weit entfernt.

Auch die meisten anderen Teilnehmer:innen machen in ihren Beiträgen klar, dass linke Energie bei lokalen Initiativen und ausserparlamentarischen Bewegungen besser aufgehoben sei. An die Transformation der Democrats in eine linke Kraft glaubt jedenfalls kaum jemand. Daran hat der Wechsel an der Parteispitze nichts geändert. «Wir sollten uns nichts vormachen und denken, dass Kamala Harris eine emanzipatorische Präsidentin wäre», sagt Elise Joshi, eine 22-jährige Aktivistin aus Kalifornien. Sie leitet eine der grössten Jugendorganisationen der USA, Gen-Z for Change, die sich auf digitale Kampagnen, etwa fürs Abtreibungsrecht, spezialisiert hat. «Ich werde Harris wählen», so Joshi weiter, «aber nur aus strategischen Gründen», also um Trump zu verhindern. In der Logik des kleineren Übels fühlen sich viele Linke gefangen.

Dass Harris im Grossen und Ganzen die Politik des amtierenden Präsidenten Joe Biden fortführen will, ist kein Geheimnis – sie sagt es in Wahlkampfreden und Interviews. Beim Thema Immigration folgt sie dem rechten Druck und setzt auf Abschottung. In offiziellen Wahlkampfspots wird lobend hervorgehoben, dass Harris «das strengste Grenzkontrollgesetz seit Jahrzehnten» unterstützt habe. Wirtschaftspolitisch plant sie Entlastungen für die Mittelschicht und Investitionen in bestehende Sozialprogramme, aber über moderate Reformen geht es nicht hinaus. Von einst formulierten Forderungen, etwa nach einer staatlichen Krankenkasse für alle und einem Green New Deal, hat sie sich inzwischen distanziert, obwohl diese bei der Bevölkerung beliebt sind. Beim Parteitag der Demokrat:innen schenkte die neue Führungsfigur der Partei dem Klimawandel lediglich einen Halbsatz. Gegenüber dem Sender CNN prahlte sie, dass sie sich für mehr Gasfracking eingesetzt habe.
Und auch an der Position gegenüber Israel wird sich wohl nicht allzu viel ändern, wie Harris in den vergangenen Wochen signalisiert hat. Der Krieg in Gaza, den immer mehr Expert:innen als Genozid beschreiben, wäre ohne die Unterstützung der USA nicht möglich. Ein Waffenembargo lehnt Harris jedoch ab – auch hier gegen die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung.
In vieler Hinsicht ist also gerade durch Harris erneut klar geworden, wie notwendig eine starke Opposition in den USA ist. Sollte Trump ein zweites Mal gewinnen, gilt das erst recht. Wie aber will die Linke das erreichen? Wie soll echte Macht aufgebaut werden?
Gaza als dominierendes Thema
Die «Socialism Conference» gibt es in dieser Form seit den neunziger Jahren. Lange Zeit kamen ein paar Hundert Leute zusammen, fast alle von ihnen Mitglieder der trotzkistischen Gruppe International Socialist Organization (ISO). Die Diskussionen drehten sich meist um die Russische Revolution und marxistische Ökonomie, wie sich ein früherer Teilnehmer erinnert. Die Teilnehmer:innenliste war damals so klein, dass sich jede:r mit Vornamen kannte. Dann kam Occupy, dann kam Black Lives Matter, dann kam Bernie Sanders, und im Lauf dieser Jahre, in denen sich nach und nach eine neue Linke formierte, gewann auch die «Socialism Conference» an Bedeutung. Als sich die ISO 2019 nach internen Konflikten auflöste, öffnete sich die Konferenz stärker anderen linken Gruppen. In diesem Jahr waren es so viele Teilnehmende wie nie zuvor, wie der Verlag Haymarket Books, der die Konferenz organisiert, mitteilte. Bei einigen der rund 130 Panels und Workshops mussten die Leute im hinteren Bereich des Raums stehen, weil alle Sitze belegt waren.
Das dominierende Thema an der Konferenz ist der Krieg in Gaza. «All Eyes on Palestine» heisst das erste grosse Panel, zu dem fast tausend Leute kommen, viele davon mit einer Kufija als Zeichen der Solidarität. Der Historiker Abdel Razzaq Takriti, der an der Rice University in Houston lehrt, betont in seinem Vortrag die lange Unterdrückung des palästinensischen Volkes. «Wir kämpfen seit hundert Jahren», sagt er. Man habe dabei alle möglichen Taktiken versucht und sei durch verschiedene ideologische Phasen gegangen. Solidarität mit den Palästinenser:innen müsse es unabhängig von der Regierung der Hamas in Gaza geben, so Takriti.
