Digitaler Kapitalismus: Hände weg von Brasilien, Mister Musk!
Nächste Runde im Streit zwischen Brasilien und dem Kurznachrichtendienst X: Vergangene Woche war dieser in dem lateinamerikanischen Land kurzzeitig wieder verfügbar, obwohl die Plattform dort eigentlich seit Ende August gesperrt ist. Der Grund: X hatte sich geweigert, auf richterliche Anordnung Falschmeldungen verbreitende Konten zu entfernen («free speech»). Dass der Dienst nun plötzlich wieder online war, soll laut dem Unternehmen unbeabsichtigt gewesen sein, ein brasilianisches Gericht verdonnerte es dennoch zu einer Strafzahlung von knapp 800 000 Franken.
Für X-Besitzer Elon Musk dürften das Peanuts sein. Eine nebensächliche Auseinandersetzung ist der Konflikt trotzdem nicht, jedenfalls sehen das einige Intellektuelle so, die sich nun in der Sache zu Wort gemeldet haben. Einem unter anderem von Evgeny Morozov, Nick Srnicek, Thomas Piketty, Shoshana Zuboff, Yanis Varoufakis und dem Genfer Professor Cédric Durand – einer Art Who’s who der zeitgenössischen Techkritik – unterzeichneten Aufruf zufolge sei das, was derzeit in Brasilien geschehe, eine Auseinandersetzung von historischer Bedeutung: Alle Demokrat:innen weltweit sollten sich mit Brasilien solidarisieren.
Kern des Konflikts sei nämlich der Versuch mächtiger US-Plattformen, das digitale Selbstbestimmungsrecht ganzer Nationalstaaten auszuhebeln. Besonders bemerkenswert sei dabei, wie X-Besitzer Musk seine Verbündeten im Aus- wie im Inland (der Milliardär pflegt beste Kontakte zum rechtsextremen Expräsidenten Jair Bolsonaro) mobilisiere, um seine Spielregeln durchzusetzen. Dies sende eine besorgniserregende Botschaft an den Rest der Welt: «Demokratische Länder sind von Destabilisierungsversuchen bedroht, sobald sie versuchen, sich der Herrschaft von Big Tech zu entziehen.»
Vor ein paar Jahren hatte Musk – damals noch als «normaler» Twitter-Nutzer – gegen die bolivianische Linksregierung gepöbelt: «Wir putschen gegen jeden, der uns nicht passt. Akzeptiert das einfach.» Bislang scheint sich Brasilien trotzdem nicht einschüchtern zu lassen. Das Land sei Zentrum eines weltumspannenden Konflikts, schreiben die Autor:innen des Aufrufs, zwischen einer Techoligarchie und «jenen, die versuchen, eine demokratische digitale Infrastruktur aufzubauen, die die Menschen in den Mittelpunkt stellt».