aare



kam er in der dritten Klasse oder in der vierten?
sein Vater sei im Fluss geblieben, verkeilt
im Treibholz
wussten alle
sagte niemand
in der Schule kein Careteam, nur Prügel
unter den Wasserhahn gezerrt, weil er gähnte
aber das war ein anderer Fluss
du hast dein Wasser gesammelt
in einem Oberland aus Stauseen
lastwagengrossen Stollen
Wingsuit-Selbstmörderinnen
Tolkien-Träumen
manchmal direkt vom Gletscher
neben dir leuchtet die Autobahn
hinter dir leuchten Eiger, Mönch und Jungfrau
was tut mehr weh
Aare, deine Biber
sind erstaunlich
Tiere schwimmen sich frei
im Dählhölzli
ich verzeihe dir alles
am Bälpmoos
lief schon vorher nichts
und jetzt noch weniger
zwei trinken Bier auf der Aussichtsplattform
starren auf die leere Piste
ein Flughafen als Bastelbogen
die an den Seilen
gefährden die mit den Booten
die mit den Booten
kollidieren mit Brückenpfeilern
die im Wasser
riskieren ihr Leben am Bärengraben
aber irgendeinisch
die Tannen an den Hängen sterben
die Kaulquappen vertrocknen in den Tümpeln
aber du
hast noch Wasser
für hundert Jahre oder so
bis zum letzten Gletscher
bis dann
können wir Waldbrände löschen mit dir
Muri, totester Teil der Agglo
Diplomaten und Chefbeamte
der Tourbus von Yokko
passt hierher
aber darunter fliesst du
dir verzeihe ich alles
die Töffwixer
auf ihren Corona-Ausflügen
streifen dich nur
dich zu lieben ist kein
Lokalpatriotismus
denn du bleibst ja nicht
du fliesst davon
nur das Seil im Fluss bleibt
einer joggt mit Bernerbär-Tattoo
Schnaps trinken im Auto und Flasche aus dem Fenster
o fühl di frei
und du wirst jeden Tag schöner und fragst:
«hiufsch?»
ein Stausee
ein AKW
du badest
im Abklingbecken
ein Kanal
zwingt dich in den Bielersee
dabei wolltest du dort gar nicht hin
wo du durch die Klus brichst
kurz vor Olten
feiern die Kormorane
ihre Partys
noch ein AKW
noch zwei AKW
das letzte
verpasst du knapp
dann wirst du nochmals Stausee
Jonathan Franzen war da
wegen den Vögeln
dann schluckst du den Rhein
und nicht umgekehrt
Dieses Gedicht erschien
erstmals 2020 in der Zeitschrift
«Stoff für den Shutdown».



Sommer am Ufer
Die Fotoserie von Livia Walker und David Fürst zeigt Fragmente der flüchtigen Sommertage an Schweizer See- und Flussufern. Sie suchen nach Momenten, in denen alles zusammenkommt: die Hitze, das bunte Treiben, die Abkühlung. Dabei befassen sie sich mit dem Wasser und den Ufern als soziokulturellem Raum und untersuchen, wie diese das soziale Miteinander prägen und sich Menschengemachtes und Natur dabei gegenüberstehen.