Danach kommt der in Chicago lebende Rabbi Brant Rosen zu Wort. Er verurteilt die israelische Politik scharf und beschreibt eine wachsende Abwendung vom Zionismus unter amerikanischen Jüdinnen und Juden seit Kriegsbeginn. «Die jüdische Gemeinschaft wird nie wieder dieselbe sein», so Rosen. Auch die zwei folgenden Rednerinnen, die Menschenrechtsanwältin Noura Erakat und die Aktivistin Linda Sarsour, appellieren an das Publikum, sich weiter mit aller Kraft für eine Waffenruhe einzusetzen. «Wir erleben einen Völkermord in Echtzeit, ermöglicht durch US-Steuerzahler:innen», sagt Sarsour und zeigt mit ihrer Hand ins Publikum, um klarzumachen, dass alle in diesem Saal beteiligt seien. «Auch ich, eine palästinensische Amerikanerin, bezahle für den Tod und die Zerstörung meines eigenen Volkes.»
Nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 hatten sich zunächst Risse in der US-Linken aufgetan. Die einen verwiesen primär auf die Besetzungs- und Besiedlungspolitik der israelischen Regierung, durch die eine unaushaltbare Situation für die Palästinenser:innen entstanden sei. Die anderen forderten mehr Empathie gegenüber israelischen Zivilist:innen und eine klare Abgrenzung von der Hamas. «Wie können wir öffentlich den Tod und das Leiden von Israelis betrauern, ohne dass diese Gefühle politisch gegen die Palästinenser:innen verwendet werden?», fragte Arielle Angel, Chefredaktorin des jüdisch-linken Magazins «Jewish Currents», in einem eindrücklichen Essay am 12. Oktober. Angel sah die extreme Vergeltung der israelischen Regierung kommen und warnte vor «genozidalen Impulsen». Ein knappes Jahr später ist der Gazastreifen tatsächlich flächendeckend zerbombt. Fast alle der 2,2 Millionen Einwohner:innen wurden vertrieben. Über 40 000 Menschen wurden bislang getötet, ein Grossteil davon Frauen und Kinder, dazu kommen über 90 000 Verletzte. Auch viele der israelischen Geiseln wurden getötet, über hundert sind noch gefangen. Es herrscht Nahrungsmittelknappheit in Gaza, Krankheiten breiten sich aus. Die Uno spricht von einer «beispiellosen humanitären Krise».
Die US-Linke hat sich im Widerstand gegen diesen Krieg vereint. Das wurde auch bei der «Socialism Conference» deutlich. Die Politologin Thea Riofrancos spricht bei einer Liveaufnahme des Podcasts «The Dig» von einer «Erneuerung des linken Internationalismus». Die Rechtswissenschaftlerin Amna Akbar erklärt, dass für viele Amerikaner:innen die Zusammenhänge zwischen militarisierter Polizei im eigenen Land und dem Einsatz US-amerikanischer Waffen im Ausland offensichtlich seien: Aufrüstung im Namen der Demokratie, unter der am Ende aber vor allem arme und rassifizierte Menschen litten.
Zugleich wird immer wieder festgehalten, dass die Antikriegsdemonstrationen der vergangenen Monate – inklusive Hunderter Uniprotestcamps im Frühjahr – nicht ihr Ziel erreicht hätten: Der Krieg geht bis heute weiter, und kaum eine Universität hat ihre Geschäfte mit Israel beendet. Wie machtlos die Bewegung ist, wurde besonders beim Parteitag der Democrats deutlich, der ein paar Wochen zuvor ebenfalls in Chicago stattfand. Die Parteifunktionär:innen holten Leute aus allen möglichen Gesellschaftsbereichen und Regionen der USA auf die Bühne, aber nicht eine einzige palästinensische Stimme – offenbar sollte die liberale Euphorie um Harris nicht gestört werden. Für viele Linke war es die abermalige Bestätigung, dass bei den Demokrat:innen wenig zu holen ist. «Der Parteitag war augenöffnend», sagt Aktivistin Elise Joshi. «Ich habe richtig Wut auf die Demokratische Partei.»

