Beihilfe zum Suizid: «Dann drücken Sie diesen Knopf»

Nr. 40 –

Vergangene Woche kam erstmals die Suizidkapsel «Sarco» zum Einsatz. Steht sie für eine unethische Technologisierung des Sterbens? Oder ist das einfach nur die Weiterführung der liberalen Praxis der Suizidhilfe?

die futuristische Suizidkapsel «Sarco»
«Sterbetesla»: Die futuristische Suizidkapsel ersetzt die Atemluft durch Stickstoff, nach wenigen Minuten tritt der Tod ein. Foto: Ennio Leanza, Keystone

Wird sie irgendwann sagen, sie hätte uns gewarnt? In ihrem 2022 erschienenen Roman «RCE. #RemoteCodeExecution» beschreibt die Autorin Sibylle Berg eine apokalyptische Welt, in der Innovationen aus dem Silicon Valley den Alltag beherrschen. Es gibt die «Suizidkapsel», «ein ästhetisch ansprechendes 3-D-gedrucktes mobiles sargähnliches Gerät, das gerade den europäischen Markt flutete». Sterbewillige legen sich in die luftdichte, «auch innen angenehm futuristische» Kapsel, heisst es im Buch. Für den Moment, selbstbestimmt zu gehen, bleiben drei Minuten Zeit, «denn die Auslastung war riesig». Und: «Natürlich hatte vorher, damit alles mit rechten Dingen zuging, ein Algorithmus die Zurechnungsfähigkeit getestet.»

Erfunden hat Berg «Sarco» – so heisst die Suizidkapsel auch im Buch – nicht. Die Kapsel wurde von Philip Nitschke, einem ehemaligen Arzt aus Australien, schon vor über zehn Jahren entwickelt. Nitschke ist eine umstrittene Figur, sein aktivistischer, nonchalanter Umgang mit Suizid provoziert. 2018 sagte er etwa in einem Interview mit dem «St. Galler Tagblatt», Sarco ermögliche es, «mit Eleganz und Stil zu sterben». In Zukunft werde man die Kapsel mit einem 3-D-Drucker selbstständig herstellen können, Sterbewillige könnten die Baupläne erwerben und müssten dann nur noch einen Onlinetest ausfüllen und beweisen, dass sie zurechnungsfähig seien. Technolibertarismus bis in den Tod, sozusagen.

Ringen um die Gesetzgebung

Die Schweiz war als Einsatzort für Sarco schon länger im Visier von Exit International (nicht zu verwechseln mit Exit). Nun hat die Organisation Tatsachen geschaffen: Vergangene Woche hat sich eine 64-jährige Frau aus den USA mit der Suizidkapsel in einem Wald in der Nähe von Schaffhausen das Leben genommen. Die Fotografin, die den Einsatz von Sarco festhielt, beschrieb den Vorgang später gegenüber der holländischen Zeitung «de Volkskrant»: Mit einem 24 Stunden lang gültigen Zugriffscode habe die Frau ein Computerprogramm aktiviert. Eine Roboterstimme habe ihr ein paar Fragen gestellt und schliesslich gesagt: «Wenn Sie sterben wollen, drücken Sie diesen Knopf.»

Ist das schon die Dystopie? Oder einfach Suizidhilfe, wie sie schon seit Jahrzehnten in der Schweiz praktiziert wird?

Zwar ist die aktive Sterbehilfe (das Verabreichen eines tödlichen Medikaments durch einen Arzt oder Dritte) nach wie vor strafbar, doch die Suizidhilfe (die Beschaffung tödlicher Medikamente) ist straflos – solange dabei keine eigenen monetären Bedürfnisse befriedigt werden. Das regelt seit den 1940er Jahren Artikel 115 des Strafgesetzbuchs. Das Bundesgericht fällte immer wieder wegweisende Urteile. Etwa 2023 mit dem Freispruch von Erika Preisig. Die Sterbehelferin hatte einer Frau beim Suizid assistiert, ohne dass ein psychiatrisches Gutachten vorgelegen hatte.

Doch die liberale Rechtsprechung ist umstritten. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) und der Dachverband der Ärzteorganisationen (FMH) fordern, dass ein Mensch gravierend erkrankt sein muss, sonst würden Suizidhelfer:innen gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht verstossen. Ausserdem müsse das Leiden für Ärzt:innen nachvollziehbar sein. Das macht die Sache diffizil, Sterbehilfeorganisationen agieren in einem rechtlich nicht en détail regulierten Bereich. Suizidhilfe ist straflos, aber man riskiert trotzdem ein Verfahren; erlaubt, aber doch nicht so richtig legal.

Der Basler Strafrechtsprofessor Christopher Geth sagt, der Umgang mit Suizidhilfe sei über die letzten Jahrzehnte konstant geblieben, auch weil sich der Gesetzgeber scheue, die Rechtslage weiter zu konkretisieren. «Was genau ist ein Suizid? In welchem Moment hat die Person Tatherrschaft über sich selbst? Wie kann die Urteilsfähigkeit sichergestellt werden? Wann liegen selbstsüchtige Beweggründe vor? Das sind die entscheidenden Fragen», sagt Geth.