Wind aus den Segeln genommen
Beeindruckende Mobilisierung auf der einen Seite, relative Effektlosigkeit auf der anderen: Für die US-Linke ist das in gewisser Weise bezeichnend. Die landesweiten Bewegungen der vergangenen Jahre sind – bei allen positiven Nebenwirkungen wie etwa der gewachsenen Politisierung unter jungen Amerikaner:innen – jeweils in Enttäuschungen gemündet. Nicht nur, weil linke Kräfte über weniger Geld verfügen und jeder konfrontative Protest irgendwann von der Polizei aufgelöst wird. Die Niederlagen erklären sich auch dadurch, dass es in entscheidenden Momenten an Organisierung und Druckmitteln fehlt. Anders etwa als beim Civil Rights Movement der 1960er, als Gewerkschaften, militante Gruppen, Kirchen und andere zivilgesellschaftliche Initiativen zumindest temporär eine Front bildeten, gibt es keine derartige Allianz mehr.
Bei den Präsidentschaftsvorwahlen 2020 etwa stimmten knapp zehn Millionen Menschen für den linken Senator Bernie Sanders. Die Demokratische Partei konnte diese Masse nicht gänzlich ignorieren, weshalb Sanders und progressiven Gruppen wie dem Sunrise Movement gerade zu Beginn von Bidens Amtszeit ein gewisser Einfluss gewährt wurde. Linke Spuren finden sich beispielsweise im «Inflation Reduction Act», dem grössten Reformpaket der letzten Jahre. Durch diese Vereinnahmung und eine punktuelle Übernahme der Forderungen wurde der Bernie-Bewegung allerdings auch Wind aus den Segeln genommen. Der 83-jährige Sanders agiert heute eher zwischen der zweiten und dritten Reihe. Von der Klimaorganisation Sunrise Movement hört man nur wenig.
Ebenfalls im Jahr 2020 erhielten die Black-Lives-Matter-Proteste grossen Auftrieb; Auslöser war der Mord an George Floyd durch einen Polizisten in Minneapolis. In einigen Städten werden mittlerweile Alternativen zum Strafstaat ausprobiert. Unter anderem nehmen Sozialarbeiter:innen dort bestimmte Notrufe entgegen, um den Kontakt zwischen der Bevölkerung und der Polizei zu reduzieren. Dem grossen Ziel einer radikalen Transformation des Justizsystems ist die abolitionistische Bewegung allerdings kaum nähergekommen. Der Slogan «Defund the Police» hat sich eher als kontraproduktiv erwiesen, weil viele Menschen mit einem Abbau weniger Sicherheit verbinden. Republikaner:innen schüren erfolgreich «crime panic», Demokrat:innen marschieren mit. Harris positioniert sich im Wahlkampf als Hüterin von Law and Order. Der rechte Backlash hat sich durchgesetzt.
Wenn man die vergangenen Jahre zurückverfolgt, gibt es nur einen einzigen Bereich, in dem sich linker Einfluss auf substanzielle und ortsübergreifende Weise bemerkbar gemacht hat – und das ist die Gewerkschaftswelt. Die Lage ist zwar insgesamt immer noch düster – gerade einmal zehn Prozent aller Beschäftigten in den USA sind gewerkschaftlich organisiert. Doch nirgendwo sonst scheint Organisierung über das eigene Milieu hinaus eher möglich als hier.

Brandon Mancilla ist ein Gesicht des neuen Aufschwungs. Der Dreissigjährige ist Regionaldirektor bei den United Auto Workers (UAW), einer Gewerkschaft, die primär Beschäftigte in der Automobilindustrie, aber auch im Kultursektor und Hochschulwesen vertritt. «Die Linke hat ohne die Arbeiter:innenbewegung keine Zukunft», sagt Mancilla bei der «Socialism Conference». «Deshalb haben sich viele junge Leute, auch ich, ihr angeschlossen.»
Mancilla kommt aus einer New Yorker Familie, die sich seit Generationen gewerkschaftlich betätigt, und ist Mitglied der Democratic Socialists of America. Mit Beginn seines Studiums an der Harvard University 2017 trat er den United Auto Workers bei und wurde dort Teil einer Reforminitiative, der es über die letzten Jahre gelungen ist, die lange Zeit korrupte Gewerkschaft neu aufzustellen. Im Frühjahr 2023 wurde mit Shawn Fain jemand aus den Reihen der UAW-Reformbewegung zum Präsidenten gewählt. Im Herbst 2023 zog die Gewerkschaft in den Streik gegen die drei grössten Autokonzerne des Landes, Ford, General Motors und Stellantis, und erreichte einen neuen Vertrag. Festgehalten wurden 25 Prozent Gehaltszuwachs, mehr Arbeitsschutz und die Jobsicherheit bei der Umstellung auf E-Autos. Im April dieses Jahres triumphierten die UAW dann sogar im gewerkschaftsfeindlichen Süden der USA. Die Beschäftigten eines Volkswagen-Werks in Tennessee stimmten dafür, künftig von der UAW vertreten zu werden. Ein historischer Sieg.