Versuche, die Suizidhilfe auf nationaler Ebene stärker zu regulieren, gibt es, seit ab den achtziger Jahren mit der Gründung von Sterbehilfeorganisationen – den Anfang machte 1982 Exit – die Suizidhilfe professionalisiert wurde. Nach einer Zunahme des «Sterbetourismus» in den neunziger Jahren nahm die damalige BDP-Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf 2010 einen Anlauf: Sie wollte den Artikel 115 verschärfen, scheiterte jedoch am breiten Widerstand im Parlament. Ihre Nachfolgerin Simonetta Sommaruga (SP) liess das Dossier ruhen – zu aussichtslos, eine Lösung zu finden, zu heikel? «Der Staat nimmt sich in diesem wichtigen Bereich einfach zurück, eine Positionierung fehlt. Vielleicht auch, weil die Diskussion um Sterbehilfe unerwartete politische Fronten bilden könnte», sagt Geth.

«Keine Sterbekultur»

Klar ist: In der Gesellschaft geniesst Suizidhilfe seit Jahrzehnten ungebrochen Akzeptanz. Wo immer es in der Vergangenheit kantonale Vorstösse gab – etwa 1977 in Zürich eine Volkinitiative zur Lockerung des Suizidhilfeartikels oder jüngst diesen Sommer in Genf ein Verbot von Suizidhilfe in Altersheimen und Institutionen –, sprach sich die Stimmbevölkerung für einen liberalen Umgang mit Suizidhilfe aus.

Gehört da Sarco nicht einfach dazu? «Nein», findet Markus Zimmermann, Leiter der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK) und Theologieprofessor an der Universität Fribourg. Er kritisiert den «Sterbetesla» scharf, spricht von einer «Entfremdung», einer «Banalisierung des Sterbens». Seine eigentliche Sorge betrifft aber nicht den futuristischen Sarco, die Nachfrage danach schätzt er minimal ein, denn: «Am Lebensende nicht allein und isoliert zu sein, gehört zu den grundlegendsten Bedürfnissen Sterbender.» Der Ethiker weist vielmehr auf die starke Zunahme der assistierten Suizide während der letzten Jahre hin. Waren es 2003 noch 187 Menschen, die in der Schweiz mittels Suizidhilfe starben, waren es 2022 knapp 1600 Personen.

Es sind grundsätzliche Fragen, die Zimmermann beschäftigen: «Was heisst das, wenn immer mehr Menschen auf diese Weise sterben wollen?» Die Gründe dafür seien nicht nur schwere Krankheiten, sondern auch Ängste vor Abhängigkeiten, davor, allein gelassen zu werden, nicht zu wissen, wie das Leben mit 90 oder 95 Jahren sein werde, die Angst vor Pflegeheimen, denen das Personal fehle, oder auch die Angst vor Selbstverlust durch eine Demenz. «Doch als Gesellschaft können wir nicht einfach in Kauf nehmen, dass sich immer mehr Menschen das Leben nehmen», sagt Zimmermann. Es gehe da auch um die Frage nach einer guten Versorgung betagter Menschen.

Auch die etablierten Sterbehilfeorganisationen sehen den Sarco kritisch, etwa Lifecircle-Gründerin Erika Preisig, die 2023 vom Bundesgericht mit dem erwähnten Urteil freigesprochen wurde. Sarco-Erfinder Nitschke vertrete die Ansicht, wenn jemand sterben wolle, habe niemand das Recht, nach dem Grund zu fragen – das sei kein reflektierter Umgang mit dem Tod. «Ein Todeswunsch ist etwas sehr Ernstzunehmendes, aber er kann auch schwächer werden. Es gibt schwere Krisen im Leben, die überwunden werden können», sagt Preisig. Sie bezweifle, dass bei Exit International genug dafür getan werde, dass eine Person nicht zu früh gehe, der Sterbeprozess angemessen begleitet sei. «Das ist keine Sterbekultur.»

Meist ermittelt die Polizei

Erika Preisig setzt sich für eine liberale Regulierung der Suizidhilfe ein. Eine Privatspitex müsse einiges vorlegen, damit sie eine Betriebsbewilligung erhalte, eine Sterbehilfeorganisation brauche nicht einmal eine solche. «Da muss die Schweiz wirklich über die Bücher.» Preisig fordert unter anderem die Anerkennung von Suizidhilfe als ärztliche Tätigkeit. Gleichzeitig spricht sie sich deutlich gegen rechtliche Verschärfungen oder den Einbezug von Polizei und Staatsanwaltschaft aus, wie er heute in fast allen Kantonen bei assistierten Suiziden üblich ist.

Auch in Schaffhausen rückten Staatsanwaltschaft und Polizei aus, gegen mehrere Personen aus dem Umfeld von Exit International wird wegen Verstoss gegen Artikel 115 des Strafgesetzbuchs ermittelt. In der Politik herrscht derweil Ratlosigkeit: Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider sagte, die Kapsel entspreche nicht dem Produktesicherheitsrecht, und der Einsatz von Stickstoff verstosse gegen das Chemikaliengesetz. GLP-Nationalrat Patrick Hässig hat Ende September eine Interpellation eingereicht mit der Frage, wie rechtliche Rahmenbedingungen für die Suizidhilfe geschaffen werden können – auch für Anbieter wie Exit International.

Haben Sie Suizidgedanken? In der Schweiz gibt es zahlreiche Stellen, die für Menschen in solchen Krisen da sind. Für Erwachsene: Die Dargebotene Hand, Telefon 143. Für Kinder und Jugendliche: Telefon 147 und www.147.ch.