Bei der «Socialism Conference» ist der Gewerkschafter Mancilla ein gefragter Mann. Auf einem Panel zur Frage, wie man Arbeiter:innenrechte und Klimaschutz zusammenführen könne, sagt er, es sei ein grosser Fortschritt, dass die US-Regierung überhaupt wieder substanziell in die Wirtschaft investiere. Von einer absoluten «Degrowth»-Maxime halte er nicht viel, erklärt Mancilla später. Bestimmte Sektoren, etwa grüne Technologien und Care, müssten wachsen. «Das Problem ist, dass unsere Wirtschaft unglaublich ineffizient und vom Profitmotiv dominiert ist und dadurch unsere Umwelt schädigt», so Mancilla.

Erst Vertrauen, dann Agitation
Nicht nur die United Auto Workers geben derzeit Grund zur Hoffnung. In Grosskonzernen wie Amazon und Starbucks haben sich neue Gewerkschaften formiert, die von den Arbeiter:innen selbst angeführt werden. Auch die Zahl der Streiks hat zugenommen, beispielsweise im Gesundheitssektor und in der Hotelbranche. Eine der interessantesten und für die Zukunft wohl auch wichtigsten Organisationen ist das vor vier Jahren gegründete Emergency Workplace Organizing Committee, kurz EWOC. Beschäftigte, die sich in ihrem Betrieb gewerkschaftlich organisieren wollen, haben hier eine Anlaufstelle für Beratung und Ressourcen. Bei der «Socialism Conference» organisierte EWOC einen Workshop, an dem rund vierzig Leute teilnahmen. Die drei Moderatoren gaben grundsätzliche Tipps zur Organisierung und hielten anschliessend eine Art Rollenspiel ab, bei dem die Kontaktaufnahme unter Kolleg:innen erprobt wurde. «Zuhören ist achtzig Prozent, Reden zwanzig Prozent», so lautete eine der Botschaften. Am Anfang sei es am wichtigsten, Vertrauen zu schaffen, erst danach würde Agitation fruchten.
Diese Art der Basisarbeit, «organizing» genannt, hat sich in den letzten Jahren als wichtigstes Mittel der Linken erwiesen – und zwar über die Arbeitswelt hinaus. In vielen US-Städten gibt es mittlerweile «tenant unions», Gewerkschaften für Mieter:innen. Bei der «Socialism Conference» diskutieren Gruppen aus Los Angeles, Denver, New York und anderen Städten über erfolgreiche Mietstreiks und die Vision einer dekommodifizierten Wohnungspolitik. Auch das Debt Collective, eine Gewerkschaft für Schuldner:innen, ist in Chicago vertreten. Die Organisation hat nicht nur das Problem der massenhaften Verschuldung durch Unigebühren und medizinische Behandlungen in den Mainstreamdiskurs gebracht, sondern auch die Regierungspolitik mit beeinflusst. Unter Biden wurden Millionen von Amerikaner:innen die Unischulden gestrichen, wobei der rechte Supreme Court einen noch umfangreicheren Plan blockiert.
Das Prinzip Gewerkschaft hat sich also weiterentwickelt, erlebt eine kleine Renaissance. Angesichts der neuen Stärke kann man sich aber auch fragen, warum entsprechende Strategien bei der «Socialism Conference» nicht noch stärker im Fokus standen. «Ginge es nach uns, wäre das so», sagt Ashik Siddique, Kovorsitzender der DSA. Die Organisation will in den kommenden Jahren bei der Konferenz präsenter sein. Auch die junge Aktivistin Elise Joshi fordert «mehr stabiles und konstantes Organizing». Dass Gewerkschaften und Linke näher zusammenrücken müssen, darüber sind sich eigentlich alle einig.
Als Fazit der «Socialism Conference» liesse sich festhalten: Die US-Linke ist immer noch viel zu schwach und zu fragmentiert, um bei einer Präsidentschaftswahl eine wirkliche Rolle zu spielen. Zugleich haben sich zuletzt neue Räume der Organisierung geöffnet, vor allem in der Gewerkschaftswelt. Besonders interessant war hier eine Veranstaltung, in der die Möglichkeit eines Generalstreiks diskutiert wurde – der letzte in den USA fand 1946 statt. In mehreren Gewerkschaften laufen dazu bereits Planungen, unter anderem bei den United Auto Workers und der Service Employees International Union. Die Democratic Socialists of America und andere Gruppen sind dabei. Und ein Datum steht auch schon: der 1. Mai 2028. Das ist ziemlich lang hin. Die Zeit brauchen sie aber auch.